Im Land der Nuria. Annina Safran. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Annina Safran
Издательство: Bookwire
Серия: Die Saga von Eldrid
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783969870082
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wagte, einen Blick auf den verhüllten Gegenstand zu werfen, antwortete er mit einem sanften Leuchten. Das goldene Licht, das unter dem Leinentuch hervorkroch und sich auf dem Zimmerboden ausbreitete, ergriff ihre Füße. Mit einem beherzten Schritt stand sie neben dem Spiegel und zog mit spitzen Fingern an dem Tuch. Langsam glitt es herab, als ob es aus Seide wäre. Noch während es lautlos zu Boden sank, zuckte Margot zurück.

      »Das wollte ich dir auch gerade vorschlagen«, hörte sie Franz’ Stimme. Sie blickte den leuchtenden Spiegel an, wie er an der Wand lehnte. So groß wie ein Hüne, in blassem edlen Holz, schmucklos, kaum Verzierungen und kein Gold. So anders als die anderen vier Spiegel, und dennoch ein Prachtexemplar: der Dena-Spiegel. Und er leuchtete. In Zeitlupe wandte sie ihren Blick zu Franz, der in der Zimmertür stand und Margot anstarrte.

      Sie stand mit dem Rücken zum Fenster, durch das die Sonne hereinschien. Prall und hell, aber sie warf keinen Schatten in den Raum. Margots Blick wanderte vor sich und dann zu Franz, der ebenfalls auf den Boden starrte.

      »Was ist hier los?«, stammelte dieser, während seine Augen vom Boden zum leuchtenden Spiegel huschten. Ein leuchtender Spiegel – und wo war Margots Schatten? Wie konnte das sein?

      Margot fasste sich als Erste und funkelte Franz böse an. »Verschwinde«, schrie sie so laut, dass das gesamte Haus erzitterte.

      Er taumelte rückwärts und starrte sie entsetzt an. Noch nie hatte er sie so schreien gehört. Er war sich sicher, dass der Boden gebebt hatte. Klein und runzelig stand sie da, angestrahlt vom Sonnenlicht, oder von dem Licht des Spiegels? Noch bevor er einen klaren Gedanken fassen konnte, schoss sie auf ihn zu, und die Tür fiel krachend vor seiner Nase ins Schloss.

      »Verschwinde, Franz«, tönte es von innen. »Die Dena-Familie benötigt deine Dienste nicht länger. Also komm nicht wieder. Nie wieder.«

      Achtes Kapitel

       Franz

      Für einen Moment stand Franz vor dem Haus der Dena-Familie und blickte ungläubig an der Fassade hinauf. Dann fing er an zu lachen. Wie lange hatte er auf diesen Moment gewartet? Wie lange hatten sie auf diesen Moment gewartet? Er und Georg. Sie hatten vermutet, dass im Dena-Haus auch ein leuchtender Spiegel versteckt sein könnte, die Hoffnung aber schon fast aufgegeben, ihn jemals zu entdecken. Und jetzt? Jetzt hatte er das Leuchten mit eigenen Augen gesehen. Er konnte es kaum fassen. Es gab sie also wirklich, die Spiegel, die leuchteten. Nun war es an der Zeit herauszufinden, was es mit dem Leuchten auf sich hatte.

      Er zückte sein Handy und wählte eine Nummer.

      »Es ist wahr, Georg«, flüsterte er hinein. »Es ist tatsächlich wahr. Ich habe den zweiten leuchtenden Spiegel entdeckt, er ist hier. Im Dena-Haus. Du musst sofort herkommen.«

      Am anderen Ende der Leitung hörte er einen beschleunigten Atem.

      »Bist du sicher?«, fragte Georg.

      »Ja«, erwiderte Franz hastig. »Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Wie schnell kannst du hier sein?«

      »Ich denke, dass ich mich in ca. dreißig Minuten freimachen kann. Bleibst du dort?«

      »Ja, ich warte hier auf dich. Sie verlässt das Haus sowieso nicht, und selbst wenn? Wo sollte sie hin? Sie ist eine alte kleine hilflose Frau. Es wird ein Leichtes sein, sie zu befragen.«

      Es folgte ein »In Ordnung, bis gleich«, und dann hatte er aufgelegt.

