„Klarschiff zum Gefecht!“ sagte die Rote Korsarin.
„Aye, aye“, sagten die Männer und begaben sich auf ihre Posten. Gefechts- und Manöverstationen wurden besetzt, und bald öffneten sich die Stückpforten des Zweideckers wie gähnende Mäuler. Die schweren Geschütze wurden ausgerannt.
Gefechtsklar pirschte sich die „Caribian Queen“ von Südosten her an die beiden Galeonen des Don Gregorio de la Cuesta heran, die inzwischen hintereinander vor der Bucht der Insel ankerten. Hier, an Bord der Schiffe, war man völlig auf die Ereignisse in der Bucht konzentriert und vernachlässigte daher das Umfeld. Auch wurden eben noch die letzten Schiffbrüchigen des gescheiterten Landeunternehmens aus dem Wasser geborgen. So erfolgte der Angriff der Roten Korsarin wie aus heiterem Himmel.
Sie hatte das Überraschungsmoment voll auf ihrer Seite. Wie ein Raubtier, das in eine Herde von Kühen oder Schafen einfällt, war sie plötzlich heran und schlug zu. Die „Caribian Queen“ war ein Spukwesen, das sich lautlos näherte und dann in ein feuer- und eisenspuckendes Monstrum verwandelte.
Um den vollen Schußwinkel zu haben, lagen die beiden spanischen Galeonen genau in West-Ost-Richtung, den Bug nach Westen gerichtet. Achtern hatten Heckanker ausgebracht werden müssen, denn der Wind wehte nach wie vor aus Südwesten.
So kam nun der Teufel über die beiden Galeonen, deren Mannschaften mit den Backbordbreitseiten beschäftigt waren und die Steuerbordkanonen demzufolge nicht gefechtsbereit hatten. Als de la Cuesta und seine Offiziere bemerkten, was die Stunde geschlagen hatte, war es bereits zu spät. Sie konnten nur noch entsetzte Rufe ausstoßen und sich in Deckung werfen.
In einem Anlauf von achtern aufsegelnd, schob sich die „Caribian Queen“ heran, und ihre Geschützmündungen spien jäh die todbringenden Ladungen aus. Geifernde Dämonenmäuler, flammende Rachen – jede Art von Vergleich bot sich an. Das drohende Unheil gaukelte den schreienden Spaniern die furchtbarsten Bilder vor.
Sie war da, und der Hagel ihrer Kanonenkugeln fegte in einem einzigen Höllengewitter die Decks der östlich ankernden Galeone buchstäblich sauber. Auch die Drehbassen krachten und donnerten, und dann war der Spuk schon vorbei und zog weiter und wandte sich dem nächsten Gegner zu, auf dessen Decks ebenfalls schreiender Zustand herrschte. Die untere Batterie der „Caribian Queen“ dröhnte, und auch die westlich versetzt ankernde Galeone empfing schwere Treffer.
Von dieser Salve wurden die Ankertrossen zerschossen. Die Galeone trieb achteraus und verfing sich in der hinter ihr ankernden Galeone. Wieder gellten die Schreie der Männer.
Irgendwo zwischen den Trümmern erhob sich de la Cuesta mit ruß- und blutverschmiertem Gesicht, schüttelte die Faust gegen den Feind und brüllte: „An die Geschütze! Feuer! Gebt es diesen Hunden! Zahlt es ihnen heim!“
Am Strand der Bucht erschienen ein paar Gestalten – Ross und einige seiner Kameraden. Sie warfen ihre Mützen hoch, lachten und brüllten und forderten den spanischen Gegner gleichsam heraus. Doch dessen Backbordkanonen schwiegen.
„Die Dons haben Besseres zu tun!“ schrie Ross. „Sie müssen sich den Rücken freihalten!“
„Hurra!“ schrie einer seiner Kameraden. „Die Korsarin ist wieder da! Die schickt der Himmel!“
„Hurra!“ schrien auch die anderen.
Das Triumph- und Beifallsgebrüll dröhnte über die Bucht und mischte sich mit dem entsetzten Gebrüll der Spanier.
Corbett blickte dem Zweidecker nach, der jetzt nach Westen ablief.
