Dünner als Blut - Schweden-Krimi. Åsa Nilsonne. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Åsa Nilsonne
Издательство: Bookwire
Серия: Ein Fall für Monika Pedersen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726445107
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so schnell wie möglich ins Krankenhaus kommen.

      4

      Monika ging durch die automatischen Schwingtüren, die jedes Jahr eine große Anzahl neuer Patienten ins Krankenhaus führten.

      Es war schön, aus der kalten Berührung des Nebels in die Wärme zu treten. Monika holte tief Luft. Der Architekt des Krankenhauses hatte vielleicht eine Phase von Kontrasten durchlebt? Kaltes, verschlossenes und geheimnisvolles Äußeres, drinnen Wärme, ein halber Dschungel in Töpfen, eine Cafeteria, ein Kiosk und ein Blumenladen. Oder wollte jemand das abweisende Äußere durch um so mehr Wärme ausgleichen? Es konnte aber auch ein Bestandteil der Indoktrinierung sein – erst soll man erschrecken, den Mut angesichts des gewaltigen und unübersichtlichen Apparates verlieren, in den man sich hineinbegeben muß, krank und unterlegen, wie man ist. Dann tritt man ein und stößt auf Wärme, Licht, Bewegung, menschliche Aktivitäten in begreiflichem Maßstab, und man fühlt sich erleichtert, ein Teil des Mutes stellt sich wieder ein, man ist dem Krankenhaus dankbar und hat bereits vergessen, daß gerade das Krankenhaus einem den Mut genommen hatte.

      Es wirkte fast ungehörig, nach der Pathologie zu fragen, eine taktlose Erinnerung daran, daß nicht alles aus kunstfertigen Blumengestecken für frisch operierte Verwandte bestand, die in vier Tagen nach Hause kommen würden; aber wenn die Frau am Informationsschalter nun verärgert war, so zeigte sie es nicht. Sie erteilte Monika eine so klare Auskunft, daß die sich nicht noch einmal zu erkundigen brauchte, bis sie vor einer Glastür mit der Aufschrift »Pathologisches Institut« stand.

      Hinter dieser Tür erwartete sie ein schlaksiger junger Mann mit einer Brille, die teilweise von einem Schopf aus den glattesten Haaren verborgen wurde, die Monika je gesehen hatte. Der junge Mann erklärte, daß der Professor sich leider nicht wohl gefühlt habe und deshalb nach Hause gegangen sei, aber daß er selber mit allen nötigen Auskünften zur Verfügung stehe. Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare und hatte sekundenlang freie Sicht, dann fiel ihm der Schopf wieder über die Brille. Er lachte, als wolle er um Entschuldigung bitten.

      »Ich heiße übrigens Bertram Schwieter und bin eigentlich ganz weit unten in der Hackordnung hier im Institut, aber ausgerechnet heute sind alle krank, bis auf einen, den sie letzte Woche eingestellt haben, und deshalb bin ich beauftragt worden, Ihnen so weit wie möglich zu helfen.«

      Monika spielte mit dem Gedanken, ihm zu erzählen, daß ihre Situation ganz ähnlich war, fühlte sich aber nicht selbstsicher genug, um das zu wagen.

      »Als allererstes möchte ich den Toten sehen.« Monika hoffte, kompetent zu wirken.

      »Ist schon klar, er liegt im Obduktionssaal, wir haben nichts angefaßt, seit wir angerufen haben.«

      Auf einem Obduktionstisch aus rostfreiem Stahl lag die Leiche eines kleinwüchsigen, dünnen Mannes in mittleren Jahren. Er lag mit einem schwachen Lächeln um die blassen Lippen auf dem Rücken, und deshalb sah sein Kopf aus, als wisse er nichts davon, daß seine Bauchhöhle geöffnet worden war und seine inneren Organe, sorgfältig auf Tabletts arrangiert, überall herumstanden. Monika sah sofort die Blutergüsse des Mannes und fragte Bertram, wie sie entstanden waren. Bertram wußte das nicht, sagte jedoch entschuldigend, daß der amerikanische Professor, der die Leiche obduziert hatte, zu dem Befund gekommen war, daß sie nicht durch eine Mißhandlung entstanden waren und daß sie für die Todesursache keine Rolle spielten.

      »Was wissen wir über die Umstände des Todesfalles?« fragte Monika.

      »Ich weiß auch nicht mehr, als in seinen Papieren steht. Offenbar hatte er mehrmals Magenblutungen, er wurde zuletzt vor zwei Wochen in der Chirurgie behandelt, dann wurde er in guter Verfassung entlassen, erschien gestern morgen aber in der psychiatrischen Ambulanz, und da fiel er im Wartezimmer um und war tot.«

      »In der Psychiatrie? Was wollte er denn da?«

      Bertram machte ein unglückliches Gesicht, als ob man ihm persönlich vorwerfen könnte, daß Gösta diesen ungewöhnlichen Weg in die Pathologie gewählt hatte.

