Hasard und Ben Brighton eilten an die Achterdecksverschanzung und setzten die Spektive an die Augen. In der Tat zeichnete sich der dreimastige Segler bereits deutlich in der Optik ab. Über Backbordbug rauschte das schlanke Schiff mit hoher Fahrt heran, und es bestand kein Zweifel, daß man die „Isabella“ ebenfalls bereits gesichtet hatte.
Die Geschehnisse von Great Abaco waren allen Arwenacks noch in bester Erinnerung. Dort war der Algerier Mubarak mit seiner Schebecke aufgetaucht, und Ramón Vigil und seine Mannen hatten es nach haarsträubenden Verwirrungen schließlich geschafft, den Dreimaster zu erobern. Erst kurz zuvor war Don Juan de Alcazar an Bord der „Isabella“ gesundgepflegt worden. Es war eine von mehreren Gelegenheiten gewesen, bei denen Hasard dem Spanier durch sein Verhalten Rätsel aufgegeben hatte.
Die Zeit des beiderseitigen Rätselratens war nun aber endgültig vorbei. Erst vor wenigen Tagen war Old Donegal Daniel O’Flynn mit seiner „Empress“ der Schebecke begegnet. Arne, der sich zu jenem Zeitpunkt noch an Bord des Dreimasters befunden hatte, war gezwungen gewesen, Farbe zu bekennen. Und so hatten der alte O’Flynn und die anderen miterlebt, wie sich Don Juan vom Sonderbevollmächtigten der spanischen Krone zum Verbündeten des Bundes der Korsaren gewandelt hatte.
„Der scheint es aber mächtig eilig zu haben“, murmelte Ben Brighton, nachdem sie die heranjagende Schebecke eine Weile beobachtet hatten.
Deutlich waren mittlerweile die Männer an Bord des schlanken Dreimasters zu erkennen. Und auf dem Achterdeck sah Hasard den hochgewachsenen Spanier, wie er mit rudernden Armbewegungen winkte.
Trotz des Ernstes der allgemeinen Situation konnte sich der Seewolf eines Lächelns nicht erwehren. Wie grundlegend hatten sich die Dinge doch geändert! Die Begegnungen, die er mit Don Juan bereits gehabt hatte, waren letztlich stets von unverhohlener Feindschaft geprägt gewesen. Dennoch hatten sie sich bei diesen Anlässen zu achten gelernt. Die Ritterlichkeit, die sie gleichermaßen auszeichnete, und ihr Gedankengut, in dem es viele Parallelen gab, hatten schließlich dazu geführt, daß sie sich gegenseitig immer mehr respektierten. Den entscheidenden Einfluß auf Don Juans sich neu entwickelndes Bewußtsein mußten jedoch die Geschehnisse in Havanna und Arne von Manteuffels Mitwirkung gehabt haben.
Wenig später war die Schebecke heran. Geschickt wurde der Dreimaster auf die Backbordseite der „Isabella“ gesteuert, und Don Juan schwang sich an einem Fall behende herüber.
Die Arwenacks auf der Kuhl und auf dem Vordeck begrüßten den neuen Verbündeten mit begeistertem Beifallsgebrüll. Ed Carberry war es, der Don Juan auffing, als dieser das Fall losließ, und der Profos der „Isabella“ grinste dabei über die ganze Breite seines Narbengesichts.
Don Juan reagierte nicht etwa unwillig oder verlegen. Vielmehr erwiderte er das Grinsen und hieb dem narbengesichtigen Riesen anerkennend auf die Schulter. Erneutes Beifallsgebrüll begleitete den Spanier, als er mit eiligen Schritten auf das Achterdeck zustrebte.
Hasard empfing ihn beim Backbord-Niedergang. Don Juan war ernst geworden. Schweigend drückte er dem Mann die Hand, der eigentlich sein Todfeind sein sollte – wenn es nach dem Willen der spanischen Hofbeamten in Madrid ging. Hasard sagte ebenfalls nichts. Er erwiderte den Blick seines einstigen Gegners, und der Händedruck der beiden Männer währte lange.
Dann aber gab es keinen Grund mehr, Zeit zu verschwenden. Auch Ben Brighton begrüßte den Spanier per Handschlag, und zu dritt begaben sie sich zur Heckgalerie. Don Juan warf einen kurzen Blick zur „Le Vengeur“ und zur „Tortuga“.
