Aber er spricht viele Sprachen ebenso gut wie Deutsch. Sein Name?
Beim Volk heißt er nur ›Der vom Leuchtturm‹. Er heißt – das weiß ich durch Herrn Uhlenkort, der ihn kennt – Johannes Harte.«
»Johannes Harte«, murmelten die Lippen Tredrups nach.
»Das ist ja eine interessante Persönlichkeit. Ich brenne darauf, den Mann kennen zu lernen. Können Sie mir da einen Rat geben?«
»Er lebt in dem alten Leuchtturm wie ein Einsiedler. Ein invalider Matrose und dessen Frau führen ihm die Wirtschaft. Selten, daß er sichtbar wird. Und wenn, dann fährt er in seinem Motorboot auf die See hinaus. Sein Faktotum und Fischer Klasen, der seine Hütte neben dem Leuchtturm hat, führen das Boot. Diese Fahrten nehmen oft Tage in Anspruch. Was macht er auf diesen Fahrten? fragen Sie … Studien …
Versuche …«
Tredrup verhielt unwillkürlich den Schritt. Zuviel auf einmal! Das war’s! War’s, kein Zweifel. Er ging wieder neben dem Chefingenieur her, zitternd vor Erregung.
Des Rätsels Lösung?
Er atmete tief. Mit Gewalt bezwang er sich.
»Allerdings … sonderbare Sache das.«
Er zwang seine Lippen zu einem Lächeln.
»Mysteriös, Herr Chefingenieur! Höchst mysteriös. Suggestion, nichts anderes! Suggestion ganz einfach! Und doch, was da drüben im alten Land … hier im kalten Norden?
Wo alles kühl … kühl die Köpfe, die Sinne. Es paßt so wenig hierher.
Der Mann, seine suggestive Macht, die Menschen, die ihr unterliegen.
Johannes Harte? Ein Deutscher, wie Sie sagten. Ein Deutscher? Ein Naturschauspiel war’s, rätselhaft … ja, rätselhaft.« Der Chefingenieur wandte sich zu ihm um.
»Herr Tredrup, was ist Ihnen? Diese Erregung! Ja, wären Sie hier gewesen, als es geschah. Wie kann das, was ich Ihnen erzählte, Sie so bewegen … Sie sind übernächtigt. Sie hatten zwei Nachtschichten. Nicht angenehm gleich zum Anfang, aber es ließ sich nicht vermeiden. Nun, Sie haben ja jetzt vierundzwanzig Stunden für sich zum Ruhen. Die Genüsse der Großstadt Wibehafen werden Ihnen Ablenkung geben.«
Der Chefingenieur verabschiedete sich. Mechanisch lenkte Klaus Tredrup seine Schritte zu seiner Wohnung. Seine Gedanken gingen sprunghaft. War’s die Lösung? Jenes Rätsels … jenes Welträtsels? Er stand vor der Tür seines Hauses. Sein Hirn arbeitete wie im Fieber.
Er blieb stehen … ein Ruck … Er wendete der Südspitze zu. Und dann stand er vor dem alten Turm, vor dem verwitterten, gedrungenen Bau, und sein Auge ging hinüber nach Nordwesten, wo sich die gigantische Masse des neuen Turmes erhob. Der Weg führte bergab zum Strand. Da lagen auf halber Höhe die Fischerkaten. Unten am Strand die Boote. An Gerüsten die großen Netze.
Klasen hieß der, der mit ihm fuhr. Er blieb stehen. Sein Auge irrte über die Hütten dahin.
Weitergehen? Sollte er das? Das Glück schien ihm heute günstig zu sein.
Er ging …
Eine Alte kam ihm entgegen, mühsam die Höhe hinaufklimmend.
»Wohnt hier der Fischer Klasen?« Die Frau stand still.
»Klasen? Ja! Da unten im letzten Haus. Sie wollen zu ihm? Schlechte Zeit heute. Seine Frau ist krank. Ich komme von ihr.«
Wieder zögerte Tredrup. Wieder zog es ihn weiter, bis er vor jener Hütte stand.
Er trat ein … er sprach mit dem Fischer und ging wieder hinaus.
Gelungen! Er würde fahren. An dessen Statt fahren, der bei seiner kranken Frau blieb. Auf See fahren … mit ihm … mit H …
Das bleiche Licht der Mitternachtssonne spielte um das graue Turmmassiv. Tredrups Schulter stemmte sich gegen das Motorboot, half es mit vom Strande abrücken.
»Ab!« Er sprang hinein.
