Dem Gesichtsausdruck von Garrett nach zu schließen, war Sho aber genau sein Typ. Er versuchte zwar, cool zu wirken, aber ich war zu oft mit ihm auf der Pirsch gewesen, um den Ausdruck in seinen Augen misszuverstehen. Oh, damit konnte ich ihn später so was von aufziehen! Seele und Herz, von wegen. Mit ausladender Geste stellte ich die beiden einander vor. »Sho, das ist unser neuer Kriminalberater Garrett Wilson. Er ist ein Freund von mir. Garrett, Michael Sho, unser IT-Hexenmeister.«
»Ich mag den Titel, den du mir da zuteilwerden lässt«, sagte Sho und wackelte mit den Augenbrauen. »Mir fehlt nur noch ein Hoodie, der damit bedruckt ist.«
»Den kannst du dir gerne selber kaufen. Du verdienst mehr als ich«, gab ich zurück.
Sho entknotete seine Beine und stand auf, um Garrett die Hand zu geben. »Freut mich.«
Garrett schüttelte ihm die Hand und errötete leicht. »Ja, gleichfalls.«
»Ein alter Freund von Donovan, hm?« Sho legte den Kopf schief, setzte sich wieder und deutete auf die beiden Besucherstühle, die an der Wand standen. »Ein alter Armyfreund vielleicht?«
»Ja, wir waren ein paar Jahre bei der gleichen Einheit.« Garrett setzte sich neben mich und ließ die ganzen Monitore und Computer, den riesigen Fernsehschirm an der Rückwand und Dutzende andere Elektronik-Spielsachen, die ich gar nicht kannte, auf sich wirken. »Das hier erinnert mich sehr an die Höhle von Batman.«
Sho fing sofort an zu strahlen. »Ja, wenn ich jetzt nur noch Alfred und das Batmobil hätte, dann wäre ich wunschlos glücklich.«
»Und die Milliarden«, sagte ich kopfschüttelnd. Ich hatte genau gewusst, dass Garrett hier richtig war. Das bestätigte sich mit jedem neuen Kollegen, den wir ihm vorstellten. Ein Arbeitsumfeld wie das hier würde ihm guttun. »Sho, er braucht die Komplettausstattung. Er läuft bei Jon und mir mit, bis Tyson wieder da ist.«
»Aha, Defcon Delta«, bemerkte Sho nachdenklich.
Während Sho die Kisten unter dem Fernseher durchsuchte, in denen er all seine Schätze hortete, erklärte ich Garrett das System. »Wir haben hier verschiedene Sicherheitslevel. Paranormale sind gefährlich für die Elektronik, denn ihre übersinnliche Energie ist nicht mit Elektrizität kompatibel. Es ist nicht bei allen gleich extrem, die meisten geben selbst nicht genug Energie ab, um etwas kaputt zu machen. Carol zum Beispiel kann sogar während ihrer Lesungen Handys und andere Geräte benutzen. Jon ist einfach eine Ausnahme.«
»Für die meisten übersinnlich Begabten gilt Defcon Alpha«, erklärte Sho, während er ein Laptop und eine EMP-Schutzhülle herauszog und auf den Stuhl legte. »Wenn man hier in der Agentur mit einem der Medien zusammenarbeitet, gilt Defcon Bravo. Wenn man im Nachbarbüro von Jon oder an einem Ort sitzt, wo er öfter vorbeikommt, gilt Defcon Charlie.«
»Und wenn ich direkt mit ihm zusammenarbeite, gilt Defcon Delta?«, fragte Garrett, der mit einer hochgezogenen Augenbraue registrierte, was Sho alles an EMP-Ausrüstung aus seinen Kisten hervorholte. »Dass er meine Armbanduhr geschrottet hat, ist also kein Einzelfall?«
»Jon ruiniert jeden Monat irgendetwas«, erwiderte ich achselzuckend. »Er passt wirklich gut auf, aber manchmal kommt es doch vor, dass er nicht so ganz darauf achtet, und – sssst! Genau wie bei deiner Uhr.«
»Verstehe. Mein Job ist also, ihn beim Aufpassen zu unterstützen.«
»Das kann nicht schaden. Wenn er in eine Lesung eintaucht, vergisst er alles um sich herum.« Das machte mir übrigens eine Höllenangst. Nachdem ich ein paar Monate mit ihm gearbeitet und gesehen hatte, mit was für Verbrechern er dauernd in Kontakt kam, konnte ich nur spekulieren, wie es gewesen war, bevor ich hier angefangen hatte. »Sho, ich weiß nicht genau, ob das eine Rolle spielt, aber Jim sagte, das Revier in Clarksville hat uns angefordert. Wir müssen wahrscheinlich noch diese Woche dorthin.«
