Dünner als Blut - Schweden-Krimi. Åsa Nilsonne. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Åsa Nilsonne
Издательство: Bookwire
Серия: Ein Fall für Monika Pedersen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726445107
Скачать книгу
stimmen?«

      Das hätte Monika auch fragen sollen, sie sah es ein, aber nun würde sie immerhin die Antwort hören.

      Bertram erklärte Cramer, der wußte, wer Hayakawa war und was er bedeutete, die Geschichte von der Obduktion.

      Derek Cramer betrachtete Gösta Persson mit neuem Respekt.

      »Ich habe mir ja schon gedacht, daß der ungewöhnlich hübsch aussieht. Scherz beiseite, der Typ soll brillant sein. War er das?«

      »Da kannst du dir deine eigene Meinung bilden. Wir haben das Ganze auf Video aufgenommen – aber wer von euch bekommt denn nun die Kassette?«

      Monika und Derek blickten einander überrascht an. Derek ergriff die Initiative:

      »Wenn du bis morgen warten kannst, dann wäre es für mich sehr gut. Das ist gar nicht leicht, erst zum Schluß einzusteigen.«

      Monika dachte kurz nach. Dann sagte sie:

      »Das Video ist ein wichtiger Beweis, und ich weiß nicht, ob ich es einfach so aus der Hand geben kann.«

      Ihre Unsicherheit lähmte alle für einen Moment, aber dann schlug Bertram vor, das Video kopieren zu lassen, dann konnte Monika das Original behalten und Derek die Kopie überlassen. Diese Idee wurde dankbar aufgenommen, und Derek fuhr fort: »Hayakawa war der Ansicht, daß der Patient an Blutungen gestorben ist, die sich aus seinem Allgemeinzustand heraus nicht erklären ließen. Er überlegte, ob eine Vergiftung vorliegen könnte. Schwer zu sagen, aber wir werden das Blut und die übrigen Körperflüssigkeiten analysieren. Dann sehen wir nach, ob die Blutzentrale noch Proben von der letzten Behandlungsrunde hat, das müßten sie eigentlich. Ja, wir tun unser Bestes.«

      »Ich kümmere mich um die Formalitäten«, versprach Monika, die noch immer nicht so recht wußte, welche Papiere notwendig waren, das aber so schnell wie möglich feststellen wollte.

      »Wegen der Grippe kommt übrigens nur ein Typ von der Technik, Allan Larsson heißt er. Er kommt direkt in die Gerichtsmedizin. Wie bald könntest du etwas sagen, was meinst du?«

      Derek lachte.

      »Tut mir leid, erwarte nicht zuviel. Hayakawa hat bestimmt nicht allzu viele Hinweise übersehen. Die Analysen brauchen ihre Zeit, und außerdem gibt es für einige Stoffe, die hier aktuell sein könnten, keine Analysemethoden. Wenn du diesen Fall löst, dann hast du das leider nicht mir zu verdanken. Ich werde dich auf dem laufenden halten.«

      Sie verabschiedeten sich, reichten einander die Hände, und dann ging Monika mit Bertram in die Videozentrale, um eine Kopie des Videos herstellen zu lassen.

      Sie konnte in der Pathologie nicht viel mehr tun. Und sie hatte keinen Grund, mit in die Gerichtsmedizin zu gehen. Sie hatte nicht die geringste Lust, den Kommissar anzurufen und um weitere Instruktionen zu bitten. Sie beschloß, sich selber erst einmal um alles zu kümmern. Sie mußte zuerst herausfinden, unter welchen Umständen Gösta Persson gestorben war. Vielleicht konnte sie von hinten anfangen – ihr nächster Anhaltspunkt wäre in diesem Fall Göstas vorletzter, und so weiter. Sie hatte noch keinen weiteren Plan, keine Arbeitshypothese, sie hoffte, die Ideen würden sich nach und nach einstellen.

      Auf jeden Fall gab es etwas zu untersuchen. Etwas war passiert. Unfall? Selbstmord? Mord? Totschlag? Seltsamerweise schienen der graue Himmel und der Nebel, die sich schon allzu lange hielten und die ganze Stadt in eine Art Niemandsland verwandelten, ihr Mut zu geben. Es würde sich schon alles finden.

      Sie ging ins Büro zurück und bat um das Telefon, um Mikael, ihren regulären Partner, anzurufen. Er hatte seine Wohnung nicht verlassen können, seit er aus dem Krankenhaus entlassen worden war, und sie hatte versucht, ihn mit täglichen Schilderungen der Ereignisse in seiner Abwesenheit aufzumuntern. Als er hörte, daß sie in Kungsholmen sei, fragte er sofort, ob sie nicht abends bei ihm essen wolle.