Der Motor ging an. Der Bootsmann überließ ihm den Griff und ging ans Steuer. Das Boot kam in Fahrt. Schneller, immer schneller schoß es Süd zu Südost durch die grüne Flut.
»Volle Kraft voraus!« schrie der Steuermann.
Tredrup befolgte den Befehl.
Stunden vergingen. Sie fuhren … sie fuhren Süd zu Südost … phantastisch die Schnelligkeit. Tredrup stand am Motor, die Hand am Griff. Sein Herz pochte im Takt der Maschine.
Da vorn am Stern … da saß er … der aus dem Leuchtturm, Johannes Harte. Das Gesicht in der Richtung der Fahrt. Tredrups Gedanken gingen zurück. An den Bootssteg. Johannes Harte trat aus der Pforte des Turmes. Stieg die schmale Treppe hinab, kam auf den Bootssteg, stieg ein. Ein Mensch … ein Mann … Was war das für ein Mann?
Wie hatte seine Phantasie gearbeitet in der Erwartung, diesen rätselhaften Menschen zu sehen? Welche Bilder waren es, die er von ihm gemacht hatte?
Und dann hatte er ihn gesehen … gesehen so ganz anders … anders … ja wie?
Eine schlanke hohe Gestalt. Ein schmales bleiches Gesicht. Eine hohe, sich weit vorwölbende Stirn. Langes, lockiges Blondhaar darüber.
Aber die Augen … die Augen! Was waren das für Augen? Nur mit leichtem Seitenblick streiften sie ihn … und doch, was waren das für Augen? Wie war seine ganze gesammelte Willenskraft, sich das Bild dieses Menschen tief einzuprägen, vor einem leichten Blick dieser Augen zerstoben! Sein ganzes Wesen fühlte sich gefangen. Wie ein Gefangener war er ihm gefolgt, wie der Sklave seinem Herrn.
Die rauhen Rufe des Bootsmanns erst hatten ihn aus seiner Betäubung gerissen. Klar zur Abfahrt! hatte der Bootsmann geschrieen.
Der Mann vom Leuchtturm hatte sich am Stern niedergelassen, denen im Boot den Rücken zugewandt. Da hatte Tredrup aufgeatmet, wie befreit von den Fesseln jenes Blickes.
Und sie fuhren … und fuhren. Wie ein Vogel schoß das Boot über die leichte See dahin. Stille über den Wassern … Stille im All. Nichts als das leise Rauschen der Wogen, die der scharfe Kiel durchschnitt.
Im Norden! Ein heller Schein über der Kimme. Dann ein Rot …
Orange … Gelb … ein Nordlicht. Ein Farbenwunder in majestätischer Größe erstand da.
Er blickte zu jenem Manne hin, wie dieser sich wendete, wie seine Augen an diesem Schauspiel hingen, sich daran weideten. Klaus Tredrup schaute zur Kimmung, wo der dunkel glühende Sonnenball einzutauchen schien. Mechanisch sah er auf seine Uhr. Die Mitternachtsstunde nahte … war da.
Der Mann am Stern war aufgestanden, ging zur Kajüte und kam wieder herauf. Unter dem Arm trug er einen Apparat, einen leichten Kasten, wie es schien. Am Stern setzte er sich nieder, zog einen weiten Mantel um die Schultern. In dessen seidigem Glänze spielten die Lichter des Himmels. Er wandte sein Gesicht der Sonne zu und schaute lange hinein. Dann senkte er sein Haupt. Die Hände zogen den Mantel dichter zusammen, ergriffen etwas. Und wie der Bug sich hob und senkte, glänzte das in den matten Sonnenstrahlen.
Tredrup stand still. Seine Hände umkrampften den Motorhebel. Seine Augen bohrten sich durch das Dämmerlicht zu dem Glitzernden hin.
Ha … ein Tokschor? Er griff sich an die Stirn. Hatte er richtig gesehen? Ein Tokschor in jenes Mannes Händen? Ja! Er hatte richtig gesehen.
Die schmalen Finger spielten an dem Knopf der Gebetsmühle. Die Augen starrten auf die Blätter in dem Gehäuse. Die Lippen bewegten sich, als wenn sie läsen … beteten … Tredrup starrte. Seine Hand fuhr zum Herzen. Was war das? Was sollte das? Sein Geist zwang sich zur stärksten Willenskraft. Seine Zähne schlugen aufeinander wie im Fieber.
Und … dann … der da oben griff nach dem Apparat, nahm ihn zwischen die Knie. Sein Körper senkte sich darüber. Seine Hände legten sich an dessen Seiten. Sie bewegten Hebel.
Schrauben … die Augen des