„Sie läßt nachladen“, sagte er. „Aber es ist bestimmt nicht der Himmel, der sie schickt, mein lieber Bush.“
„Sondern? Der Seewolf?“
„Der auch nicht. Sie hat ihre eigenen Gründe, hier noch einmal aufzukreuzen.“
„Aber mit den Spaniern hat auch sie nicht gerechnet.“
„Sie räumt kurz mit ihnen auf“, sagte Corbett. „Sie hat wirklich den Teufel im Leib. Aber die Frage lautet, was sie anschließend unternimmt. Ich schätze, sie hat noch ein Hühnchen mit uns zu rupfen.“
„Mit uns? Wegen Stewarts eigenmächtigem Handeln?“
„Genau deswegen“, erwiderte Corbett. „Eigentlich haben wir keinen Grund zum Jubeln, finde ich …“
ENDE
1.
Man schrieb den 24. August im Jahre des Herrn 1594. Die Nachmittagssonne brannte heiß vom tiefblauen Himmel der Karibik. Den Männern, die sich mit ihren Waffen hinter zerklüfteten Felsen und dichtem Gestrüpp verschanzt hatten, rann der Schweiß in Strömen über die Gesichter.
„Verstehen Sie, was da vor sich geht, Sir?“ fragte nun Marc Corbett, der Erste Offizier der ehemaligen „Orion“, nachdem er seine Muskete nachgeladen hatte.
Sir Edward Tottenham, der Kommandant, schüttelte nachdenklich den Kopf, denn auch für ihn waren die Ereignisse vor dem Ufer der Nordbucht noch immer sehr verwirrend.
Fast schien es, als habe die Hölle ihre Pforten geöffnet, seit die beiden spanischen Kriegsgaleonen Kurs auf die einsam gelegene Insel genommen hatten, die zu den Grand Cays gehörte. Wie aufgeplusterte Schwäne, die zischend und fauchend Nesträuber vertreiben wollten, waren die Schiffe vor die Buchteinfahrt gesegelt, wo ihnen die Wracks der „Orion“ und der „Dragon“ den Weg versperrten.
Dann waren sie hintereinander – den Bug jeweils nach Westen gerichtet – vor Anker gegangen und hatten die Schiffbrüchigen zur Kapitulation aufgefordert. Da die Engländer jedoch abgelehnt hatten, sich in spanische Gefangenschaft zu begeben, hatte Capitán Don Gregorio de la Cuesta schließlich den Feuerbefehl gegeben.
In kurzer Zeit hatten die Backbordbreitseiten der beiden Kriegsschiffe die Hütten der Engländer zerschmettert. Die schweren Kanonenkugeln wirbelten riesige Sandfontänen hoch und zerfetzten zahlreiche Stämme von Palmen und Farnbäumen. Selbst das Mangrovendickicht, das stellenweise das Ufer überwucherte, war unter anhaltenden Beschuß genommen worden.
Die Dons hatten sich ziemlich wild gebärdet und fürwahr ein eindrucksvolles Feuerwerk geboten. Aber eben auch nur das, denn die Mannschaften und Offiziere der „Orion“ und der „Dragon“, denen dieser Angriff gegolten hatte, lagen außerhalb des Schußbereiches der spanischen Kanonen in Deckung.
Aber nicht der ungestüme Angriff hatte bei den Engländern Verwunderung ausgelöst, sondern das erneute Auftauchen jenes düsteren Zweideckers, der schon vor dem Angriff der beiden Kriegsgaleonen die „Orion“ und die „Dragon“ versenkt hatte.
Diesmal jedoch war das kampfstarke Schiff, das einer feuerspeienden Festung glich, wie ein düsterer Racheengel auf die spanischen Galeonen losgegangen und hatte den schiffbrüchigen Engländern damit unerwartete Schützenhilfe geleistet.
Was aber hatte das alles zu bedeuten? Was bezweckte man auf dem Zweidecker damit? Auf diese Fragen wußte noch niemand so recht eine Antwort – weder Sir Edward Tottenham und Marc Corbett noch Arthur Gretton, der Erste Offizier der „Dragon“.
Die Engländer hatten sich nach den ergebnislosen Verhandlungen mit den Spaniern an strategisch wichtige Punkte der Insel zurückgezogen, so zum Beispiel an gut getarnte Stellen der West- und Ostseite der Bucht. Dort waren die Scharfschützen in Stellung gegangen, nachdem man sich dazu entschlossen hatte, den Angreifern die Stirn zu bieten. Das war ihrer Meinung nach immer noch besser, als den Rest seines Lebens auf einer spanischen Galeere oder aber in irgendeinem Bergwerk zu verbringen.
Tottenham und Corbett hatten die Führung auf der Westseite übernommen, Gretton auf der Ostseite. Er führte das Kommando über die Mannschaft der „Dragon“, seit man ihren Kapitän, den grobschlächtigen