»Wahre Schönheit kommt von innen, das weißt du doch. Du siehst auch ganz gut aus dafür, daß du fast rund um die Uhr gearbeitet hast, nur ein bißchen feucht.«
Mikael hatte wie immer den Tisch mit Sorgfalt gedeckt.
»Jetzt erzähl, und zwar das Wichtigste zuerst. Hast du interessante Leute kennengelernt, wo du nun endlich bei der Kripo bist?«
Sie machten immer Witze darüber, daß sie eines Tages über einen Wimsey, einen Alleyn oder einen Dalgliesh stolpern würde. Einen großen, eleganten und einsamen Mann, der Frauen nicht nach ihrem Körperbau und ihrem Makeup bewertete. Monika, die gern Krimiautorinnen las, wußte, daß sich alle Helden in die ernsten, netten und tatkräftigen Frauen verliebten. Die schönen, herausfordernden und berechnenden Frauen wurden als die oberflächlichen Glücksjägerinnen entlarvt, die sie auch waren. Obwohl Monika wußte, daß das eine Lüge war – in Wirklichkeit ziehen Männer schöne Frauen vor –, las sie eben gern Romane, in denen sie sich ausnahmsweise mit den Frauen identifizieren konnte, denen das Happy-End beschert wurde.
Auf Mikaels Frage schüttelte sie den Kopf.
»Keiner, soweit das Auge reicht. Aber niemand macht ja einen vorteilhaften Eindruck, wenn er gerade diese elende Grippe gehabt hat oder sie bekommt. Sie waren müde, blaß und völlig in Anspruch genommen von dieser Botschaftsgeschichte. Ich glaube, Madonna könnte nackt bei ihnen herumspazieren, ohne eine Reaktion hervorzurufen.«
»Warum ausgerechnet Madonna?«
»Mir ist keine andere Frau eingefallen.«
Mikael lachte, sagte aber nicht warum.
»Jetzt essen wir. Weil ich doch nicht wußte, daß du kommen würdest, habe ich nichts richtig Festliches, aber ich habe Mutterns Frikadellen aufgetaut . . .«
Monikas Mutter hatte niemals, soweit sie sich erinnern konnte, ihre Frikadellen selber hergestellt. Für Monika gehörte der Begriff »Mutterns Frikadellen« in dieselbe Kategorie wie »das edle Roß des Ritters«, »die Türme und Zinnen der Burg« oder »der riesige funkelnde Diamant«, Dinge, die in einer abstrakten Welt existierten, mit denen man im täglichen Leben jedoch kaum rechnete. Als sie Mikael kennenlernte, hatte sie entdeckt, daß Mutterns Frikadellen für ihn eine ebenso selbstverständliche physische Existenz hatten wie Buttermilch oder Knäckebrot. Sie waren groß, unregelmäßig und weich, und sie schmeckten wie ein ganz anderes Gericht als die kleinen, harten, leicht elastischen Frikadellen, an die Monika gewöhnt war. Außerdem waren sie grün gefleckt; Petersilie, wegen des Eisens, hatte Mikael erklärt, als ob es das Natürlichste auf der Welt sei, daß eine Mutter frische Petersilie ins Essen schneidet, damit es gesünder wird. Monika hielt die Frikadellen von Mikaels Mutter für eine der größten Delikatessen.
Bei Frikadellen und Bier erzählte Monika von den Ereignissen des Tages. Beide träumten vom Dienst bei der Kripo, wenn sie nicht mehr Streife fahren sollten.
