Kopfschüttelnd und in Gedanken versunken rief Zamir einen Croax-Wolf zu sich. Er liebte diese Kreaturen, die er in seiner Gefangenschaft erschaffen hatte. Ein wolfsartiges Geschöpf in der Größe eines Riesen auf allen vieren, dessen Hinterläufe ein Schwarm Späher bildete. Es gab in Eldrid kaum etwas Furchteinflößenderes, von den lebendigen Schatten abgesehen. Zamir freute sich, das Wesen nun endlich selbst reiten zu können, obwohl es ihm widerstrebte, seinen Spiegel schon wieder zu verlassen. Zu kurz war die Wiedervereinigung und zu wenig Kraft hatte er bisher aus der Reaktivierung gezogen. Er würde ihn gerne noch viel länger und viel öfter leuchten lassen, aber da stand der alte Taranee auf der anderen Seite und erwartete seinen Enkelsohn zurück. Fast liebevoll strich Zamir über den goldverzierten, reich geschmückten Rahmen und ließ ihn kurz aufleuchten. Wie ein Zittern. Dann schnippte er mit den Fingern und der Spiegel erlosch.
»Du leuchtest nur, wenn ich es dir erlaube. Lasse niemanden durch, verstanden?« Eine Antwort erwartete der Spiegelwächter nicht. Für einen kurzen Moment dachte er an Uri, seinen Bruder, der völlig geschwächt von dem Bruch des Verbannungszaubers war. Er lag in seiner Höhle und war so kraftlos und machtlos, während Zamir nun endlich frei war. Große Genugtuung durchströmte ihn. Uri war gebrochen und er frei. Es war an der Zeit, die Welt zu erkunden, die er in Dunkelheit getaucht hatte und die er so sehr liebte. Sein Reich: Fenris.
Zamir genoss den Ritt auf dem Croax-Wolf. Die mächtige Kreatur trug ihn durch den dunklen Teil des Waldes und hinaus auf die Moorebene. Er zerplatzte fast vor Stolz, während das schwere riesige Tier ihn knurrend und hechelnd über die schwarze Ebene trug. Der Croax-Wolf setzte nur mit den Vorderpfoten auf, während die Hinterläufe, getragen von den Spähern, über den Untergrund flogen. Er war auf dem Weg zu seinen Schatten. Zunächst beabsichtigte er, dem Dorf der schattenlosen Wesen einen Besuch abzustatten. Er wollte sich ein Bild von den unglücklichen Kreaturen machen, die er zu dem gemacht hatte, was sie waren: schattenlos. Zamir hatte kein Mitleid mit ihnen, weit gefehlt. Sie würden ihm noch von Nutzen sein, die schattenlosen Wesen, deshalb erhielt er sie am Leben. Solange ihre Schatten seine Armee waren, konnte er es nicht riskieren, sie zu verlieren. Jedoch mehr als lebensverlängernde Maßnahmen, indem sie mit dem nötigsten Licht versorgt wurden, konnte er sich nicht abringen. Obwohl er sie zu dem gemacht hatte, was sie waren, verabscheute er sie. Er hasste alle Wesen des Lichts, die sich an ihren Schatten klammerten, als wäre er der Grund für ihr Dasein. Die Schatten, ja, die Schatten waren die Mächtigen in Eldrid. Das hatte selbst Zamir längst verstanden. Deshalb hatte er die Alte Kunst erlernt und sprach mit seinem Schatten. Ein Grund war, dass er so verhindern konnte, dass ihm sein Schatten gestohlen wurde. Es fiel Zamir immer noch schwer, ihn als ebenbürtig anzuerkennen.
Das Dorf der schattenlosen Wesen würde ein Zwischenstopp sein, mehr nicht. Denn seine Schatten waren es, die ihn interessierten. Die Lebendigen und die Mächtigen. Davon hielten sich ein paar im Dorf der schattenlosen Wesen auf, die Mehrzahl jedoch lebte im Schattendorf. Gut versteckt und bereit für den großen Angriff. Zamir musste sich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass alles nach Plan verlief.
Sofort kam ihm der Schattenkönig in den Sinn. »Godal«, knurrte er vor sich hin. Dieser ignorierte mal wieder seit längerem seinen Ruf. Das brachte Zamir zur Weißglut. Die anderen Schatten rief er in der Regel nicht. Nur, wenn er ihre Macht zum Pentagramm vereinigen musste, und dies sparte er sich für Großes auf. Für den Plan. Da Godal nicht auf seine Rufe reagierte, ging es Zamir nun darum, diesem mächtigen Schatten klar zu machen, wer sein Herr war. Jetzt, da der Spiegelwächter frei war, konnte er ihm das noch viel besser verdeutlichen. Zamir hasste es, wenn Godal ihm nicht gehorchte. Zu seinem Unmut war diesem das schon seit längerer Zeit zur Gewohnheit geworden. Ein Grund mehr, in das Schattendorf zu reisen und sich selbst ein Bild zu machen. Endlich konnte er seine Pläne in die Tat umsetzen. Jahrhunderte der Gefangenschaft hatten ihn ungeduldig werden lassen. Ungeduldig und wütend, aber auch sehr mächtig. Er verzog sein makelloses Gesicht zu einer diabolischen Fratze. Seine Pläne, wie sehr er sich darauf freute! Das würde ein Fest werden. Ein Fest für die Dunkelheit, ein Fest für die Schatten und vor allem ein Fest für ihn: Zamir, den Schöpfer der Dunkelheit und bald der Herrscher über Eldrid.
