»Alles ist versunken … alles ist verschwunden. Nur unsere Liebe ist geblieben … Daß ich ihn je wieder küssen würde, deinen süßen, reinen Mund!«
Ein Schauer rann durch ihre Glieder.
»Das ist er nicht mehr … der reine Mund«, sagte sie mit leisem Klagelaut.
»Florence! Du …«
Averil war aufgesprungen. Keuchend kamen die Worte aus seiner Brust.
»Willst du mich wieder aus dem höchsten Himmel in die tiefste Hölle stürzen?«
Er stand da … in dem gebrochenen Schatten des Baumes, jeder Kraft beraubt … verirrt wie in einer Wüste.
Florence hatte das Gesicht in den Händen vergraben …
Der Kies knirschte unter einem Schritt.
Mit jähem Ruck blickte sie auf.
»Du willst gehen? … Ja, gehe … gehe. Es ist zu spät, zu spät. Ich bin einem anderen versprochen!«
Sie taumelte und wäre zu Boden gestürzt, hätte er sie nicht in seinen Armen aufgefangen.
»Florence! Es ist nicht wahr. Ich bitte dich, sprich!«
Er schrie es fast. Zitternd lag Florence an seiner Brust. Ihre Zähne schlugen aufeinander. Ihr war, als versänke sie in einem eisigen Strom.
Da fühlte er die Wahrheit. Es war kein leeres Wort, das in sein Ohr geklungen.
Regungslos stand er, sog mit bebenden Atemzügen den Luftstrom ein und starrte in den weiten Raum. Zerbrochen, zerschellt lag alles am Boden.
»Du liebst ihn … den anderen? … Nein! Du liebst ihn nicht … Kannst ihn nicht lieben. Und doch willst du ihm folgen! … Und ich?«
Er löste ihre Arme und drängte sie zurück.
»Und ich? … Ich soll zugrunde gehen?!«
»Averil!«
Flehend kam es von ihren Lippen. Alle Kraft schien von ihr gewichen. Schwach und gebrochen sank sie auf der Bank zusammen.
Unendliches Mitleid wogte im Herzen Averils. Er hätte sie in seine Arme nehmen, sie trösten, sie hegen mögen. Und trotzdem bewegte er sich nicht, sprach er nicht, machte er keinen Versuch, diese Qual zu kürzen, an der sie beide litten.
Der Klang einer Glocke, der aus weiter Ferne zu ihm drang, ließ ihn aus seiner Erstarrung erwachen. Er hob die Hand und fuhr ihr mit linder Bewegung über das Haar, die Wange, das Kinn. Und als ob diese Hand ihr das Herz zerspalte, brach sie in haltloses Schluchzen aus.
Er setzte sich zu ihr, hob ihr tränenüberströmtes Gesicht und legte es an seine Brust.
»Erzähle, Florence!«
Mit schmerzlicher Anstrengung entwand sie sich seinen Armen.
»Averil …«
Ihre bebenden Lippen suchten vergeblich nach Worten.
»Wenn ich dir weh tat, Florence, verzeihe mir!«
Averil versuchte ihre Hand zu nehmen, sie durch die Berührung zu beruhigen.
Da plötzlich erhob sie den Kopf. Ihre Augen blickten mit totenhafter Starrheit ins Weite, als sähen sie etwas, was nicht da war. Ihre trockenen Lippen begannen zu sprechen.
»Ich war krank … ich hatte nur den einen Wunsch zu sterben, um die Qual zu kürzen. Ich hatte dich von mir gewiesen und sah und dachte nichts anderes als dich. Du warst in mir, wie eine Qual … ein Feuer … ein Wahnsinn … Ein mexikanischer Geschäftsfreund meines Vaters besuchte uns. Ich kannte Don Manuel Oregon seit meiner frühesten Jugend. Oft hatte ihn mein Vater als meinen ältesten und treuesten Verehrer geneckt … Ich sah in ihm nie mehr als einen liebevollen väterlichen Freund. Es war kurz vor meiner Abreise mit Helen Garvin … Er warb um mich … Er sah meine Seelennot und schaute hinein in mein zuckendes, sich abringendes Herz, als ob es offen vor seinen Blicken läge. Er nahm meine Hände und sprach liebevoll … demütig zu mir. Und doch lag in seinen Worten der Wille und die Kraft, mich zu befreien … mir das Glück zu geben, für das mein Herz noch Raum bot. Und … ich gab ihm meine Hand.«
»Und du wirst ihm folgen … diesem Manne? … Liebelos?«
Alles heiße Wünschen, alle Leidenschaft, Empörung und Klage sprach aus Averils Worten.
