Collin Cameron wartete geduldig, bis auch dieser letzte Raucher sicher in dem Hafen der Bewußtlosigkeit gelandet war. Dann eröffnete er die Unterhaltung.
»Was Neues?«
»Nein, Mr. Cameron. Sie haben die letzten Artikel in meinem Blatt gelesen. Waren sie nicht gut?«
»Sie waren gut. Aber von nun ab muß ein anderer Ton angeschlagen werden.«
»Noch schärfer? Vergessen Sie nicht, daß mein Blatt schon jetzt in Gefahr stand, unterdrückt zu werden.«
»Die Wahl Josua Bordens ist verschoben!«
»Verschoben! Warum? … Ein böses Zeichen … Verrat?«
»Es kann nicht anders sein.«
Ein schwerer Fluch kam aus dem Munde des anderen. Danach seine Frage:
»Was nun?«
»Das frage ich Sie.«
»Dann muß eben alles andere auch verschoben werden.«
»Ausgeschlossen!«
Der andere pfiff leise durch die Zähne und kniff die schmalen Schlitzaugen noch enger zusammen. Prüfend blickte er in das Gesicht Collin Camerons, in dem sich starke Erregung malte.
»Ihre Worte sind dunkel, Mr. Cameron. Das eine fällt mit dem anderen.«
»Nein! Das darf es nicht!«
»Ah! … Weht der Wind daher? … Aber unsere Führer werden nicht mitmachen.«
»Dann werden andere die Führer sein! … Einer davon Sie!«
Der andere sank in seinen Sessel zurück. Die kleine Figur verschwand fast in den Polstern, während er die Hand an die Stirn legte.
»Es wird nicht gehen, Mr. Cameron. Die Massen werden uns nicht folgen.«
»Zugegeben! Die große Masse der Schwarzen nicht … das heißt nicht sogleich … Aber sind Sie sich der Hafenarbeiter sicher? … Auf alle Fälle?«
Ein übles Grinsen ließ die Züge des schwarzgelben Halbblutes noch abstoßender als gewöhnlich erscheinen.
»Mit genügend … so etwas …«, seine Hände machten die Bewegung des Geldzählens, »und dem nötigen Whisky … Ja!«
»Wie steht’s mit den Mortonwerken?«
»Das kann ich nicht sagen. Aber … der Führer … ist empfänglich für … Wieder vollführten die Finger des Sprechenden die Bewegung des Geldzählens.
»Ich werde mit ihm reden. Wie steht’s mit der schwarzen Universität? Ihre Organisation ist die beste. Ihr Beispiel würde große Wirkung haben.«
»Die jungen Hitzköpfe müßten sich bei zweckmäßiger Behandlung wohl gebrauchen lassen … Ein geschickt inszenierter Streit mit den weißen Studenten … Gut ausgewalzt und kräftig breitgetreten … Alles im richtigen Moment … Das dürfte genügen.«
»All right! Die Arbeit in Frisko lege ich in Ihre Hände.«
Der andere schwieg. Aber seine Augen blinzelten begehrlich nach der Stelle, an der sich Collin Camerons Brusttasche befand, und seine Mienen sprachen eine beredte Sprache. Collin Cameron riß ein Scheckbuch heraus und reichte es seinem Gegenüber.
»Wie hoch?«
»In jeder Höhe!«
Das Grinsen auf den Zügen des anderen verbreiterte sich. Seine Finger umklammerten das Buch, und im Nu war es verschwunden.
»Ich fahre heute nacht nach Louisiana, um dort weiterzuarbeiten. Meine Adresse kennen Sie.«
Ein Nicken des anderen. Noch einmal ließ Collin Cameron einen Blick auf den Raum und seine trunkenen Insassen gleiten. Dann schritt er mit seinem Partner dem Ausgang zu. Ihre Schritte verklangen auf dem Flur.
Plötzlich blieb Collin Cameron stehen und schlich leise wieder dem eben verlassenen Gemache zu. Mit unendlicher Vorsicht schob er den Vorhang um wenige Millimeter zur Seite, daß sein Auge eben den Raum überblicken konnte. Alles war noch genau so, wie er es verlassen hatte. Als er sich umdrehte, stand der gelbe Wirt katzenbuckelnd vor ihm.
