Er schlug sich behaglich lachend auf seine prallen Schenkel und brachte auch einen Teil der Gesellschaft zum Lachen.
»Meine Herren« – die Stimme des Präsidenten durchbrach das Stimmengewirr – »ich bitte Sie, wieder Platz zu nehmen. Herr Isenbrandt wird seine Behauptungen begründen.«
Der stand einen Augenblick sinnend da.
»Begründen? … Wie soll ich das begründen? Den toten Kaiser kann ich Ihnen nicht vorführen. Ich kann Ihnen nur folgendes versichern. Bei meiner Ehre … Meine Gewährsleute zu nennen ist unmöglich …
Am 5. Mai um die sechste Abendstunde ist Kaiser Schitsu in Schehol an seiner Schußwunde gestorben. Am 4. Mai ernannte er den Herzog von Dobraja, den Schanti, zum Regenten. Der ominöse Ring des Dschingis-Khan ist am Finger des Schanti.
Glauben Sie mir … ober glauben Sie mir nicht! Für mich stehen diese Tatsachen fest.«
»Für mich auch!« bekräftigte der Engländer. »Nur noch eine Frage, Mr. Isenbrandt. Zu welchem Zweck wurde diese göttlichste aller Komödien in Szene gesetzt?«
»Die Erklärung ist einfach. China ist schweren inneren Erschütterungen ausgesetzt, wenn der Tod des Kaisers bekannt wird, bevor eine kräftige Faust die Zügel der Regierung fest in den Händen hat. Vergessen Sie nicht, der todbringende Schuß wurde von der Hand eines Republikaners, eines Südchinesen, abgefeuert. Die Herrschaft des Kaisers war zu jung, der Einheitsgedanke noch nicht allgemein genug geworden. Ehrgeizige Machthaber der früheren Zeit sind noch am Leben, ihre Hoffnungen nicht begraben. Alles dessen ist sich der Schanti bewußt. Ich kenne den Mann! Sein Ehrgeiz ist unermeßlich. Er war in jeder Beziehung die rechte Hand des verstorbenen Kaisers. Mein Interesse hat sich ihm deshalb besonders zugewandt, weil er gerade unseren Unternehmungen vom Kaiser als Gegenpart an der chinesischen Westgrenze entgegengestellt war. In mancher Beziehung ist der Schanti vielleicht sogar vorausschauender und großzügiger, als es der tote Kaiser gewesen. Mit Entsetzen wird einst die weiße Welt seine furchtbare Gegnerschaft erkennen.«
Georg Isenbrandt schwieg. Zum Zeichen, daß er nicht gewillt sei, noch weitere Erklärungen zu geben, nahm er auf seinem Stuhl Platz. Wie in Erz gegossen lehnte er ruhig in seinem Sessel, unbewegt von den vielen fragend auf ihn gerichteten Blicken.
Wieder ein Durcheinander von Reden und Gegenreden. Dann der Präsident:
»Meine Herren! Mag der Kaiser oder der Regent in China herrschen. Ich für meine Person bin geneigt, den überraschenden, aber gutbegründeten Mitteilungen des Herrn Isenbrandt Glauben zu schenken. Aber ich kann nicht glauben; daß eine neue chinesische Regierung nicht die von der alten unterzeichneten Verträge halten sollte. – Der Spruch des Schiedsgerichts ist bestimmt in kurzer Zeit zu erwarten. Wir müssen ihn abwarten, bis dahin die Grenzen respektieren. Ich bitte die Herren, die meiner Meinung sind, aufzustehen.«
Die bei weitem größere Anzahl der Anwesenden erhob sich. Isenbrandt war überstimmt.
»Cowards!« murmelte der Engländer, der sitzengeblieben war. »Auf die Manier hätten wir das englische Weltreich nie zusammengebracht.«
Der Basar in Wierny zeigte unter dem Einfluß der Festlichkeiten ein besonders lebensvolles Bild. Seit Menschengedenken hatten die Kaufleute, die hier mit den Erzeugnissen Asiens handelten, nicht solchen Umsatz gehabt. Fast jeder Bewohner glaubte, von hier ein Andenken mitnehmen zu müssen.
In buntem Strom zogen Fremde und Einheimische durch die schmale Basargasse.
Vor einer Auslage mit seinem chinesischen Porzellan stand Helen Garvin mit ihrer Freundin Florence.
