Im Land der Nuria. Annina Safran. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Annina Safran
Издательство: Bookwire
Серия: Die Saga von Eldrid
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783969870082
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meine Liebe«, rief er freundlich. »Ich habe dich schon gesucht. Geht es dir gut?«

      Franz war ein alter Vertrauter der Familie, der nicht in das Geheimnis um den Spiegel eingeweiht war. Margot kannte er schon sein halbes Leben. Sie mochte ihn nicht sonderlich, empfand ihn als neugierig und teilweise sogar als aufdringlich. Dennoch musste sie seine Anwesenheit dulden, weil sie auf seine Dienste angewiesen war.

      Misstrauisch spähte sie in das Zimmer. »Was tust du da?«, zischte sie ungehalten.

      »Ich repariere ein Fenster. Du weißt doch, wie zugig es in dem Haus im Winter ist. Es wird bald Herbst, und ich kontrolliere die Fenster, damit du nicht frieren musst. Und natürlich wollte ich nach dir sehen. Geht es dir gut? Brauchst du etwas?«

      Er sah sie mit seinen dunklen Augen an, die hinter einer Lesebrille auftauchten, die er für die Reparatur aufgesetzt hatte. Franz war ein kleiner untersetzter Mann mit schwarzen kurzen Haaren, die er zu einem Seitenscheitel gekämmt hatte, und grauen Schläfen. Sein rundes Gesicht war von einem ergrauten Vollbart umrahmt, und seine Haut war sonnengebräunt. Er trug eine dunkelblaue Hose und ein Oberhemd in der gleichen Farbe. Eigentlich untypisch für einen Handwerker, wie Margot fand. Seine Erscheinung war stets gepflegt, und sein Aftershave roch sie oft noch tagelang in den Räumen, in denen er sich aufgehalten hatte.

      Sie schüttelte unwirsch den Kopf und wandte sich zum Gehen, als sie abrupt innehielt. »Du kannst tatsächlich etwas für mich tun. Komm, komm mit.«

      Sie winkte ihm, ihr zu folgen, und ging den Gang hinunter. Das schlurfende Geräusch ihrer Pantoffeln auf dem Holzboden hallte durch das Haus. Als er nicht sofort reagierte, drehte sie sich ungeduldig zu ihm um.

      »Franz?« Ihre Stimme war krächzend, als würde sie selten sprechen, obwohl sie den ganzen Tag vor sich hin murmelte.

      »Ich komme ja schon«, rief er und musste den genervten Unterton unterdrücken.

      Sie führte ihn zu der verschlossenen Tür und deutete darauf.

      »Mach auf!«, herrschte sie ihn an.

      »Was willst du in diesem Zimmer?«

      Statt einer Antwort gab sie ihm mit ihren knochigen Fingern einen unsanften Stoß in die Seite. »Das muss ich dir nicht erklären. Öffne einfach die Tür.«

      Unschlüssig starrte Franz abwechselnd Margot und die Tür an. Seit er für die Dena-Familie arbeitete, war diese Tür stets verschlossen gewesen. Die Anweisungen diesbezüglich waren sehr deutlich gewesen: Unter keinen Umständen sollte er die Tür öffnen und dieses Zimmer betreten. Jetzt war niemand mehr von denen hier, die ihm die Anweisung gegeben hatten. Ein Lächeln zuckte über seinen Mund. Wie lange hatte er darauf gewartet?

      Margot stieß ihm erneut in die Seite. Also nickte er beschwichtigend.

      »Ich hole nur schnell mein Werkzeug.«

      Im Nu hatte Franz das Schloss geknackt. Die Tür schwang so plötzlich auf, dass er vor Schreck zusammenzuckte. Knarrend blieb sie abrupt stehen, als gäbe es ein Hindernis, aber es gab keinen Knall, kein Geräusch.

      Franz starrte ungläubig auf die Tür und hatte seine Hand schon nach der Klinke ausgestreckt, als Margot knurrte: »Finger weg.«

      Er zuckte zurück, als hätte er sich verbrannt. Aus dem Zimmer kam ihnen eine dicke Staubwolke entgegen. Langsam breitete sie sich über dem Boden aus und kroch in den Flur, als wäre es ein dicker Nebel. Ungläubig starrte Franz auf seine Füße, die nun vollständig mit Staub bedeckt waren.

      »Was willst du in diesem Zimmer, Margot? Warum war es abgeschlossen? Das habe ich mich die ganzen Jahre gefragt, seitdem ich hier für deine Familie tätig bin.« Er versuchte, der Staubwolke mit ein paar Schritten auszuweichen. »Und offensichtlich hat hier nie jemand geputzt.«

      »Das geht dich nichts an«, unterbrach sie seinen Redeschwall.

      Er blickte sie forschend an. Ihre hellen grünen Augen blitzten ihn voller Tatendrang an, während das faltige knochige Gesicht unendlich müde und alt aussah.