      »Die Gespräche mit dir sind wie Wasser für einen, der in der Wüste verdurstet. Heute klingt es sogar, als ob du Champagner zu bieten hättest, wenn man wirklich Champagner möchte, nachdem man in der Wüste fast verdurstet wäre. Egal, du weißt, was ich meine. Willkommen.«

      5

      Monika und Mikael hatten sich auf der Polizeischule kennengelernt, sie waren gern zusammen und hatten nach und nach und Schritt für Schritt eine Freundschaft aufgebaut. Sie hatten zusammen schießen gelernt, sie hatten zusammen trainiert, sie hatten sich gegenseitig über Strafrecht und Sicherung von Beweisen abgehört.

      Die besten Freundschaften von Monika waren immer die mit Männern gewesen. Sie hatte Jungen und später Männer für zuverlässiger, loyaler und im allgemeinen für ungefährlicher gehalten als Mädchen und Frauen. Mikael, der mit zwei Schwestern aufgewachsen war, von denen eine nur elf Monate älter war, hatte leicht in dieses Muster gepaßt.

      Monikas Mutter hatte Monikas Freunde mit Mißtrauen betrachtet. In ihrer Welt sollten Frauen schön und begehrenswert sein. Die Männer wiederum romantisch, stark und möglichst reich. Sie sollten willens sein, für die begehrte Frau gegen Drachen zu kämpfen.

      Monikas Freunde paßten nicht in dieses Bild, aber andererseits war ja klar, daß Monika die physischen Voraussetzungen und das passende Gemüt dazu fehlten, diese Art Frau zu werden. Monika war eine weitere Enttäuschung im Leben ihrer Mutter gewesen, in einem Leben, das von fehlgeschlagenen Hoffnungen und zerstörten Träumen erfüllt war. Monika spürte noch immer die mißbilligenden Blicke ihrer Mutter, aber es kam immer seltener vor. Jetzt, als sie mit langen, geschmeidigen Schritten durch den immer lichter werdenden Nebel ging, hatte die Mißbilligung dem Gefühl weichen müssen, stark zu sein, an der richtigen Stelle zu stehen, Teil eines Ereignisses zu sein, das etwas bedeutete. Sie hatte ihren Bericht geschrieben, und nun folgte sie dem niedrigen schwarzen Gitter, das am Bürgersteig der Polhemsgatan entlangführte. Ein kleines Auto kroch vorbei, der Fahrer schaltete optimistisch zwischen Fern- und Abblendlicht hin und her, als ob er glaubte, im nächsten Moment klar sehen zu können.

      Bei normalem Wetter wohnte Mikael nur wenige Gehminuten vom Polizeigebäude entfernt am Jaktvarvsplan, einer Straße, die so kurz ist, daß ihr Name nur auf den allergrößten Detailausschnittskarten steht. Ein kurzes Straßenende, das eine kleine ovale Grünfläche, in deren Mitte ein Kastanienbaum steht, umschließt. Für Monika war der Jaktvarvsplan das Bühnenbild eines modernen Theaters.

      Die Wohnung gehörte Mikaels Großmutter, und Mikael war vor sieben Monaten hier eingezogen, als der letzte Versuch, die Großmutter mit Heimdienst, Nachtwachen und Alarmarmband zu Hause wohnen zu lassen, fehlgeschlagen war. Im Krankenhaus wollte sich niemand zur Zukunft äußern, es war durchaus möglich, daß noch einmal ein Versuch gemacht wurde, und deshalb hatte Mikael sich provisorisch einquartiert, wie ein zufälliger Gast, der keine Spuren hinterläßt. Er kümmerte sich um die Topfblumen seiner Großmutter und hatte nur einige ihrer empfindlichsten Ziergegenstände weggepackt. Wenn er sie an den Wochenenden besuchte – dabei wechselte er sich mit seinen Schwestern ab –, fragte sie immer nach den Begonien und den Fleißigen Lieschen, als ob sie nicht glaubte, daß ihm diese letzten lebenden Wesen, die sie in ihrer Obhut gehabt hatte, wirklich anvertraut werden könnten.

      Und das war schon richtig so. Er goß die Blumen zwar nach ihren Anweisungen, aber die schienen sie zu vermissen; sie wuchsen weniger üppig als zuvor.

      Monika hatte sich daran gewöhnt, daß Mikael in einer Wohnung lebte, die wenig zu ihm paßte. Mikaels hervorstechendste Eigenschaften waren seine Vitalität, seine Energie, seine Neugier. Mikael ließ sich Strähnen in sein mittelblondes Haar färben, trug noch als Erwachsener ein Jahr lang eine Zahnklammer. Mikael konnte zwischen größtem Glück und tiefster Verzweiflung hin- und herpendeln, schneller als irgend jemand sonst in Monikas Bekanntenkreis. Mikael war offen, reagierte auf alles, was sich um ihn herum bewegte. Monika hatte mehrere Jahre gebraucht, um zu glauben, daß er sich freute, wenn er sie sah. Jetzt kannte sie ihre Bedeutung in seinem Leben, sie staunte nicht mehr über die Wärme in seinem Lächeln, sein fast kindliches Entzücken, wenn sie kam. Fast unbewußt ließ sie sich auf die Wange küssen, hängte ihre Lederjacke neben den Persianerpelz der Großmutter, Größe 36, und setzte sich an den Küchentisch.

      »Du