»Heiraten? … Wir … heiraten?«
Helen trat entrüstet auf Fox zu, der sich auf der Bank niedergelassen hatte und mit einer Handbewegung Helen einlud, neben ihm Platz zu nehmen.
»Erstens will ich gar nicht heiraten … und zweitens nicht einen Mann wie Sie, den allerunhöflichsten Menschen, den ich je kennengelernt habe. Alle anderen Männer sind höflich und zuvorkommend zu mir. Besonders die, die mir Heiratsanträge gemacht haben.«
»Sie haben dich aber trotzdem nicht wie ich viermal küssen dürfen.«
»Viermal? … Hundertmal!« rief Helen und geriet dann in unbeschreibliche Verwirrung.
»Wenn du mich nicht heiraten willst, kleine Helen, warum hast du dich dann mit mir verlobt?«
»Verlobt?«
»Gewiß, Helen! Eine wohlerzogene junge Dame küßt keinen Mann, wenn sie nicht mit ihm verlobt ist. Und ist sie verlobt, muß sie ihn doch schließlich heiraten … klar?«
Einen Augenblick stand Helen wortlos.
»Ja … ja, das mag schon richtig sein. Aber wenn nun mein Vater nicht damit einverstanden ist, eine Abneigung gegen Sie hat und gar nicht mit sich reden läßt? Ich liebe meinen Vater sehr, aber ich kann sein Vorurteil gegen Leute, die nicht reich oder von hohem Rang sind, nicht teilen, aber … gegen seinen Willen …
Ich bin deshalb heute zum letztenmal hierhergekommen … und will Ihnen sagen …«
»Daß du morgen abend um dieselbe Zeit hierher, …«
»Herr Fox! Ich gehe jetzt und komme nicht wieder!«
»Gut!«
»Sie dürfen mir auch nicht mehr schreiben.«
»Gut!«
»Sie …«
»Bitte.«
»Sie dürfen mich auch nicht so …«
»Bitte.«
»… so ansehen.«
»Gut … Noch etwas?«
»Nein! … Adieu, Sie …«
Helen raffte ihr Kleid zusammen und schickte sich an zu gehen.
Am Ausgang der Laube drehte sie sich nochmals um.
»Adieu, Sie Mr. Gut … Sie Papagei … Sie Ungeheuer … Sie, Sie …«
Mit drei Schritten stand sie vor Wellington Fox und hielt ihm die kleine geballte Faust vors Gesicht. Da fühlte sie sich plötzlich neben Fox sitzen und ein anderer Mund verschloß den ihren. Erst nach geraumer Weile klang die Stimme Wellingtons wieder:
»Glaubst du wirklich, meine liebe kleine Helen, Wellington Fox ließe sich das Glück seines Lebens entgehen, weil ein alter, harter Mann ihn seines schmalen Beutels halber nicht für würdig hält? Ihn und alle seine Schätze mag der Teufel …«
»Wellington, es ist mein Vater.«
»Leider, Helen! Doch Geduld. Wir wollen sehen, wessen Schädel auf die Dauer der härtere ist.«
»Ach Wellington, du hoffst ihn zu zwingen? Dann werde ich nie im Leben die Deine werden. Ach, wenn du wüßtest, wie grenzenlos unglücklich ich bin.«
Tränen erstickten Helens Stimme. Weinend barg sie ihr Gesicht an Wellingtons Brust.
»Geduld, Geduld, kleine Helen! Ich weiß, wie man Leute vom Schlage deines Vaters auf seine Seite zwingt. Man muß etwas tun, was ihnen imponiert, was ihnen Respekt beibringt. Und warum sollte das nicht auch deinem Wellington gelingen? Noch einige Wochen. Dann ist die Saat reif, dann …«
Die weiteren Worte gingen in einem unverständlichen Gemurmel unter.
»Du sprichst so geheimnisvoll, Wellington, was meinst du?«
»Nichts, nichts, kleine Helen. Doch noch eins, Liebste. Es könnte sein, daß du mich in den nächsten Tagen vergeblich erwartest. Vielleicht kann ich sogar vor eurer Abreise nach Asien überhaupt nicht mehr hierherkommen.«
»Warum nicht, Wellington? Was sollen diese Andeutungen? Was hast du vor?«
Helen drängte sich ungestüm an Wellingtons Brust.