      Leuchtende Spiegel. Franz hatte es für ein Märchen gehalten, als Georg ihm das erste Mal davon erzählte. Sie hatten sich in einer Bar kennengelernt, rein zufällig, und sich angefreundet. Georg, der kultivierte gebildete Butler der Taranee-Familie, der nach ein paar Gläschen Whisky gesprächig wurde, und Franz, der introvertierte Handwerker, der bei der Dena-Familie ein- und ausging. Ihre Arbeitswelten waren sehr unterschiedlich, aber ihr Trinkverhalten dafür umso ähnlicher. Beide waren sie große Whisky-Liebhaber, und so kamen sie ins Gespräch. Nach dem vierten oder fünften Glas wurde Georg offener. Er arbeite bei jemandem, der von einem Spiegel besessen sei, der leuchten könne. Das behauptete zumindest sein Chef, Edmund Taranee. Franz hatte von dieser Familie mit ihren riesigen Anwesen gehört. Dem alten Taranee eilte ein furchteinflößender Ruf voraus, vor allem wusste jeder in der Stadt, dass Edmund Taranee alles und jeden kaufen konnte. Als Georg ausplauderte, wer sein Arbeitgeber war, wurde Franz hellhörig. Eine Anstellung in einem dieser Häuser würde sein Auskommen auf Jahre im Voraus sichern. Geduldig hörte er dem persönlichen Butler der Familie zu, wie er von dem ominösen Spiegel erzählte. Es sei seine Aufgabe, ihn zu polieren und mehrmals täglich zu kontrollieren, ob dieser leuchtete. Edmund Taranee war davon überzeugt, dass der Spiegel leuchten könne. Franz konnte diese Geschichte erst nicht glauben und meinte, Georg sei dem Whisky doch zu sehr zugetan, aber dieser hörte nicht auf, davon zu erzählen. Auch berichtete er, dass er einige Gespräche belauscht hatte, in denen sein Herr mit seinem Enkelsohn über ein Land namens Eldrid sprach. Es ging um eine Reise, und es hatte etwas mit dem Spiegel zu tun. Im Laufe der Zeit fand Georg außerdem heraus, dass es mehrere Spiegel gebe, die ebenfalls leuchten könnten. Sie stünden in verschiedenen Häusern dieser Stadt. So hatte die Suche nach den leuchtenden Spiegeln begonnen.

      Ein kürzliches Ereignis veränderte dann alles. Georg rief aufgeregt bei Franz an und erklärte ihm, dass er mit eigenen Augen gesehen habe, wie dieser besagte Spiegel leuchtete. Mehr habe er leider nicht in Erfahrung bringen können, außer dass der Enkelsohn des alten Taranee seitdem in dem Zimmer mit dem Spiegel eingesperrt sei und wahnsinnig randaliere. Eine Art, die er von dem jungen Mann, wie er ihn nannte, gar nicht kenne. Seitdem durfte Georg das Zimmer nicht mehr betreten, was bei beiden großen Frust auslöste. Wie lange hatten sie auf diesen Moment gewartet, und nun durften sie den Spiegel nicht betrachten? Deshalb hatten sie sich auf die Suche nach weiteren solchen Spiegeln begeben, und Franz hatte sich an das verschlossene Zimmer im Dena-Haus erinnert. Wie durch ein Zufall ließ Margot sich von Franz die Tür öffnen – und da war er. Der leuchtende Spiegel im Dena-Haus. Franz konnte es kaum erwarten, ihn Georg zu zeigen.

      Neuntes Kapitel

       Der Kobolddrache

      Elegant spannte der Kobolddrache die Flügel extra weit aus, flog einen großen Bogen um seine Erweckerin und ihren Begleiter, ließ sich immer tiefer gleiten und setzte dann zur Landung an. Diese gelang jedoch nicht. Mit einem krachenden Bauchplatscher landete er genau vor Ludmillas Füßen. Sie machte vor Schreck einen Satz zur Seite und quietschte auf. Blitzschnell duckte sich Lando, packte den Drachen am Schwanz und riss ihn in die Luft. Ein triumphierendes »Ha« entfuhr ihm, das in einen Schmerzensschrei überging. Der Formwandler ließ das Wesen fallen und hielt sich eine feuerrote Hand, die vor Hitze nur so zischte.

      »Was ist das?«, presste er hervor.

      Ludmilla betrachtete das Wesen voller Bewunderung. »Wusste ich es doch«, flüsterte sie. »Ich habe mich nicht getäuscht. Da war tatsächlich etwas.«

      Pass bloß auf, zischte Aik in ihrem Kopf, so dass sie zusammenzuckte. Das war das erste Mal, dass sich ihr Schatten von sich aus an sie wandte. Das ist ein Kobolddrache. Sie sind sehr selten, und offenbar hast du ihn erweckt. Wenn dir ein Drache dient, dann hast du automatisch viel mehr Macht. Sie hörte ein missbilligendes Seufzen. Als wenn wir noch mehr bräuchten.

      Ludmilla verdrehte ungeduldig die Augen. Was muss ich tun?

       Er muss dich als seine Herrin anerkennen. Bis er das tut, packe ihn am Hals. Dort kann er dich nicht verbrennen. Du musst ihm demonstrieren, wie mächtig du bist, sonst wird er dir nicht gehorchen, sondern dir auf der Nase herumtanzen.

      Vorsichtig näherte sich Ludmilla dem kleinen Drachen. »Was bist du denn für ein süßes Kerlchen«, lachte sie leise, als einer der drei Köpfe ihr die Zunge herausstreckte. Der andere Kopf fauchte sie feindselig an.

      »Das nennst du süß?« Lando fluchte immer noch. »Sein Schwanz brennt wie Feuer.«

      »Das passt doch. So niedlich. Kann Feuer spucken, die Zunge rausstrecken und vielleicht sogar sprechen?«