»Ich bin, um es kurz zu sagen, im Hause Simmons Brothers als Angestellte tätig.«
»Oh, Miss Harlessen, das erweckt mein tiefstes Bedauern.«
»Warum bedauern Sie mich? Ich sehe durchaus keinen Grund.«
»Aber, Miss Harlessen! Ein Wechsel der Lebensführung, der doch – ich bitte um Entschuldigung – mit solchem Abstieg verbunden ist, dürfte doch in Wahrheit bedauerlich sein. Blieb Ihnen kein anderer Ausweg nach jenem abscheulichen Verbrechen in Tejada? Hatten Sie keine Freunde und Verwandten, die Ihnen halfen? Warum wandten Sie sich nicht an mich?«
Christie streifte ihn mit einem leichten Seitenblick.
»Warum an Sie, Mr. Rouse?«
»Oh! Eine Frage, die mich kränken muß, Miss Harlessen! Waren wir nicht in Tejada, wo ich so häufig weilte, einander so vertraut geworden?
Bestand schließlich nicht eine moralische Verpflichtung der Canal Company, für die Folgen dieses Unglücks aufzukommen?«
»Ich wüßte nicht, Mr. Rouse.«
Rouse schien den Doppelsinn dieser Worte zu überhören.
»Und doch war es damals mein erster Gedanke, nach Tejada zu eilen und Ihnen Hilfe anzubieten. Leider waren Sie verschwunden … unauffindbar. Warum taten Sie das? Dachten Sie so gering von den alten Freunden? Von mir?«
Rouse war im Gehen näher zu ihr getreten, so daß seine Schulter die ihre streifte.
»Lassen Sie … lassen Sie die Erinnerungen an Tejada, Mr. Rouse!«
Ein zitternder Unterton lag in Christies kühl abweisenden Worten.
»Miss Harlessen!«
Christie schien den Ruf zu überhören. Sie beschleunigte ihre Schritte, um die heller erleuchtete Hauptstraße zu erreichen.
»Sie weisen meine Hilfe ab, Miss Harlessen? Zweifeln Sie an … ?
Wenn Sie wüßten, wie sehr Ihr Schicksal mich interessiert. Der Gedanke, Sie in einer solchen untergeordneten Stellung zu wissen, ist mir unerträglich.«
»Sie machen sich unnötige Sorgen um meine Person, Mr. Rouse. Ich bedarf Ihrer nicht …«
»Ich bitte Sie, ich beschwöre Sie, Miss Harlessen, weisen Sie mich nicht ab! Ihre Kühle ist verletzend. Ich ertrage es nicht!«
Die verhaltene Leidenschaft, die aus seinen Worten klang, steigerte ihre Unruhe. Nur mit Mühe zwang sie sich zu einer Antwort.
»Mr. Rouse! Nehmen Sie an, mein Selbständigkeitsgefühl wäre so groß, daß trockenes Brot, selbst verdient, mir besser schmeckt als … noch einmal! Ich bedarf fremder Hilfe nicht.«
»Fremd? Miss Christie! Bin ich Ihnen ein Fremder? Bin ich Ihnen so gleichgültig, Christie?«
Sie hörte die Worte dicht an ihr Ohr klingen. Sie fühlte, wie ein Arm sich in ihren legen wollte. Mit einer brüsken Bewegung streifte sie ihn ab. Fast laufend erreichte sie die Hauptstraße.
»Reizen Sie mich nicht, Christie!« stieß er keuchend hervor. »Ich lasse Sie nicht. Wissen Sie jetzt auch, daß ich Sie von Tejada aus auf Schritt und Tritt beobachten ließ? Daß meine Leute mich ständig über Sie auf dem Laufenden hielten? Glauben Sie, ein Mann wie ich täte das umsonst? Bedenken Sie, was Sie verschmähen! Ich bin Guy Rouse! Der Sie zur Seinen wünscht …«
»Nie! Mein letztes Wort!« stieß es aus ihrem Munde. Sie trat in die helle Hauptstraße.
»Das letzte Wort werde ich sprechen!« klang es hinter ihr her.