»Alles in Ordnung, Mr. Cameron. Die Toten auf dem Kirchhof haben keine tauberen Ohren als meine Gäste.«
Während Collin Cameron dem Ausgang zuschritt, kehrte der Wirt in das Gemach zurück. Sein Auge blieb an einem Weißen hängen, der in tiefem Schlaf der Wand zugekehrt dalag.
»Du Sohn eines Schakals! … Deinethalben hat Tschung Fu eine böse Stunde gehabt. Du bist ja keiner von meinen Stammgästen … für die ich mich verbürgt habe … Du sollst es mir bezahlen.«
Unhörbar schlich er auf seinen Filzsohlen auf den Schläfer zu. Prüfend glitten seine Hände über die Kleidung des Daliegenden und tasteten nach der Gegend der Brieftasche.
Von einem Faustschlage getroffen, flog er bis in die Mitte des Raumes zurück.
»Du Sohn einer gelben Hündin, bezahlt bist du schon im voraus!«
Es war Wellington Fox, der bei diesen Worten von dem Diwan aufsprang. Doch bevor der Berichterstatter der Chikago-Preß den Ausgang erreichen konnte, hatte sich der Wirt schon wieder aufgerafft. Ein Tisch flog Wellington Fox empfindlich gegen das Schienbein. Schon war der Wirt draußen und ließ einen gellenden Pfiff ertönen.
Wellington Fox stürmte ihm nach. Aber es war nicht der Gang nach der vorderen Teestube, sondern ein anderer, ein viel längerer und winkliger Gang, in den er geriet und durch den er bis auf den Hof gelangte. Hier sah er sich plötzlich von allen Seiten umringt.
Wellington Fox war gut gebaut und gut trainiert. Nach rechts und links teilte er solide Faustschläge aus, brachte hier und dort einen Meistergriff des Dschiudschitsu zur Anwendung und bahnte sich über taumelnde und stöhnende gelbe Körper seinen Weg.
Aber er war in einer Falle. Die Tür zum Vorderhaus war verschlossen. Eine Möglichkeit, sie aufzubrechen, nicht vorhanden. Von allen Seiten schlossen steile Wände den Hof ein. Nur an einer Stelle führte an der Wand des Nebenhauses eine schmale Stiege empor. Er stürmte sie hinan und landete atemlos auf dem flachen Dach des Nachbarhauses. Chinesische Wäscher betrieben hier ihr Gewerbe.
Ausgespannte Leinen … mit Wäschestücken behängt … allerlei Zuber und Bottiche …
Einen Augenblick blieb er schnaufend stehen und blickte sich orientierend um. Der Anblick eines gelben Kopfes, der sich über die Dachkante schob, mahnte ihn an seine Gegner. Vor einem plötzlichen kräftigen Fußtritt wich dieser Kopf zurück. Aber ein Blick über den Dachrand belehrte Wellington Fox, daß die Stiege bis hinauf zum Dach bereits dicht mit Gelben besetzt war.
Suchend sah er sich nach einer geeigneten Waffe um. Sein Blick fiel auf einen zur Hälfte mit Wasser gefüllten Waschzuber.
In der nächsten Sekunde hatte er jene zweite Dynothermtube Isenbrandts herausgerissen und in den Zuber ausgeschüttet. So schnell wie möglich zerrte er den Zuber über das Dach bis zur Stiege hin. Schon stiegen gewaltige Dampfwolken aus dem Bottich, schon trafen einige Spritzer des siedenden Wassers seine Hände und verursachten an den Treffstellen große Brandblasen.
Dann war es geglückt … Der Inhalt des Bottichs über die Stiege hinabgegossen.
Ein Schrei des Entsetzens … ein tierisches Brüllen … vermischt mit dem Wimmern Sterbender … belehrte ihn, wie das Dynotherm gewirkt hatte. Schon war der ganze Hofraum in seiner Tiefe ein einziges wogendes Dampfmeer, in dem sich nichts mehr erkennen ließ. Schon strömten die Dampfwolken weiter empor zur doppelten und dreifachen Höhe des Hauses, während dort unten das letzte Wimmern erstarb. Schon mischte sich brenzliger Qualm in den Wasserdampf. Schon zuckte es feurigrot aus den wogenden und wirbelnden weißgrauen