Smoky, der Decksälteste der „Isabella“, hatte sich auf der Back auf einer Taurolle niedergelassen und strich der Wolfshündin über das Fell. Plymmie war zuverlässig und verhielt sich ruhig – dank der guten Erziehung durch die Zwillinge. Deshalb hatte Ben Brighton zugestimmt, sie an Deck zu lassen. Das übrige Viehzeug, wie Ed Carberry es nannte, mußte unter Deck bleiben. Bei Arwenack, dem Schimpansen, und Sir John, dem Papagei, wußte man nie ganz genau, ob sie nicht plötzlich in ein wildes Gezeter ausbrachen.
Alles war ruhig in der Bucht. Nur das leise Singen des Windes in Wanten und Pardunen und das Schlagen der Wellen gegen die Schiffsrümpfe waren zu vernehmen. Die Tierstimmen, die tagsüber von Land her zu hören gewesen waren, waren jetzt verstummt.
Unvermittelt spürte Smoky, wie sich die Nackenhaare der Wolfshündin sträubten. Im nächsten Moment richtete sie sich auf und witterte nach Westen. Ihre Ohren spielten, und leise begann sie zu knurren.
Der Decksälteste wußte, daß Plymmie alle guten Eigenschaften eines Hütehundes hatte. An erster Stelle stand ihre Wachsamkeit. Ihr Verhalten war nicht etwa eine Laune.
Smoky richtete sich auf, ging leise auf die vordere Balustrade zu und spähte in die Richtung, die Plymmie mit anhaltendem Knurren anzeigte.
Die Bucht wurde von einer langen Landzunge abgeschirmt; die sich von Nordwesten nach Südosten erstreckte. Zu- und Ausgang befanden sich im Südosten der Bucht, wo die „Isabella“ ankerte. Die „Caribian Queen“ lag weiter innen an Steuerbord der „Isabella“.
Als die Wolkendecke aufriß, sah Smoky das Segel, das sich von Westen her dem Zugang der Bucht näherte.
Der Decksälteste reagierte, ohne lange zu überlegen. Ein leiser Zuruf zur Landzunge genügte, um die drei Männer aus der Crew der Roten Korsarin zu alarmieren, die dort postiert waren.
Es dauerte keine Minute, bis gleich darauf alle Arwenacks an Deck versammelt waren und sich hinter das Schanzkleid kauerten. Der Stahl ihrer Waffen schimmerte matt im Mondlicht.
Wenige Augenblicke später waren auch auf der „Caribian Queen“ alle Crewmitglieder hellwach und auf dem Posten.
Die einsame Jolle, die sich von dort draußen der Bucht näherte, segelte auf eine waffenstarrende Festung zu.
Geduckt kauerte O’Leary auf der Achterducht und hielt die Pinne mit verkrampfter Faust. Die gefährlichen Riffe hatten sie überwunden. In der Stille der Bucht mußte auch der Rest leicht zu bewältigen sein.
O’Leary blickte zum Himmel und atmete erleichtert auf. Nur noch Minuten würde es dauern, bis sich eine Wolkenbank vor den Mond schob. Dann konnte das Vorhaben wie geplant abgewickelt werden.
Einen Atemzug später erstarrten der Bootsmann und die übrigen Männer in der Jolle vor Schreck.
„Halt! Wer da?“ ertönte eine energische Männerstimme von der nahen Landzunge.
Stewart und Monk stießen wüste Flüche aus, und auch die anderen verschafften ihrem Schreck durch wütendes Gebrüll Luft. Doch bereits im nächsten Moment überschlugen sich die Ereignisse.
Mündungsblitze zuckten von der Landzunge her auf. Sofort darauf tauchten am Backbord-Schanzkleid der „Isabella“ die Arwenacks auf, und die Musketen in ihren Fäusten begannen Feuer zu spucken.
Joe Doherty, der geduckt neben seinem neuen Herrn hockte, kippte plötzlich außenbords, ohne einen Laut von sich zu geben. Jetzt hämmerten die Musketen auch von der „Caribian Queen“.
O’Leary zog den Kopf ein, halste nach Steuerbord und wollte abdrehen. Es hatte keinen Sinn, das sah er ein.
Unvermittelt sprang Sir Robert Monk mit einem wütenden Schrei auf und wollte O’Leary von der Pinne stoßen. Doch seine Absicht wurde im Ansatz erstickt. Eine Kugel von der „Isabella“ traf ihn wie der Hieb eines Giganten. Robert Monk war bereits tot, als er über Charles Stewart zusammensackte.