»O sieh, Florence, da, die wundervollen, zarten Muster! Noch schöner als die von Kaschgar, die mir Pa in einer bösen Laune verdarb.«
»Noch nicht genug, Helen? Du kaufst ja, als ob du eine Ausstattung kaufen müßtest. Dein armer Diener keucht bereits unter seiner Last. Kann dein Vater so böse werden, daß er … das Eigentum seines Lieblings zerschlägt?«
»Ach, Florence, nur dann, wenn der Name Wellington Fox fällt. Dann kann er sehr, sehr böse werden.«
»Wer ruft hier Wellington Fox?« klang es hinter ihnen.
»Ach … du? … Sie?« … Mit einem kleinen Schrei drehte Helen Garvin sich um.
»Sie? … Herr Fox! … Wenn man den Fuchs ruft, sitzt er hinter der Hecke.«
Mit einem freundlichen Lächeln begrüßte Florence Dewey den Journalisten.
»Es bedarf wohl keiner Vorstellung mehr, meine Gnädige. Miß Helen wird Ihnen von mir erzählt haben, wie sie mir von Ihnen sprach. Sie werden es mir nicht übelnehmen, wenn ich die Gelegenheit benutze, einige Worte mit Miß Helen zu sprechen. Über das Prekäre unserer Lage dürften Sie wohl genügend unterrichtet sein.«
»Oh, sehr wohl, Mr. Fox. Meine Sympathien sind ganz bei Ihnen beiden. Doch ich glaube, aus den paar Worten werden viele werden. Du wirst verzeihen, liebe Helen, wenn ich mich eine Weile entferne. Am Ende der Straße sahen wir einen kleinen stillen Park. Dort kannst du mich später wiedertreffen.«
Mit flüchtigen Schritten eilte Florence ihrem Ziele zu. Tief aufatmend trat sie in das kühle Grün. Die Stille, die in dem parkartigen Garten herrschte, legte sich beruhigend auf ihr erregtes Herz. Das Liebesglück der Freundin hatte die alten Wunden ihrer Seele schmerzlich berührt.
In einem stillen Seitenweg fand sie eine Bank, auf der sie sich niederließ. Seltsame Schauer liefen über ihr Herz.
Kämpfen um das Glück? fragte sie sich bang. Ein leises, aufschluchzendes Stöhnen kam aus ihrer Brust.
War’s nicht auch der tiefverwundete Stolz der Florence Dewey gewesen, der ihr den letzten Brief an Averil Lowdale diktierte? Sie suchte in den verstecktesten Falten ihres Herzens.
Nein! Der Spiegel ihrer Seele war rein. Die Liebe zu Averil war größer als alles gewesen.
Sie schloß die Augen und versank in unruhiges Träumen … Plötzlich war’s ihr, als sei ein Schatten vor sie getreten. Noch zögerte sie, die Augen zu erheben, da klang das Wort »Florence« an ihr Ohr.
Mit einem leichten Aufschrei taumelte sie empor. Ihre Hände griffen an die Schläfen.
»Averil!«
Halb ohnmächtig sank sie auf die Bank zurück, die Arme wie zur Abwehr von sich gestreckt.
»Ich bin’s, Florence.«
»Nein! … Nein, Averil! Laß mich gehen, gehe fort!«
Ein tödlicher Schrecken klang aus ihren Worten.
»Oh, sei nicht so grausam, Florence. Höre mich an … was tat ich, daß du meine Liebe zurückwiesest? … Soll ich büßen, was mein Vater dir antat? Florence, bei der Erinnerung an die seligen Stunden unseres Glücks … war es Wahrheit, was du in deinem Brief schriebst … oder war es gekränkter Stolz, der dich so schreiben ließ? Sprich, Florence! Antworte mit!«
Er beugte sich nieder und berührte ihre Hand. Sie zuckte vom Kopf bis zu den Fußspitzen. Sie sah ihn an mit weitgeöffneten Augen. Dann senkte sie die Lider.
»Averil!«
Sie hatte den Namen kaum hörbar geflüstert, und doch lag in diesem sterbenden Hauch aus den bleichen Lippen mehr als in dem lautesten Schrei.
Mit der Berührung ihrer Hände schien sie sich umgewandelt zu haben. Jedes Hemmnis sank auf den Grund, verschwand in endlosem Dunkel. Eine Vorstellung des Glücks glitt durch ihre Seele, ein unbeschreibliches Lächeln ging über ihre Züge. Rückhaltlos gab sie sich in diesem einen hingehauchten Wort.
»Florence!«
Averil kniete nieder und küßte die Hände, die sie ihm willenlos überließ.
»Kann