»Florence, ich lasse dich nicht. Mein bist du allen zum Trotz. Dir selbst zum Trotz!«
Er preßte sie an sich und küßte auf ihre Augen, ihre Stirn, küßte die Tränenspur auf ihren Wangen und verschloß die widerstrebenden Lippen mit glühenden Küssen.
Sie versuchte ihn zu beruhigen, sich loszumachen. Gewaltsam befreite sie sich aus seinen Armen, sprang von der Bank empor und wich vor ihm zurück.
»Sei gut zu mir, Averil! Schone mich. Es kann nicht sein … Du mußt nun gehen, vergiß mich!«
»Ich dich vergessen? … Ich gehen, wo ich weiß, du liebst mich … liebst mich noch!«
»Ja, Averil! … Gehe, ich bitte dich. Was uns damals trennte, trennt uns heute auch.«
»Und weißt du, wohin du mich schickst? Ich gehe zugrunde ohne dich! … Florence!«
Seine Augen rangen mit ihr in stummer Verzweiflung. Da schritt sie auf ihn zu und legte die Hände auf seine Schultern.
»Averil! Ich habe dich lieb … bis in den Tod.«
Eine schmerzlich-selige Milde lag auf ihrem Gesicht.
»Wenn meine Liebe dich bittet, zu gehen, wirst du es tun?«
Ein Beben ging durch die Gestalt des Mannes. Alles Blut wich aus seinem Gesicht. Kaum verständlich, nur ein rauhes Flüstern war sein: »Leb wohl!«
Kaum hatte Wellington Fox seinen Namen genannt, als ihn der Diener in das Arbeitszimmer Garvins führte. Ein großes, von angenehmer Kühle durchwehtes Gemach. Schwere Vorhänge verhüllten die Fenster und schufen ein leichtes Dämmerlicht.
An einem kleinen Schreibtisch saß Francis Garvin, von Kopf bis zu Fuß in blendendes Weiß gekleidet. Das Gesicht verschlossen und eisig kühl.
Mit einem kurzen Kopfnicken beantwortete er die achtungsvolle Verbeugung von Fox. Noch ehe dieser auf einem Sessel Platz genommen hatte, begann er die Unterhaltung.
»Ich habe Sie zu einer Unterredung gebeten, um Ihnen das mündlich zu sagen, was Sie sich bei einiger Überlegung selbst hätten sagen können.«
Er hielt einen Augenblick inne. Seine harten, grauen Augen sahen Fox durchdringend an.
»Daß ich meine Einwilligung zu einer Verbindung zwischen Ihnen und meiner Tochter Helen nicht geben werde.«
Fox nickte leicht zustimmend.
»Sehr wohl, Mr. Garvin. Ich habe darüber keinen Zweifel gehabt.«
Garvins Brauen zuckten fragend empor.
»Dann darf ich wohl fragen, weshalb Sie sich meiner Tochter Helen in so unzarter Weise genähert haben? Helen ist ein Kind. Sie haben eine schwere Schuld auf sich geladen, als sie Helens Dankbarkeit für die Errettung aus dem Schneesturm in einer Weise … in einer Weise ausnutzten, die den Seelenfrieden meines Kindes tief stören muß.«
Wellington Fox schlug behaglich ein Bein über das andere und lehnte sich bequem in seinen Sessel zurück.
»Ihr Vorwurf trifft mich nicht, Mr. Garvin. Zunächst ist Helen kein Kind mehr. Sie ist seit einem Jahr volljährig. Ihre Einwilligung zu unserer Verbindung ist daher ohne Belang. Wenn Helens Natur viel von der Unbefangenheit und Fröhlichkeit eines Kindes behalten hat, so sehe ich darin ein Geschenk Gottes, für das ich ihm von ganzem Herzen dankbar bin … aber Ihre Einwilligung … die brauche ich nicht, Mr. Garvin.«
Es schien