Sho erstarrte und wandte sich langsam um, wie die Hauptdarstellerin in einem Horrorfilm, hinter der das Monster schon lauert. Er sah regelrecht verängstigt aus. »Nicht schon wieder! Was ist es denn dieses Mal?«
»Jim war sich nicht sicher. Nur dass es drei Frauenmorde gegeben hat und dass sie keine Verdächtigen und keine Spuren haben. Er versucht gerade, mehr herauszubekommen.«
»Scheiße.« Sho sank in sich zusammen. »Na hoffentlich wird es dieses Mal nicht so dramatisch, weil wir jetzt euch haben.«
»Hallo, ich bin der Neue«, erinnerte ihn Garrett, indem er mit dem Finger auf sich zeigte. »Bin noch nicht auf dem Laufenden.«
»Der letzte Fall war ein Albtraum«, sagte Sho, der kurzzeitig seine Suche abbrach und sich an die Kisten lehnte, die Arme vor der Brust gekreuzt. »Es ging um Identitätsbetrug. Zwei verschiedene Firmen schworen Stein und Bein, dass eine bestimmte App bei ihnen im Haus entwickelt worden war, von einem Ingenieur, der bei beiden beschäftigt gewesen war. Beide bestanden darauf, die Urheberrechte für die App zu haben. Die ganzen Beweise waren auf den Computern, wir konnten nicht alles ausdrucken, und Carol und Jon mussten energetische Lesungen im Akkord machen. Die Leute dort vergaßen ständig, dass Jon eine Gefahr für die Elektronik ist, und kamen ihm immer wieder zu nahe. Er bemühte sich wirklich, Probleme zu vermeiden, aber die anderen waren einfach leichtsinnig. Ich habe es selbst beobachtet. Drei Zwischenfälle hätten verhindert werden können, wenn die Leute achtsamer gewesen wären. Für Jon war es die Hölle, weil er dauernd angebrüllt wurde, und für mich war es die Hölle, weil ich ständig Dinge ersetzen musste. Es kam so weit, dass er sich einfach in eine Ecke zurückgezogen und sich geweigert hat, den Raum zu verlassen, wenn einer der Beamten in der Nähe war. Rückblickend ist es eigentlich ganz lustig, aber trotzdem möchte keiner von uns das noch mal erleben.«
Das konnte ich mir vorstellen, und meine Besorgnis nahm zu, als ich das hörte. »Und da bestellen sie ihn trotzdem ein?«
»Das kann nur heißen, dass die Situation extrem unschön ist und dass sie eine schnelle Lösung brauchen. Das ist sowieso der einzige Grund, warum sie uns überhaupt anrufen.« Sho rieb sich die Stirn und starrte aus seinen dunklen Augen abwesend ins Leere. »Ich gehe mal davon aus, dass ich auch mitmuss. Zumindest für den ersten Tag. Vielleicht können wir eine Katastrophe vermeiden, wenn wir genug EMP-Schutzhüllen verteilen.«
»Man kann es auf jeden Fall versuchen«, stimmte Garrett lächelnd zu. »Ich kann dir helfen.«
Sho nickte ein bisschen scheu. »Danke. Das wäre wirklich gut. Aber jetzt lass uns dafür sorgen, dass du vor unserer wandelnden Gefahrenzone sicher bist.«
Ich blieb auf meinem Stuhl sitzen und schaute zu, wie Garrett mit den gleichen Schutzmechanismen ausgestattet wurde, wie ich sie benutzte. Sho druckte eine vorübergehende Dienstmarke für Garrett aus. Das hatte er damals für mich nicht getan, aber es sah auch ganz so aus, als ob Garrett seinen Ausweis früher brauchen würde als ich.
Eine halbe Stunde später verließen wir Shos Büro, um einige Dinge reicher als beim Hineingehen, in mehrerlei Hinsicht. Garrett hatte ganz beiläufig nach Shos Nummer gefragt, rein dienstlich, versteht sich – nicht, dass ich ihm das auch nur eine Sekunde lang abkaufte. Dieses Grinsen kannte ich zu gut.
Als wir sicher außer Hörweite waren, beugte ich mich zu ihm hinunter und flüsterte ihm ins Ohr: »Endlich hast du jemanden gefunden, der klein genug für dich ist.«
Ohne mit der Wimper zu zucken, boxte er mich hart in die Rippen.
»Aua!«, beschwerte ich mich. Es hatte zwar nicht wirklich wehgetan, da er nicht mit voller Kraft zugeschlagen hatte, aber es ging hier ums Prinzip. »Wieso haust du mich?«
»Weil du es darauf angelegt hast, Havili. Der Kerl ist so süß wie ein Rudel Hundebabys«, sagte Garrett, dessen Südstaaten-Slang gerade noch mehr durchklang als sonst. Dann warf er einen sehnsüchtigen Blick zurück. »Bitte sag mir, dass er Single ist.«