»Durchaus nicht. Machen Sie mir die Freude, den Tee mit mir zusammen zu nehmen!«
Sie saßen sich am Tisch gegenüber.
»Sie müssen vorlieb nehmen, Herr Uhlenkort. Die Tischplatte biegt sich nicht unter der Last. Hätte ich bestimmt gewußt, daß Sie kommen …«
Uhlenkort blickte fragend auf.
»Bestimmt? Fräulein Christie, wie meinen Sie das?«
»Oh!« Eine leichte Röte glitt über ihr Gesicht. Sie klappte sich mit der Hand auf den Mund.
»Ah! Sie haben mich wohl gesehen, als ich heute morgen bei Simmons Brothers war, obgleich Sie so vertieft in Ihre Manuskripte blickten.«
»Ja, ich sah Sie.«
»Sie sahen mich und haben mich – wenn auch nicht bestimmt – erwartet. Das wollten Sie sagen, Fräulein Christie?«
»Ja, Sie hatten es leicht, Gedanken zu lesen … überhaupt wohl leicht, meinen Aufenthalt festzustellen.«
»Wie meinen Sie das, Fräulein Christie?«
»Ich vermute wohl nicht mit Unrecht, Herr Uhlenkort, daß Ihr Wissen aus dem Pinkerton Office stammt.«
»Richtig geraten, Fräulein Christie! Weshalb hinter dem Berge halten.
Sie mögen gehen, wohin Sie wollen, ich werde stets wissen, wo Sie sind.«
»Warum diese Mühe, Herr Uhlenkort?«
»Weil Sie zu uns gehören, Christie. Sie sind eine Harlessen.«
»Sie sind aber doch ein Uhlenkort.«
»Harlessen und Uhlenkort gehören zusammen.«
Der Ernst, mit dem er die Worte sprach, ließ sie schweigen. Sie fühlte seinen Blick voll auf sich ruhen. Fühlte, wie ihr Herz bei diesen Worten mitklang.
»Dann weiß ich wohl, weswegen Sie hierher kommen.« Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, suchte nach Worten und stieß es dann heraus:
»Sie kommen wieder, das verirrte Schaf zurückzuholen.«
»Christie! Warum so bitter? Fassen Sie meine Worte so auf? Können Sie sich nicht denken, daß ich aus persönlichen Gründen ein Interesse habe, mich um Sie zu kümmern? Ich verließ Sie damals in Kapstadt in einer schlimmen Lage … auf dem Krankenbett. Wäre es nicht widersinnig, wenn ich Sie danach verlassen hätte? Ich war froh, als ich erfuhr, daß Sie hier in Stellung waren. Als ich hörte, daß Sie aus dem gefährlichen Beruf heraus seien.«
»Nun … und wennschon.«
»Christie, wie kamen Sie dazu?«
»Sie wissen es ja! Und schließlich, wen geht’s denn was an?«
»Christie, können Sie sich nicht denken, daß mein Herz …«
Christie wandte ihm das Gesicht zu und sah ihm in die Augen. Ihre Blicke senkten sich ineinander.
»Ich glaube Ihnen, Herr Uhlenkort. Ich will Ihnen glauben, trotz allem, was mir geschehen ist … meinem Vater geschehen ist.«
»Ihrem Vater, Christie? Wieder der alte Vorwurf! Warum quälen Sie mich? Ich versichere Ihnen, daß man sich in Hamburg die größte Mühe gab, ihn zu finden. Ihn trotz aller Bemühungen nicht zu finden vermochte. Bis ich an den Kanal kam, unglücklicherweise zu spät kam.
Eine Woche früher, und ich hätte ihn lebend getroffen, und alles wäre anders geworden.«
»Anders geworden? Vergessen Sie nicht, auch mein Vater war ein Harlessen.«
»Und doch hätte er in diesem Falle die Hand, die sich ihm von Hamburg entgegenstreckte, nicht zurückgewiesen.«
»Sie sagen das, Herr Uhlenkort.«
»Jawohl, Christie! Ich behaupte das, weil ich weiß, daß er eben ein Harlessen war. Sie sagten mir ja, wie oft er an Hamburg gedacht … wie oft er Ihnen davon erzählt hat.