Er hatte das Dorf der schattenlosen Wesen fast erreicht. Auf einen einfachen Fingerzeig hin verlangsamte der Croax-Wolf seine Schritte, und die Späher verstummten. Zufrieden blickte Zamir auf das Meer von Baracken und Zelten, das sich an den Fuß des Gebirges schmiegte. Er sah die unzähligen kleinen Punkte in der Dunkelheit leuchten und die dicke Schattenwolke, die über diesem Teil von Eldrid hing. Sie musste schon mehrere Schichten haben, so dunkel war es. Auf seinem Gesicht breitete sich ein selbstgefälliges Lächeln aus.
»Bring mich zu Ceres«, befahl er der Bestie, von dessen Hinterläufen sich die Späher gelöst hatten. Der riesenhafte Wolf bewegte sich geschickt zwischen den Behausungen hindurch und erklomm die Anhöhe bis zu der Halle der Zeremonien fast anmutig. Die doppelflügelige Tür stand offen, und Zamir konnte Schreie vernehmen. Als die Kreatur ihn in die Halle trug, sah er gerade noch, wie der blonde Haarschopf des jungen Taranee von einem der lebendigen Schatten in dem Becken der Wahrheit versenkt wurde und der Rest des Körpers ebenfalls verschwand.
»Was geht hier vor sich?«, polterte Zamir los. Es befanden sich zwei Schatten am Becken der Wahrheit. Sie schwebten in ihren schwarzen Umhängen mit breiten Kapuzen über dem Boden, und ihre glühenden Augen wandten sich Zamir zu. Der größere der beiden ließ Mainart, den Magier, kopfüber über dem Becken baumeln. Er ließ ein ungeduldiges Zischen vernehmen, das selbst Zamir durch Mark und Bein ging.
Zamir trieb den Wolf an, die Halle zu durchqueren, und grollte: »Ceres!« Seine Stimme überschlug sich fast. »Erstatte mir Bericht, sofort!«
Der Schatten gab ein abscheuliches Lachen von sich. »Dieses Miststück von Scathan-Erbin hat sich aus dem Staub gemacht. Direkt durch das Becken zusammen mit dem Unsichtbaren und dem Formwandler.« Seine Stimme klang blechern und knarrte künstlich. »Wir konnten den Zauberer schließlich davon überzeugen, uns ihr Ziel zu verraten, und haben den Taranee-Erben hinterhergeschickt. Er war ganz versessen darauf, die Scathan zu verfolgen.«
Ein höhnisches knarrendes Lachen ertönte, gefolgt von einem markerschütternden Zischen.
Zamir nickte zufrieden. »Er wird seine Aufgabe erfüllen. Früher oder später. So ist er beschäftigt. Hauptsache, er hält mir dieses Mädchen vom Leib und sich selbst gleich dazu.«
Ceres ließ ein weiteres grausames krächzendes Lachen erklingen. »Das wird er, mein mächtiger Herrscher.«
Zamirs Blick wanderte zu Mainart, der noch immer kopfüber über dem Becken schwebte. Sein Gesicht war verbrannt, ebenso wie seine linke Hand. Ein Lächeln zuckte über Zamirs Lippen. »Was habt ihr mit ihm gemacht? Musstet ihr ihn so zurichten?«
Er wandte sich damit an den zweiten Schatten, der neben Ceres schwebte. Dieser wich zurück und neigte den Kopf.
»Wir haben ihn nur dazu bewegt, uns zu sagen, wohin die drei verschwunden sind. Mir war klar, dass er es wusste, bei der Wahrheitsfindung musste ich etwas nachhelfen«, erklärte Ceres.
»Ihr habt ihn ganz schön zugerichtet. Lebt er noch?«
Der Schatten nickte. Zamir machte eine ausladende Bewegung mit der Hand. »Schafft ihn weg.«
Mit einem lauten Knall ließ Ceres den leblosen Körper auf den Boden fallen. Der andere Schatten schulterte ihn mühelos und trug ihn aus dem Saal.
Zamir wandte sich dem mächtigen Schatten zu. »Gut, Ceres. Ich bin zufrieden mit deiner Arbeit. Du scheinst alles unter Kontrolle zu haben. Gehorchen sie euch? Sind sie gefügig?«
Ceres nickte. »Du kannst unbesorgt sein, mein mächtiger Herrscher, die Schattenlosen folgen unseren Anweisungen und widersetzen sich nicht.«
»Nun denn«, erwiderte Zamir selbstgefällig. »Dann mache ich mich auf den Weg in das Schattendorf. Ich nehme an, dass sich dort auch Godal aufhält.«
Der