Fluchend befreite sich der Ex-Kommandant der „Dragon“ von der Last und wuchtete den Toten kurzerhand über Bord.
O’Leary hatte es unterdessen geschafft, abzudrehen. Mit halbem Wind segelte die Jolle jetzt nach Südosten.
Immer noch peitschten die Schüsse auf den beiden Schiffen, und auch auf der Landzunge luden die Posten zügig ihre Musketen nach. Das gefährliche Surren der Kugeln folgte den Kerlen in der Jolle, und mit wachsender Panik sahen sie die kleinen Fontänen, die das großkalibrige Blei bedrohlich nahe aus dem Wasser riß.
Thomas Lionel Killigrew, der jüngere der beiden ferkelgesichtigen Brüder, schrie plötzlich schrill auf, hielt sich den Kopf mit beiden Händen und schraubte sich von seiner Ducht hoch. Sein Bruder riß ihn zurück, aber das Geschrei wollte kein Ende nehmen.
„Ist nur ein Streifschuß“, rief Simon Llewellyn, sein Bruder.
„Dann soll er das Maul halten, verdammt noch mal!“ brüllte O’Leary. „Sonst fliegt er über Bord!“
Es wirkte. Thomas Lionel verstummte augenblicklich und beschränkte sich auf ein fast lautloses Schluchzen, während er weiter den Kopf unter beiden Händen barg.
Die Schüsse versiegten, nachdem die Jolle zusehends Distanz gewonnen hatte.
„Das wird nichts mehr“, sagte O’Leary, als Stewart sich zu ihm umdrehte. „Die Hunde passen zu scharf auf. Und mit unseren paar Kerlen können wir schlecht gegen sie anstinken.“
„Das ist mir inzwischen auch klar“, sagte Stewart gepreßt.
„Und was jetzt?“ fragte O’Leary.
Charles Stewart rieb sich das Kinn.
„Zurück zu den Grand Cays“, sagte er nach einem Moment. „Vielleicht kann ich die Idioten überreden, mit uns gemeinsam die beiden Schiffe anzugreifen. Wenn wir das schaffen, haben wir nämlich keine Probleme mehr. Dann sind wir wieder beweglich – egal, ob wir in der Karibik bleiben oder wieder nach England segeln.“
O’Leary zog die Schultern hoch. Was die Marine-Affen betraf, war er mehr als skeptisch. Aber er schwieg, denn er wollte Stewart seine Meinung nicht auf die Nase binden.
Die beiden Goldkisten unter der Achterducht waren irgendwie sehr beruhigend. Und eins war sicher: Die Mannschaft hier in der Jolle hörte auf ihn, nicht auf Stewart.
O’Leary steuerte auf die See hinaus und ging auf Nordwestkurs …
ENDE
1.
Ein milchig-blasser Mond erhellte um zwei Uhr am Morgen des 24. August 1594 matt die Insel- und Wasserwelt der Bahamas. Nur eine flache Dünung kräuselte die See. Der Wind wehte handig aus Südwesten und verursachte ein feines Säuseln in den Wipfeln der Palmen und Mangroven. Zikaden zirpten im Dickicht des Eilandes, in dessen Südbucht die „Isabella IX.“ und die „Caribian Queen“ ankerten. Hin und wieder war das monotone Quaken der Frösche zu vernehmen.
Das waren um diese Zeit die einzigen Geräusche, sonst herrschte Grabesruhe an Bord der beiden Schiffe, die durch die lange Wartezeit bedingt war. Der Kutscher hatte den Seewolf operiert und ihm die Kugel aus dem Rücken geholt, die ihm Sir Andrew Clifford heimtückisch verpaßt hatte. Jetzt konnten die Crews der Galeone und des Zweideckers nur abwarten und hoffen, daß sich alles wieder zum Besten wendete.
Hasard lag in der Krankenkammer des Vorschiffs der „Isabella“ – mit hohem Fieber, über dessen Ausgang sich niemand im klaren war, auch der Kutscher und Mac Pellew nicht.
Der Kutscher hatte an Bord der „Isabella“ gewissermaßen das Regiment übernommen und klipp und klar erklärt, wenn auf dem Schiff keine Ruhe gehalten werde, könne er für nichts garantieren. Und doch hatte es eine jähe