Während noch das Scheingefecht in der Luft tobte, hatten die Truppen in einer eigentümlichen, schachbrettartigen Ausstellung das Paradefeld besetzt.
Ein neues Manöver! Die Luftflotte ordnete sich in neuen Formationen, ähnlich der Truppenaufstellung auf dem Felde. Ein neues Kommando, und die Schiffe gingen senkrecht nach unten. Schon stand neben jedem Truppenkörper ein Schiff.
Wieder Kommandos! Im Augenblick waren die Truppen in den Kreuzern verschwunden. Schon erhob sich der Schwarm wieder und trug die Streitkräfte der Kompagnie in schnellem Fluge nach ihren verschiedenen Stationen innerhalb der weit ausgedehnten Siedlungsgebiete zurück.
In das kräftige Beifallsklatschen, das den gelungenen Manövern folgte, stimmte auch Wellington Fox lebhaft ein. Mit den anderen Pressevertretern hatte er neben dem Adjutanten Lowdale, der für diese Herren den Cicerone machte, das Schauspiel von bevorzugter Stelle aus mit angesehen.
Seine Kollegen stürzten jetzt schnellstens nach den Telegraphenkojen. Wellington Fox, der à conto seiner guten Beziehungen alles soeben Gesehene schon längst als geschehen berichtet hatte, blieb ruhig bei dem Adjutanten.
»Ich muß gestehen, Herr Hauptmann, das, was ich hier gesehen habe, bleibt um keinen Schritt hinter den fulminanten Schilderungen in meinen Telegrammen zurück. Jetzt wäre nur noch zu untersuchen, ob auch der Kranz von schönen Damen, den ich unter den Gästen erwähnte, in Wirklichkeit vorhanden ist. Nehmen wir auch hier die Parade ab.«
Er richtete sein Perspektiv auf die Tribünen, und lächelnd folgte ihm Lowdale.
»Ah! Hier! … Da habe ich zweifellos nicht gelogen …«
Er zog aus seiner Tasche ein Tüchlein und ließ es winken.
»Was sagen Sie dazu, Herr Adjutant?«
»Oh, eine Dame Ihrer Bekanntschaft … Oh, selbstverständlich, eine selten schöne Blume in Ihrem Kranz.«
Im gleichen Augenblick durchfuhr Wellington Fox ein kalter Schreck. Hinter Helen Garvin, der alle seine Betrachtungen galten, war eine Dame aufgestanden, die er bisher nicht sehen konnte … Florence Dewey.
Langsam ließ er das Glas von seinen Augen sinken und schaute verstohlen nach seinem Begleiter. Mit abgewandtem Gesicht, tiefatmend stand Averil Lowdale da. Fox suchte nach Worten … Was sagen? … Was tun? Stumm sah er den Kampf der Gefühle, der in jenem tobte.
Da … Averil Lowdale drehte sich um und wandte sich mit einem leichten Lächeln zu Fox. Der Kampf war vorüber. Mit bewundernswerter Kraft hatte er die Gewalt über sein Mienenspiel zurückgewonnen.
»Nach der Stichprobe zu urteilen, Mr. Fox, trifft Ihr Bericht auch in dieser Beziehung zu.«
Wellington Fox wußte nichts anderes zu tun: Er ergriff die Hand des Adjutanten und drückte sie stark.
»Ihr Dienst ruft Sie jetzt zu anderer Stelle. Ich hoffe, wir haben uns nicht das letztemal gesehen. Meinen herzlichsten Dank für Ihre besonderen Bemühungen um mich. Wenn die Chikago-Preß bei dieser Gelegenheit in der schnellen Berichterstattung den Vogel abschießt, so dankt sie das Ihnen.«
Mit federnden Schritten, den eben gehörten Kompagniemarsch pfeifend, ging Wellington Fox der Tribüne zu, während Averil Lowdale die entgegengesetzte Richtung einschlug.
Der Höhepunkt der Festlichkeiten war überschritten. Eine Reihe von rauschenden Tagen, während der kochende See unaufhörlich unendliche Wolkenmengen nach Nordwesten entsandte.
Die offiziellen Gäste waren abgereist, die Siedler zu ihren Farmen zurückgekehrt. Das sportliebende Reisepublikum benutzte die Gelegenheit, Hochgebirgstouren zu unternehmen und Schneesport an den Hängen der Kogartberge zu treiben.