Ich hätte es auch gewußt, ohne daß Sie es mir berichtet hätten. Gerade weil er ein Harlessen war, fühlte er die Vereinsamung. Wie sehr er die Bitternis, in der Fremde zu leben, empfand, wird er Ihnen nicht offenbart haben. Ich aber sage es Ihnen, nie … nie konnte er sich in der Fremde glücklich fühlen. Die zerrissenen Bande …«
Er war aufgesprungen und durchmaß mit heftigen Schritten den kleinen Raum. In Christies Zügen wechselten jagend Blässe und Röte.
Mit einem Ruck blieb er plötzlich vor ihr stehen.
»Und du! Christie, du … du willst es nicht sagen … und doch, du … du fühlst dich auch als eine Harlessen, fühlst, daß du zu uns gehörst, zu uns hingehörst nach Hamburg …«
Schweigen lastete in dem kleinen Raum. Es drängte sie, ihm die Hand zu reichen. Es schrie in ihr: Ja! Ja! Du hast recht! Ja! Ja!
Sie kämpfte mit sich … Ihr Herz schlug, als wollte es bersten … und sie bezwang sich …
»Herr Uhlenkort!«
Der Klang seines Namens schien ihn aufzuwecken. Er strich sich über die Augen.
»Ach! Verzeihung, Fräulein Christie … Was sprach ich? Ich …
Verzeihung … mein Herz floß über. Ich konnte nicht anders.«
Er streckte ihr die Hand entgegen. Er fühlte, wie ihre Finger sich leicht hineinlegten und darüber glitten. Dann ging er zu seinem Platz zurück.
»Ich vergaß … vergaß schon damals in Kapstadt, Sie nach den rätselhaften Umständen jenes Verbrechens in Tejada zu fragen. Ihr Vermögen wurde damals geraubt. Haben die Nachforschungen der Polizei, der Behörden gar nichts ergeben?«
»Nichts, Herr Uhlenkort. Man hat mich verschiedene Male vorgeladen. Man hat auch einige Leute verhaftet. Aber ihre Unschuld erwies sich bald. Es bleibt ein Rätsel, ein Geheimnis, dessen Dunkel wohl niemals gelichtet werden wird.«
»Niemals? Was an mir liegt, soll geschehen, um das Rätsel zu lösen.
Wäre es auch nur, um dem Verbrecher seinen Raub abzujagen. Die Verbindung mit dem Pinkerton Office hat mich auf den Gedanken gebracht, die Pinkertons auf die Spur des Verbrechens zu setzen.«
Noch einmal ließ er sich von Christie die Umstände der Tat, soweit sie bekannt waren, berichten. Sah, wie Christie Harlessen durch die Erzählung von neuem ergriffen, wie ihr Bericht immer matter und tonloser wurde.
»Nur noch eine Frage, Fräulein Christie, dann wollen wir dies dunkle Thema verlassen. Haben Sie selbst irgendeinen Verdacht, einen leisen Verdacht? Vielleicht auf irgend jemand …«
Er schaute Christie voll an. Sah, wie sie überlegte, wie ihre Augen hin und her gingen, wie sie kämpfte, zögerte.
»Ich habe keinen Verdacht. Habe auch niemals einen Verdacht gehabt … irgendein Landstreicher … ein entlassener Arbeiter … wer hätte sonst am Kanal noch … Doch warum noch weitere Nachforschungen nach dem unbekannten Täter anstellen? Sein Raub …«
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich werde leben. Ich finde mein Brot selber.«
Uhlenkort erhob sich. Auch Christie war aufgestanden.
»Warum wollen Sie so plötzlich gehen, Herr Uhlenkort?«
»Fräulein Christie … ja, Fräulein Christie … Sie sagten, Sie werden leben. Ich sehe, daß Ihre Willensstärke, Ihr Selbständigkeitsgefühl größer sind als meine Überredungskraft. In Ihren Worten: Ich werde leben, drückte es sich nur zu deutlich aus. Sie sollten auch für mich gelten.«
»Herr Uhlenkort!«
»Fräulein Harlessen?«
Christies Blick ging zur Erde. Sie trat einen kleinen Schritt zurück.
Das versöhnende Wort auf ihren Lippen erstickte unter dieser Anrede.