„Ich bin froh, daß Sie bereits auf Gegenkurs gegangen sind“, sagte er, „aber seit ich Sie gesichtet habe, wundere ich mich, wo die anderen Schiffe geblieben sind. Wollen Sie etwa riskieren, mit nur drei Galeonen auf den spanischen Verband zu stoßen?“
„Wir haben das Gefühl, daß höchste Eile geboten ist“, entgegnete der Seewolf, „deshalb haben wir jeden verfügbaren Fetzen Tuch gesetzt. Unsere Formation mußte sich dabei zwangsläufig auflösen.“ Mit knappen Worten berichtete er darüber, warum sie sich zur Umkehr entschlossen hatten. Und lächelnd fügte er hinzu: „Im übrigen sollten wir das ‚Sie‘ weglassen. Im Bund der Korsaren gibt es solche Förmlichkeit nicht.“
Don Juan nickte.
„Einverstanden, Hasard. Es tut gut, keine Vorbehalte zu spüren. Obwohl ich es dir nicht einmal verdenken könnte.“
Der Seewolf schüttelte den Kopf.
„Ich meine, wir kennen uns lange genug.“
„Allerdings.“ Don Juan gab sich einen Ruck. „Dann halten wir uns mit diesem Teil der Vergangenheit nicht länger auf. Es gibt im Augenblick Dinge von größerer Wichtigkeit.“ Kurz und bündig, wie es auch die Art des Seewolfs war, berichtete er über die Ereignisse im Zuge der Verfolgung des Kampfverbandes.
Während Don Juan sprach, wurde dem Seewolf und seinem Ersten Offizier einiges klar, was ihnen in den zurückliegenden Stunden und Tagen noch Rätsel aufgegeben hatte. Wenn sie davon erfuhr, würde auch Siri-Tong wissen, daß ihre Berechnungen im Grunde richtig gewesen waren. Normalerweise hätte man dem spanischen Kampfverband schon viel früher begegnen müssen.
Hasard und Ben mußten grinsen, als sie davon hörten, daß der Verbandsführer Cubera gezwungen gewesen war, vor Cardenas zu ankern, damit der sehr ehrenwerte Gouverneur nicht länger auf sein gewohntes Bad verzichten mußte. Die Schilderung der nächtlichen Störangriffe veranlaßte die Männer indessen zu einem anerkennenden Nicken.
Don Juan berichtete auch von José Buarcos und Jorge Matteo, den beiden Überlebenden jener Karavelle, die die Black Queen in den Korallenriffs der Cay-Sal-Bank versenkt hatte.
„Beide sind Landsleute von mir“, sagte Don Juan, „Buarcos war Sargento, Matteo einfacher Decksmann. Aber sie standen im Dienst der Admiralität, und ich hätte es ihnen nicht verdenken können, wenn sie auf die Rettung durch uns verzichtet hätten – oder darauf bestanden hätten, im nächsten Hafen abgesetzt zu werden.“
„Sind sie Mitläufer?“ fragte Hasard. „Oder hast du sie von euren Zielen überzeugt?“
Don Juan schüttelte den Kopf.
„Weder das eine noch das andere. Die beiden sind anständige Burschen, die auch genügend Grips haben, um sich ihre eigene Meinung zu bilden. Ich habe nicht etwa auf sie eingeredet. Ich habe ihnen lediglich erklärt, wer ich bin und was dazu geführt hat, daß ich mich dem Bund der Korsaren anschloß. Das genügte. Buarcos und Matteo waren sofort bereit, sich meinem Kommando zu unterstellen.“
Hasard wechselte einen Blick mit Ben Brighton. Es war frappierend, mit welcher Offenheit und Ehrlichkeit Don Juan seine Absichten verfolgte. Aus seinen neugewonnenen Erkenntnissen machte er keinen Hehl. Und wenn andere hörten, auf welche Weise er sich zu besserem Wissen durchgerungen hatte, dann verfehlte das seine Wirkung nicht. Das Beispiel Buarcos und Matteo bewies es.
„Und die Black Queen?“ fragte Ben Brighton gespannt. „Ist sie von den Schaluppen des Verbandes noch aufgespürt worden?“
„Nicht von den Schaluppen“, entgegnete Don Juan mit hintergründigem Lächeln, „sondern von uns.“ Er schilderte den Überraschungsangriff in der Dunkelheit, den er und seine Männer mit der Schebecke gefahren hatten. Noch vor Anker liegend, war der Zweimaster in seinem Versteck in einer Inselbucht der Cay-Sal-Bank versenkt worden.
Hasard und Ben konnten ihn sekundenlang nur ungläubig ansehen.
„Hat es Überlebende gegeben?“ fragte der Seewolf schließlich.
Don Juan zog die Schultern hoch.
„Es sah nicht danach aus. Ich kann es aber nicht mit Bestimmtheit sagen. Wir haben uns nicht vergewissert. Wichtig waren für uns vor allem die nächsten Störangriffe auf den Kampfverband. Ein paar Überlebende von einem versenkten Zweimaster können der Schlangen-Insel wohl nicht so gefährlich werden wie ein vollständiger spanischer Flottenverband.“
„Allerdings“, sagte Hasard. „Auf jeden Fall ist die Black Queen