Die Mitglieder des Direktoriums der E. S. C. und die diplomatischen Vertreter der europäischen Staaten weilten noch in Wierny. In den letzten Maitagen traten die Direktoren hier zusammen. Es war ein besonderer Wunsch Isenbrandts gewesen.
Isenbrandt sprach in dieser Sitzung. Er knüpfte an die Salzung des Balkaschsees an. Überzeugend wies er nach, daß dies Unternehmen nur teilweise Wirkung haben könne, solange die politische Grenze die Schmelzungen im oberen Ilitale unmöglich mache.
Georg Isenbrandt sprach weiter:
»Die Dämpfe, die der See jetzt hergibt, reichen eben aus, um ein Gebiet von zehntausend Quadratmeilen dauernd zu befruchten. Ganz anders wäre es, wenn wir im ganzen Quellgebiet des Ili schmelzen könnten. Viele tausend Quadratmeilen Landes würden dann für Siedlungen neu gewonnen werden.
Ich berühre damit ein Ihnen wenig angenehmes Thema … Die Besitzfrage des Ilidreieckes …«
Ein nervöses Summen ging beim Fallen dieser Worte durch die Versammlung. Einen Augenblick war es still. Dann sprang der französische Direktor mit romanischer Lebhaftigkeit auf:
»Ich begreife nicht, wie diese Frage gerade jetzt aufs Tapet gebracht werden kann, da sie doch dem Schiedsgericht unterliegt, das in nächster Zeit seinen Spruch fällt. Nach meinen Informationen ist ein für uns günstiges Ergebnis zu erwarten.«
»Letzteres ist mir neu«, sagte Isenbrandt. »Wäre es wahr, würde die Frage noch viel dringender sein.«
Mit unverhohlenem Erstaunen blickten die Teilnehmer auf Georg Isenbrandt. Wie war das gemeint?
»Sie sehen mich fragend an, meine Herren. Wie der Schiedsspruch auch ausfallen mag, gutwillig wird China diese starke Position nicht aus den Händen lassen.«
»Aber der feierlich beschworene Vertrag?«
Von verschiedenen Seiten klang der Einwurf.
»Der Schiedsgerichtsvertrag wurde zwischen Europa und dem Kaiser Schitsu geschlossen.«
»Und weiter?« schallte es ihm entgegen.
»Er wird keine Geltung haben … für des Kaisers Nachfolger!«
Einen Augenblick herrschte absolute Stille. Dann kamen die Fragen von allen Seiten.
»Was? … Was? … Was geht uns des Kaisers Nachfolger an, da er selbst lebt … in voller Gesundheit lebt?«
»Der Kaiser Schitsu ist tot. Schanti … Toghon-Khan von Dobraja ist Regent!«
Der Eindruck der Worte auf die Versammlung war nicht zu beschreiben. Einige fuhren überrascht auf. Ein anderer und nicht der kleinste Teil gab seinem Unwillen, ja seiner Entrüstung über die Äußerung Isenbrandts lebhaften Ausdruck.
»Wie können Sie es wagen, uns solche Märchen aufzutischen?«
Über das Stimmengewirr erhob sich die schneidende Stimme des Franzosen:
»Wie können Sie ableugnen, was tausend Augen gesehen haben?«
Wieder trat Stille ein. Man wartete auf die Rechtfertigung Isenbrandts.
»Tausend Augen haben gesehen, daß ein Mann von Schehol in einem Glaswagen nach dem Kaiserpalast in Peking gefahren wurde.«
Isenbrandt hielt einen Augenblick inne. Mit einem Lächeln sah er auf die Gesichter, die gespannt zu ihm aufblickten.
»Ich leugne nicht, daß dieser Mann der Kaiser Schitsu war … aber …«
Hier vertiefte sich der lachende Zug um seinen Mund.
»Der Mann war tot! … Komödie war alles!«
Wie eine Bombe wirkten die Worte Isenbrandts. Keiner blieb auf seinem Platz. Von allen Seiten umströmten sie den Sprecher und bestürmten ihn mit Fragen.
»Meine Herren,« begann Isenbrandt nach einer kleinen Weile, »die Zeichen Ihrer Verwunderung kommen mir nicht überraschend. Was die Welt, was ganz China geglaubt hat, weshalb sollten Sie es nicht auch geglaubt haben?«
Wieder