      »Das weiß ich nicht. Wir scheinen noch keine Papiere von dort zu haben, wir werden sie so schnell wie möglich besorgen, im Moment steht alles kopf; ich weiß wirklich nicht mehr.«

      »Es gibt keinen Polizeibericht, und Sie wissen nicht, ob er in eine Schlägerei geraten sein kann?«

      Bertram schüttelte den Kopf und sah Monika so niedergeschlagen an, daß sie das Thema wechselte und darum bat, die Organe sehen zu dürfen.

      Bertram führte ihr den Befund vor, so gut er konnte, er zeigte die Blutungen, die Leber, den leeren blutigen Magen und erklärte Hayakawas Argumentation.

      »Jaaa«, Monika sagte das leicht gedehnt, »dann brauchen wir eine gerichtsmedizinische Obduktion und eine technische Untersuchung, ob hier wirklich ein Mord vorliegen kann.«

      Sie blickte zum Obduktionstisch hinüber.

      »Es ist wohl noch alles vorhanden?«

      Bertram nickte.

      »Daß wir nicht selber daran gedacht haben! Aber das ist für uns ja auch eine ganz neue Situation . . .«

      Monika konnte sich in letzter Sekunde an dem Geständnis hindern, daß die Situation für sie mindestens ebenso neu war. Bertram versuchte, der Verantwortung zu entsprechen, die ihm auferlegt worden war.

      »Ich werde ihnen Bescheid sagen, oder ist das Sache der Polizei? Schwierig zu wissen, wer wofür zuständig ist.«

      Er sah Monika zögernd an, als ob er sich von ihr kaum Hilfe verspräche. Seine Unsicherheit ließ ihr Selbstvertrauen plötzlich auflodern: Vielleicht wußte sie nicht sehr viel, aber sie wußte jedenfalls mehr als irgend jemand sonst hier und jetzt. Sie antwortete, sie werde die Gerichtsmedizin und die Technik anrufen. Monika befürchtete, daß ihr Gespräch mit der Gerichtsmedizin auf dieselbe Skepsis treffen könnte, die Bo Ekdal bei der Kripo widerfahren war. Die Gerichtsmediziner hatten sicher auch ihre Scherzkekse.

      In der Gerichtsmedizin war alles ruhig, so ruhig, wie es in einer Institution überhaupt nur sein kann, die viel zu wenig Kapazitäten für die Arbeit hat, die durchgeführt werden muß. Monikas Anruf wurde von Doktor Derek Cramer entgegengenommen, einem vierzigjährigen Amerikaner, der sich in Stockholm niedergelassen hatte, weil er seine schwedische Frau liebte und diese sich in den Staaten nicht wohl fühlte.

      Er hörte sich fast belustigt an und glaubte Gott sei Dank nicht, daß Monika sich einen Scherz erlaubte.

      »Die Pathologie hat einen möglichen Mord entdeckt? Das hätte ich denen wirklich nicht zugetraut.«

      Er ließ sich die Details berichten, die Monika liefern konnte, und sie verabredeten, daß er gleich in die Pathologie kommen würde, ein Spaziergang von höchstens zehn Minuten.

      Das Telefonat mit der Technik war schwieriger. Monika hatte vergessen, sich die Durchwahl geben zu lassen, sie hing bei der Telefonzentrale mehrere Minuten in der Warteschleife und fand es dann schwer zu erklären, wer sie war und mit wem sie verbunden werden wollte. Schließlich hatte sie einen Kriminalinspektor an der Strippe, der sich als Allan Larsson vorstellte. Allan Larsson hatte eine tiefe, weiche und ernste Stimme, er hörte interessiert zu und sagte dann verschwörerisch:

      »Hier ist fast niemand, alle liegen mit vierzig Grad Fieber zu Hause. Der Rest wird mit dieser verdammten Botschaftsbesetzung geplagt. Wir sollen alles stehen und liegen lassen und undeutliche Fotos von allerlei Waffen analysieren, angeblich um ein, wie sie sagen, strategisches Vorgehen begründen zu können. Es ist so blöd, daß man heulen könnte. Das habe ich aber nicht vor und werde mir statt dessen Ihre Leiche ansehen. Allerdings weiß ich nicht, was der Chef sagen wird, wenn er das merkt. Wollte der Gerichtsmediziner sofort anfangen?«

      »Das weiß ich nicht«, antwortete Monika und konnte nicht begreifen, warum sie vergessen hatte, danach zu fragen. »Aber das muß doch wohl so sein, sonst verderben die Organe sicher.« »Das glaube ich auch. Ich fahre sofort in die Gerichtsmedizin. Bis dann! Auf Wiederhören!«

      Sie hatte das Gespräch gerade beendet, als Bertram mit Cramer erschien. Er sah sich Gösta Persson an, der