»Verstehst du – plötzlich habe ich meine eigene Mordermittlung! Obwohl die Götter wissen mögen, was dabei herauskommt.«
»Mordermittlung! Ein Pedant würde das Voruntersuchung nennen, aber wie du weißt, bin ich keiner. Obwohl man ja nicht ganz sicher sein kann, daß der Dahingeschiedene wirklich einer fremden Hand zum Opfer gefallen ist. Hast du nicht gesagt, mit seinem Tod sei gerechnet worden und sein behandelnder Arzt sei bereit gewesen, den Totenschein auszustellen? Ich finde, dieser Amerikaner oder Japaner wirkt verdächtig. Meinst du nicht, daß er vielleicht alles erfunden hat, um seine Vorführung ein bißchen spannender zu machen? Es kommt mir komisch vor, durch die Gegend zu fahren und vor Publikum Leute aufzuschneiden, aber was weiß ich, vielleicht ist das ja auch eine Art Kunst.«
»Meinst du, daß Hayakawa vielleicht alles zusammengelogen hat? Daß er einen schnöden kleinen Suffkopp gesehen und obduziert hat, der einen schnöden Sufftod gestorben ist, und daß der Typ dann sagt, es sei ein unnatürlicher Tod gewesen, damit das Publikum für sein Geld mehr Spannung kriegt?«
»Sie haben doch nicht bezahlt, der Vergleich hinkt also, aber ich finde diese Idee plausibel. Mach nicht so ein trauriges Gesicht, du wirst doch das Vergnügen haben, den Bluff zu entlarven!«
»Aber dieser Professor, Ekdal, der hätte doch gemerkt, wenn der Japaner zu weit gegangen wäre!«
»Der ist sicher höflich. Und außerdem konnte er nur gewinnen, wenn er gute Miene zum Spiel machte. Das übrige Publikum wußte sicher nicht genug, um sich eine Meinung zu bilden.«
»Denkbar ist das schon, aber wenn das so wäre, dann hätte er uns doch sicher nicht angerufen, nachdem der Typ weg war. Nein, sie müssen genügend überzeugt davon sein, daß etwas nicht stimmt, um uns einzuschalten. Das einfachste für sie wäre doch, auf alles zu pfeifen, obwohl das vielleicht wegen des Publikums nicht ging. Irgendwer könnte sich ja erkundigen, was nun wirklich passiert ist, und das wäre für die Pathologen dann peinlich gewesen.«
»Merkst du, daß das, was du sagst, meine Auffassung unterstützt, daß sie anrufen mußten, nachdem der Verdacht erst einmal vor einem großen Publikum geäußert worden war, und daß es jetzt deine Sache ist, das Ganze als Bluff zu entlarven? Geiler Job.«
»Wenn es so einfach wäre, dann wäre schon irgendwer darauf gekommen. Du vergißt übrigens, daß sich auch der Gerichtsmediziner die Leiche angesehen hat. Er fand diesen Todesfall auch seltsam, und wenn die Ansicht der Gerichtsmedizin für dich keinen Wert hat, dann weiß ich auch nicht, was du willst.«
Monika war genervt.
»Wunderbar, ich wollte nur überprüfen, ob die Maschinerie hier oben«, er zeigte auf ihren Kopf, »in Gang ist, und das scheint ja der Fall zu sein. Hier stimmt etwas nicht, und Monika Pedersen, das aufsteigende Genie der Kripo, wird den Fall übernehmen. Sie wird die Frage des unerklärlichen Motivs lösen – die üblichen Motive, Liebe oder Geld, scheinen wenig aktuell zu sein, aber was weiß ich, ich kann mich irren. Sie wird herausfinden, wann, wie und wo. Alles in Zusammenarbeit mit ihrem verletzten, aber brillanten Kollegen, mit mir.«
»Das hört sich ausgezeichnet an. Du kannst mein Watson sein. Watson wegen der Invalidität.«
»Du scheinst zu vergessen, daß ich das Bein gebrochen habe, nicht das Gehirn. Ich weigere mich, Watson zu spielen.«
»Dann bist du eben Nero Wolfe. Weil er so fett war, konnte er das Haus nicht verlassen, und das läßt sich wohl mit deinem Bein vergleichen. Obwohl das ja umgekehrt war – Nero schickte Archie durch die Gegend, und Archie verstand nur Bahnhof, bis Nero am Ende alles erklärte. Ich will nicht Archie sein – das hier ist schließlich meine Ermittlung, und wir sind außerdem keine Amateure. Du mußt dich schon nach mir richten, sonst erzähle ich dir überhaupt nichts.«
»Meinst du, ich soll mich in deine Gewalt begeben? Daß ich nicht lache. Du hast doch keinen einzigen Menschen, mit dem du über das reden kannst, was passiert, aber ohne das kannst du nicht arbeiten. Also bist du in meiner Gewalt.« Er warf einen Apfel in Monikas Richtung. »Gib’s zu!«
Monika fing den Apfel auf und schleuderte ihn zurück.
»Was tut man nicht alles, um kranke Freunde aufzumuntern. Warum hast du übrigens kein Videogerät, dann könnten wir uns jetzt die Kassette ansehen.«
»Die Kassette?«
»Sie haben die Obduktion gefilmt, ich wollte sie mir morgen ansehen.«
Mikael war schon unterwegs zur Wohnungstür. Er bewegte sich trotz des Gipsverbandes überraschend leicht, und Monika hörte durch die geöffnete Wohnungstür, daß er bei den Nachbarn anklopfte. Einige Minuten später erschien ein muskulöser junger Mann mit langen schwarzen Locken mit einem Videogerät, das er an Mikaels gemieteten Fernseher anschloß.
»Das ist Seppo, er wohnt nebenan. Wir haben ein Tauschsystem. Er leiht meinen Korkenzieher, ich sein Video«, erklärte Mikael. »Seppo, das ist Monika, eine Kollegin.«
Monika und Seppo nickten einander mit gegenseitigem Mißtrauen zu.
»Danke,