Ich hatte keine Brüder. Aber wenn ich die beiden so beobachtete, konnte ich mir den Gedanken nicht verkneifen, dass Brüder sich wahrscheinlich genau so verhielten. Sie zogen sich gegenseitig gnadenlos auf, aber wenn etwas passierte, waren sie die Ersten, die füreinander einstanden.
»Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt?«, fragte Sho.
Ich denke, uns war allen klar, dass er Donovan aus der Patsche helfen wollte, aber Garrett ging bereitwillig darauf ein. »Wir hatten gerade den SOPC 1 – sorry, den Special Operations Prep Course, die Grundausbildung für die Spezialeinheiten – hinter uns gebracht. Es ist das Erste, was du absolvieren musst, wenn du zu den Special Forces willst. Also, wir hatten das gerade hinter uns, und ich hatte Don zwar kennengelernt, aber wir hatten nie viel miteinander zu tun gehabt. Dann kam der nächste Kurs, der sogenannte Q-Kurs. Da haben wir Razzien, Hinterhalte, Aufklärung und so Zeugs trainiert. Na ja, und etwa nach der Hälfte der Zeit hat so ein Typ in meiner Einheit rausbekommen, dass ich nicht hetero bin, und angefangen, mir deswegen Stress zu machen. Nicht, dass ich je einen von denen angegraben hätte. Keine Ahnung, was sein Problem war, aber er konnte es einfach nicht gut sein lassen. Eines Abends, als wir alle in der Kantine saßen, hat er dann immer wieder davon angefangen, dass es ›Adam und Eva‹ und nicht ›Adam und Adam‹ heißt.«
Donovan drehte sich nach hinten um und erzählte die Geschichte weiter. »Und ich saß am Nebentisch und musste mir das dumme Geschwätz anhören, was nach einer Weile echt genervt hat. Also hab ich irgendwann gesagt, dass es ›Homo sapiens‹ und nicht ›Hetero sapiens‹ heißt.«
Ich schnaubte amüsiert.
»Daraufhin haben alle angefangen, zu pfeifen und zu lachen, und der Typ ist rot geworden und hat Don auf den Kopf zugesagt, dass er mein Lover wäre oder so, aber da musste ich schon so lachen, dass es mir ziemlich wurscht war, was der Idiot dachte.« Garrett zuckte die Achseln. »Ich habe einfach mein Tablett genommen, mich zu Don gesetzt und ihn zu meinem neuen besten Freund erklärt. Wir waren da die Einzigen, die keine Heten waren. Also haben wir einfach angefangen, uns gegenseitig Rückendeckung zu geben, und das haben wir uns auch nie abgewöhnt.«
Gewohnheit? Das kaufte ich ihm keine Sekunde ab. Sho ging es genauso, und ein kleines, rätselhaftes Lächeln umspielte seinen Mund. »Aha, so war das. Und wart ihr dann zusammen im Einsatz?«
»Wir waren oft am gleichen Ort stationiert, ja. Jedenfalls bis zu den letzten drei Jahren, als der da sich unbedingt zur Militärpolizei versetzen lassen musste.« Das Bedauern darüber war deutlich auf Garretts Energiebahnen zu sehen. »Wäre wahrscheinlich besser gewesen, wenn ich gleich mit gewechselt wäre.«
Mich überlief es kalt, als ich verstand, was er meinte. Das Säureattentat. Garrett dachte, dass er hätte verhindern können, was geschehen war. Die ganze Geschichte hatte Donovan mir immer noch nicht erzählt. Ich wusste nur, dass er sich vor jemanden geworfen hatte. Ich hatte allerdings auch nicht nachgebohrt. Es war immer noch schmerzhaft für ihn, daran zurückzudenken, nicht nur psychisch, sondern auch körperlich, denn seine Nervenenden trugen noch die Erinnerung an die Schmerzen in sich – und ich wollte nicht aus reiner Neugier alte Wunden aufbrechen.
Donovan schüttelte den Kopf. »Es bringt doch nichts, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Außerdem hat es mich hierhergeführt. Und dich jetzt auch.«
»Das stimmt natürlich – und Jon ist sexy genug, um dich zu entschädigen.« Wieder wackelte er mit den Augenbrauen, und ich musste lachen.
Ich konnte schon verstehen, warum Donovan diesen Kerl mochte. Er war eine wandelnde Charme-Bombe. »Äh, danke. Glaube ich.« Vor uns konnte ich buchstäblich das Licht am Ende des Tunnels sehen, was bedeutete, dass wir uns mittlerweile so weit vorgearbeitet hatten, dass wir in etwa zehn Minuten auf die Interstate 24 abbiegen konnten. Vielleicht auch fünfzehn. Halleluja.
»Aber mal was anderes«, sagte Garrett und lehnte sich nach vorn, damit wir ihn besser verstehen konnten. »Wie oft habt ihr denn so mit Mordfällen zu tun?«
»Etwa in fünfzig Prozent der Fälle«, antwortete ich mit einem Blick auf die Straße. Es ging gerade wieder ein paar Zentimeter weiter voran.