Klaus Tredrup schritt über den Zechenhof. Zwei Nachtschichten unter Tage gaben ihm für vierundzwanzig Stunden freie Zeit. Am Zechentor stieß er auf den Chefingenieur. Nach kurzer Begrüßung schlugen sie den Weg zur Stadt ein. »Wie gefällt es Ihnen bei uns, Herr Tredrup? Sie sind allerdings erst drei Tage im Betrieb.«
»Nun … ganz gut. Soweit ich es bisher übersehen kann, werde ich die Mutter Erde hier mit demselben Vergnügen bearbeiten wie früher an den verschiedensten anderen Stellen. Ich hoffe, wir schlagen schon morgen das nächste Flöz an. Die Verhältnisse in Wibehafen sind ja erfreulich großstädtisch. Ich bin sehr überrascht. Man kommt hier auf seine Kosten.«
»Und wie kommen Sie mit Ihren Leuten aus?« fragte der Chefingenieur. »Die rekrutieren sich aus ganz Europa.«
»Sehr gut! Überraschend gut! Ruhige, vernünftige Leute. Beinahe zu ruhig.«
»Wie meinen Sie das?«
Einen Augenblick zögerte Tredrup. Schließlich kam es etwas abgerissen aus seinem Munde: »Wenn ich von mir auf andere schließe, dann wundere ich mich über die Ruhe.«
»Warum?«
»Black Island … Kurz vor meiner Abreise erfuhr ich, daß es da wieder gespukt hat. Die Gedankenverbindung Black Island-Spitzbergen liegt doch nahe … sehr nahe. Nicht nur für den Laien, sondern erst recht für den Bergbaumenschen.«
Der Chefingenieur nickte.
»Sie haben recht!« Nach einer Pause fuhr er fort: »Wir haben hier oben im Bergbau viel Schweres durchmachen müssen … Aber das Schwerste war das Auftauchen von Black Island … Das Rätsel von Black Island. Wie viele Kommissionen von Gelehrten, von Geologen waren schon hier. Keiner ist es gelungen, das Rätsel zu lösen.
Jeder Versuch scheiterte an der Macht der nackten Tatsachen. Ein Vorgang, wie er bisher nie gesehen, nie beobachtet wurde, hat sich vollzogen. Die kühnste Phantasie versagt demgegenüber. Rätsel …
Rätsel.
Mein erster Gedanke war der: Was wird unsere Belegschaft tun?
Flucht? Selbstverständlich Flucht von hier. Und so kam es … wäre es gekommen, wenn nicht ein neues Rätsel … ein Mann unter der versammelten Belegschaft erschienen wäre, der … ja was … ?
Er stand plötzlich da auf irgendeinem umgestürzten Wagen. Sein Auge flog über den ganzen Zechenplatz und zwang die Leute zu seinen Füßen, zwang sie, auf seine Lippen zu schauen, die Worte sprachen …
Ich hörte die Worte, ich war dabei. Was sprach er? Was war es, was die Tausende, was auch mich zwang, an seinen Lippen zu hängen?«
Der Chefingenieur war stehen geblieben. Er strich sich über die Stirn.
»Ich weiß es nicht. Ich hörte es … sah es, was geschah. Ein Rätsel … ein Rätsel, größer als das von Black Island war das.
Als er seine letzten Worte gesprochen hatte: ›Nun geht an eure Arbeit … ‹, nie bis an mein Lebensende werde ich das vergessen. Es geschah. Die zweite Schicht fuhr ein. Stumm, willenlos, wie wenn eine höhere Macht sie gepackt hätte … sie trieb. Ein Rätsel, größer als das von Black Island, war es für mich.
Sie wissen von jenem zweiten Auftauchen von Black Island. Wieder fürchtete ich … Nichts geschah. Als ob Black Island auf der anderen Seite am Südpol läge.«
Tredrup war stumm. Immer wieder glitt sein Blick von der Seite her verstohlen über seinen Begleiter. Sein skeptischer Geist wehrte sich gegen das, was sein Ohr aufnahm. Er hatte in diesen letzten Tagen schon mancherlei über jenen mysteriösen Vorgang zu hören bekommen.
Das gleiche nun aus dem Mund des Chefingenieurs, eines hoch gebildeten, streng wissenschaftlichen Mannes … selbst das vermochte seine Zweifel nicht zu zerstreuen.
»Jener Mann, von dem Sie sprachen, er wohnt da unten an der Südspitze in dem alten Leuchtturm? Was ist er? Wie heißt er? Was treibt er hier?«
Der Chefingenieur zuckte die Achseln.
»Er treibt wissenschaftliche Studien.