      »Also weißt du, was da drin ist«, bohrte er weiter. Als sie nicht reagierte, fragte er: »Soll ich Frau Maart Bescheid geben, dass sie den Raum ordentlich putzen und lüften soll?«

      Margot wackelte nur mit dem Kopf und brummte etwas Unverständliches.

      »Nein?«

      Wieder antwortete sie nicht. Stattdessen fing sie an, vor der geöffneten Tür hin und her zu laufen. Er hob die Schultern. Frau Maart würde selbst auf die Idee kommen, wenn sie den Dreck und Staub entdeckte. Als er sich zum Gehen umwandte, brummte sie plötzlich: »Mach die Tür wieder zu.«

      Er sah sie verwundert an. »Zu?«

      »Ja!«, hauchte sie. »Zu, aber nicht wieder verschließen.«

      Wie gebannt starrte sie auf die Tür, während er zögerlich einen Schritt in das Zimmer machte und die Klinke ergriff. Sie fiel sacht ins Schloss, als wäre sie frisch geölt. Ungläubig starrte er auf die Tür und dann auf Margot. Diese verharrte an ihrer Stelle, schwer atmend und stocksteif.

      »Kann ich noch etwas für dich tun?«, frage Franz höflich, bekam jedoch keine Antwort. Ratlos, mit einem letzten Blick auf die geschlossene Tür, verabschiedete er sich von Margot und ging wieder seiner Arbeit nach.

      Von nun an sah Franz fast wöchentlich nach dem Rechten im Dena-Haus, und immer fand er Margot vor dieser Tür stehen. Nach einer Weile schien sie sie geöffnet zu haben, denn sie stand offen, wobei es im Zimmer weiterhin dunkel war, und es gab keine Anzeichen dafür, dass es jemand betreten hatte. Der dunkle, dicke Staub bedeckte immer noch den Boden, ebenso wie Teile des Flures davor.

      Franz versuchte krampfhaft herauszufinden, was in Margot gefahren war, aber sie antwortete ihm nicht. Wie gebannt starrte sie in den dunklen Raum und schien ihn nicht zu hören.

      »Kann ich heute etwas für dich tun, Liebes?«, fragte er beharrlich.

      Sie hasste es, wenn er sie »Liebes« nannte, und verscheuchte ihn mit einer abfälligen Handbewegung. Seinen neugierigen Blick in den Raum nahm sie deutlich wahr. Als hätte Franz sie wachgerüttelt, löste sie sich langsam von der gegenüberliegenden Wand, an der sie lehnte. Es wurde Zeit, dem Spiegel zu begegnen. In Zeitlupe schlurfte sie auf das Zimmer zu. Ihre Haltung war gebückter als sonst, der Gang schwerfälliger. Kurz hielt sie noch einmal inne, dann straffte sich plötzlich ihr gesamter Körper, ihre Wangen fingen an, rosig zu glühen, und die trüben hellgrünen Augen glitzerten. Stolz und erhobenen Hauptes betrat sie das Zimmer und hinterließ Fußspuren in der zentimeterdicken Staubschicht. Zielstrebig schlug sie die Vorhänge zurück, öffnete die Fenster und schob quietschend die eingerosteten Schlagläden zur Seite. Sie musste sich regelrecht dagegenstemmen, doch trotz ihrer kleinen zierlichen Statur schaffte sie es, die Sonnenstrahlen das Zimmer durchfluten zu lassen.

      Zufrieden drehte sie sich um. Mit dem Rücken zum Fenster und zur Sonne blieb ihr Blick nur für den Hauch einer Sekunde am Boden hängen, auf dem eigentlich ihr Schatten liegen müsste. Dann war dieser Moment auch schon vorbei. Sie wandte sich kurz nach allen Seiten um, um festzustellen, dass das Zimmer leer war. Einzig ein sehr großer rechteckiger Gegenstand lehnte an der Wand, links neben der Tür. Er war mit einem Leinentuch abgedeckt, das vor lauter Staub ganz grau war. Sie streifte diesen Gegenstand nur mit ihrem Blick und ging dann mit festem Schritt aus dem Zimmer. Minuten später tauchte sie schnaufend mit Putzutensilien bewaffnet wieder auf. Diese kleine runzlige Person mobilisierte ungeahnte Kräfte, die Franz voller Verwunderung beobachtete, als er immer wieder wie zufällig an dem Zimmer vorbei ging. Sie wischte den Boden, befreite jede Ecke vom Staub, putzte die Fenster, bis ihr kleine Schweißtropfen von der Nase fielen und sie schnaufte. Dabei vermied sie, den Gegenstand auch nur anzuschauen. Selbst als sie das Leinentuch abstaubte, schaute sie zur Seite. Sie musste sich ein Taschentuch vor den Mund halten, so viel Staub fiel herab.

      Margot spürte die Präsenz des Spiegels unter dem Leinentuch, denn er dominierte den gesamten Raum. Unruhig ging sie in dem Zimmer auf und ab und blickte angestrengt zur Seite. Sollte sie es wagen? Nur einen Blick? Deshalb war sie hier, in diesem