»Normalerweise dreht es sich um Diebstahl und um Betrug, so wie wir personell aufgestellt sind«, steuerte Sho mit seiner sanften Tenorstimme bei. »Jon führt oft Befragungen durch, denn er ist ein ausgezeichneter Lügendetektor. Aber manchmal werden wir bei den Ermittlungen in Mordfällen hinzugezogen, meist, wenn sie Schwierigkeiten haben, die Leiche zu finden. Oder wenn vermutet wird, dass ein Mord verübt wurde, es aber keinen Leichenfund gibt, der es schlüssig beweist.«
»Der Fall in Clarksville ist also nichts Ungewöhnliches?«
»An sich nicht«, sagte Sho mit einem eleganten Schulterzucken. Er trug heute doch tatsächlich ein businesstaugliches Outfit: dunkle Jeans, ein weißes Oberhemd und ein Jackett. Irgendwie wirkte er, als wäre er nicht ganz in seinem Element. Vielleicht kam es mir aber auch nur so vor, weil ich ihn eigentlich nur in seinen lässigen Klamotten kannte. Aber gut sah er auf jeden Fall aus. »Weißt du schon die Einzelheiten?«
Garrett schüttelte den Kopf. »Nein. Wieso? Haben wir Infos bekommen?«
»Ah.« Sho schnippte mit den Fingern. »Das hatte ich vergessen. Deine E-Mail-Adresse ist schon eingerichtet, aber du stehst wahrscheinlich noch nicht auf Jims Mailingliste.«
»Er hat gestern Abend spät noch eine Mail mit den wichtigsten Informationen geschickt«, fügte Donovan hinzu. »Ich hab’s aber ehrlich gesagt auch nur überflogen. Sho, setz uns doch mal ins Bild.«
»Aber gerne.« Sho beugte sich auch nach vorn, damit wir ihn gut verstehen konnten. Dieses Gefährt war nicht das leiseste. »Der Fall liegt wie folgt: Ein unbekannter Angreifer, vermutlich männlich, schleicht sich an Frauen an, die nach der Arbeit zu ihrem Auto gehen. Er schlägt den Opfern mit einem stumpfen Gegenstand auf den Hinterkopf und flieht dann.«
Ich blinzelte ein paarmal bei dieser Beschreibung. »Wie jetzt. Er raubt sie nicht aus? Keine sexuellen Übergriffe? Er zieht ihnen einfach eins über und nimmt dann Reißaus?«
»Klingt absurd, oder?« Sho schüttelte nachdenklich den Kopf. »Darum wurde der Fall zuerst auch nicht besonders ernst genommen, glaube ich. Es war zwar ganz klar ein tätlicher Angriff, die Frauen waren verletzt und verängstigt. Aber es gab keinen langfristigen Schaden. Und es hat ihn nie jemand gesehen. Er hat es sogar geschafft, allen Überwachungskameras in der Gegend zu entgehen.«
»Was hat sich dann geändert?«, fragte Garrett. »Wenn er anfangs niemanden umgebracht hat, was ist passiert, dass die Sache eskaliert ist?«
»Das ist unklar. Laut Bericht hat er die Waffe gewechselt. Zuerst hat er einen stumpfen Gegenstand benutzt – zum Beispiel den Griff einer Axt oder eines Vorschlaghammers. Später wurden die Waffen heftiger. Die letzten Opfer sind tot, weil er einen Schürhaken benutzt hat. Die Waffe wurde jeweils bei den Leichen zurückgelassen, aber Fingerabdrücke gibt es keine.«
Donovan pfiff leise. »Klingt total verrückt. Ich kann verstehen, dass die Ermittler frustriert sind. Keine Zeugen, keine Hinweise, buchstäblich kein Anhaltspunkt, und der Typ wird mit jeder Tat gefährlicher. Wo genau passiert das alles?«
»Direkt in der Innenstadt von Clarksville, um den Marktplatz herum.« Sho klang entnervt. »Man sollte denken, dass es da genügend Kameras und Security gibt, um einen Blick auf ihn zu erhaschen. Aber anscheinend sind die alle nach innen gerichtet. Die Bordsteine und Straßen außerhalb werden nicht erfasst, und er hat die blinden Flecken ausgenutzt.«
»Der Täter ist also nicht nur verrückt, sondern auch gerissen«, brummte Garrett leise. »Langsam wird mir klar, warum die Polizei Kriminalmedien dabeihaben will. Also, nur damit ich es richtig verstehe: Carol kann Gegenstände nachverfolgen und Leichen auffinden, richtig?«
»Richtig«, bestätigte Donovan. »Wir fangen also mit ihr an. Jon kommt ins Spiel, sobald sie eine Spur hat. Er kann sagen, wer lügt, und mehr herausbekommen, als es bei einem normalen Verhör möglich ist.«
»Wir arbeiten oft auf diese Weise zusammen«, ergänzte ich, damit Garrett einen