»Nichts Besonderes, liebe Helen. Mein Beruf zwingt mich häufig zu unvorhergesehenen Reisen … Es könnte sein, daß ich morgen … wichtige Geschäfte … auf ein paar Tage verreisen müßte. Das ist alles. Wünsche mit mir, daß diese Reise guten Erfolg hat. Sie wird uns auch unserem Glück näherbringen. Am Balkaschsee treffen wir uns bestimmt wieder.«
Es war eine kleine, gut bürgerliche Teestube, die Tschung Fu in der China town von Frisko hielt. Keine Hafenarbeiter, keine Wäscher, Köche oder dergleichen Volk verkehrte hier. Nur das bessere Publikum, Kaufleute, Händler und jene gelben Künstler, die mit unendlichem Geschick und noch größerer Ausdauer die Erzeugnisse chinesischen Gewerbefleißes, die wunderbaren Lack- und Filigranarbeiten herstellten, die in der Hauptstraße von China town in den Basaren verkauft wurden.
Aber diese solide Teestube war nur der Vorhang vor schlimmeren Dingen. Die gelben und weißen Gäste Tschung Fus konsumierten nicht nur den duftigen Trank der Pekkoblüte. Sie huldigten auch dem Genusse des Opiums. Diesem Zweck dienten die hinteren Räume des Teehauses.
Eine kaum sichtbare Tür an der Wand der Teestube … Ein langer, winkliger Gang … Ein Vorhang … Noch einmal ein Stück Gang … Ein zweiter Vorhang, und man war in dem Raum, in welchem Tschung Fu seinen Gästen, aber nur wohleingeführten und unbedingt zuverlässigen Gästen, das verbotene Narkotikum verabreichte.
Ein großer, nur durch künstliche Beleuchtung erhellter Raum. An den Wänden kleine, durch Vorhänge verschließbare Nischen. Im Raume selbst noch zahlreich jene niedrigen, weichgepolsterten Lager, auf denen die Opiumraucher den Genuß ihres Rausches mit gelösten Gliedern auskosten konnten.
In den Vorhängen, im Holzwerk der Wände, ja im ganzen Raume haftete unvertilgbar der süßliche, für den Ungewohnten widerliche Duft des kalten Opiumrauches.
Es war um die dritte Nachmittagsstunde. Schon hatte das Lokal Tschung Fus reichlichen Zuspruch gehabt. Alle Nischen des hinteren Raumes waren belegt, alle Polster und Kissen im Raume selbst besetzt. Gelbe und auch einzelne Weiße lagen hier. Die meisten bereits im tiefen Rausch. Nur einige wenige noch fähig, die Pfeife zum Mund zu führen … die letzten Züge zu tun, die sie in das Land glücklicher Träume bringen sollten. Tschung Fu war zufrieden. Jede hier gerauchte Pfeife brachte ihm ein blankes Goldstück von den bewährten alten Gästen … viel größere Beträge von denen, die zum ersten Male kamen, die erst eingeführt wurden oder sich selbst einführen wollten.
Jetzt begleitete der Wirt dienernd und kriechend Collin Cameron und dessen Begleiter, ein gelbschwarzes Halbblut, in den Raum.
»Es tut mir sehr leid, Mr. Cameron … alle Kojen sind besetzt …«
Collin Cameron blieb zögernd mitten im Raume stehen. Ein halbunterdrückter Fluch kam über seine Lippen. Sein Blick glitt über die Gäste, die hier als die willenlosen Sklaven einer Droge und einer Leidenschaft auf den Kissen lagen.
»… Verdammtes Pack! … Versoffenes Lumpengesindel …«
Er machte eine Bewegung, als ob er den nächsten mit einem Fußtritt von seinem Lager hinabschleudern wolle.
Der Wirt deutete einladend auf einen unbesetzten Tisch in der Mitte des Raumes. Collin Cameron fragte: »Wer ist hier?«
»Nur alte Bekannte! Sichere Leute! … Sie schlafen alle. Sind im siebenten Paradiese. Man könnte sie hinaustragen, ohne daß sie es merken.«
Noch einmal ein kurzes Überlegen. Dann ließ sich Collin Cameron an dem Mitteltisch nieder und lud seinen Begleiter durch eine Handbewegung ein, das gleiche zu tun. Der Wirt brachte ihnen selbst den frischen Tee. Dann zog er sich scheu zurück.
Collin