„Das würde mir gefallen“, sagte Jun.
„Prima! Jetzt habe ich einen berechtigten Grund, dir meine Piercings zu zeigen.“
„Piercings?“
Ich stieß einen zufriedenen Laut aus und ließ ihn los. „Komm. Du wolltest das Haus sehen.“
„Das war, bevor ich von deinen Piercings wusste.“
„Ja.“ Gott, manchmal war ich so fies.
„Mehrere?“
„Allerdings.“
„Zum Beispiel wo?“
Ich erklomm die Stufen der Veranda und öffnete die Tür. „Da wirst du wohl eine gründliche Durchsuchung vornehmen müssen.“
Als wir eintraten, hielt Herb gerade einer Besuchergruppe einen seiner langatmigen, nicht besonders beeindruckenden Vorträge. Ich bedeutete ihm mit einem Wink, weiterzureden und führte Jun die Treppe hinauf. Im ersten Stock gingen wir am Schlafzimmer und den Kinderzimmern vorbei, bevor wir die Treppe zur nächsten Etage erreichten. Der zweite Stock war wie üblich leer und still. Touristen blieben niemals lange hier oben, obwohl das Büro des Captains meiner Meinung nach zu den interessanteren Teilen unserer Ausstellung gehörte.
„Ein beeindruckendes Haus“, sagte Jun, als wir in der zweiten Etage angekommen waren.
„Danke. Ich habe hier mehr Zeit und Mühe investiert als an jedem Ort, an dem ich selbst gewohnt habe.“ Ich deutete auf den berüchtigten Schrank. „Tja, das ist er.“
Jun starrte die Tür an, dann zur Treppe, dann wieder auf die Tür. „Könntest du ihn kurz öffnen?“
Mit einem Nicken löste ich den Ösenhaken. Der Schrank war noch immer leer.
Ich musste zugeben, dass ein kleiner – sehr kleiner – Teil von mir sich wünschte, dass Skelli wieder da wäre, damit ich zumindest hätte beweisen können, dass ich am Morgen nicht plötzlich für kurze Zeit verrückt geworden war. Ich deutete auf die Rückwand. „Da war er.“
Jun betrat den Wandschrank und aktivierte die Taschenlampenfunktion seines Handys, um sich umzusehen.
„Nicht viel zu sehen, stimmt’s?“
„Ja.“
Mit einem leisen Grunzen zwängte ich mich vorsichtig neben ihn in den Wandschrank. „Ich habe die alte Tapete entfernt und dabei diesen Riegel gefunden“, erklärte ich und hob ein Stück Tapete an, um es Jun zu zeigen. „Dann hat ein Stück der Wand nachgegeben und Skelli ist rausgefallen.“
„Skelli?“
„Er hing einfach raus wie eine traurige, leere Piñata.“
„Das wirft zweifellos viele Fragen auf“, stellte Jun fest, während er die schmale Nische ableuchtete, als hoffe er, etwas zu finden.
„Adam denkt, die Person wurde vielleicht ermordet. Denn warum sollte man sonst jemanden verstecken? Und Sebastian hat es ähnlich gesehen – Skelli wurde eindeutig versteckt, weil ihn niemand finden sollte.“
„Sebastian Snow?“
„Ja.“
Jun nickte. „Zieh ihn da nicht mit rein.“
„Das mache ich nicht. Ich habe es nur beiläufig erwähnt.“
„Als Ausrede, um sich einzumischen, scheint das bei ihm schon genug zu sein.“
„Ich bin ziemlich sicher, dass selbst Sebastian nicht extra auf die Keys kommen würde, um einem verschwundenen Skelett nachzuspüren – so verrückt er auch sein mag.“
„Sorgen wir dafür, dass es so bleibt. Ich bin nicht daran interessiert, Winter – so hieß er doch? – anrufen zu müssen, damit er seinen entlaufenen Assistenten abholt.“
Jun kannte Sebastian, weil dessen Freund, der für das Morddezernat arbeitende Detective Calvin Winter, derjenige gewesen war, der um FBI-Informationen zu einem ungeklärten Fall gebeten hatte. Ich glaubte nicht, dass Jun tatsächlich ein Problem mit einem der beiden hatte. Es war nur … na ja, ein Bundesagent gegen den für ein Stadtgebiet zuständigen Detective. Das ging nicht ganz ohne Schwanzvergleich.
Jun beugte sich mit dem Licht in die Nische. „Ich habe dein Handy gefunden.“
„Was?“ Ich näherte mich und sah hinein, während Jun danach griff. „Wie kommt es da bitte hin?“
Er reichte es mir.
Ich wischte über den Bildschirm, tippte den Code ein, und ja: vier entgangene Anrufe und ein halbes Dutzend Nachrichten von Jun. Ich verzog das Gesicht und tat als hätte ich sie nicht gesehen. „Scheint in Ordnung zu sein“, sagte ich schließlich.
Ich richtete meinen Blick wieder auf die Lücke in der Wand. Die enge Nische wirkte nicht groß genug, um eine Leiche hineinzuzwängen – was einiges darüber aussagte, wie verzweifelt die Person gewesen sein musste, die sie dort versteckt hatte. Jetzt war nichts mehr dort, wenn man von tonnenweise Staub absah, der mich einige Male zum Niesen brachte.
„Du niest so niedlich“, murmelte Jun.
„Ruhe, Mister.“ Ich war dabei, den Schrank zu verlassen, als mir plötzlich etwas auffiel. „Jun, leuchte mal da runter.“
Jun richtete das Licht des Handys wieder auf die Wand und leuchtete in den unteren Teil der Nische. „Steht da etwas?“
Ich beugte mich so weit wie möglich vor und blies den Staub fort. „Ein Kreuz auf meinem … Herzen“, las ich vor.
„Was soll das bedeuten?“, fragte Jun.
Kopfschüttelnd drehte ich mich zu ihm um. „Ich habe keine Ahnung.“
Kapitel 4
PATSY CLINE macht mich schläfrig.
Ihre Stimme mag schön sein, aber wenn ich eines ihrer Lieder höre, schlafe ich ein.
Also beugte ich mich vor und betätigte den Knopf des Radios, um es mit einem anderen der in Juns Mietwagen einprogrammierten Sender zu versuchen. Hallo, Rihanna, meine hinreißende Königin. „S&M“. Sex lag in der Luft. Ein guter Song.
Jun warf mir einen Seitenblick zu.
„Patsy ist wie warme Milch am Abend“, protestierte ich.
„Sie war besser als das hier. Das ist ein schreckliches Lied.“
Ich keuchte. „Nimm das zurück.“
„Was?“
„Ich liebe dieses Lied. Du solltest mich mal nach ein paar Gläsern dazu tanzen sehen.“
Sein Mundwinkel zuckte. „Ich werde mich nicht zwischen dich und deine Popdiven stellen.“
Juns cooles, elegantes Auftreten täuschte viele Menschen. Tief im Innern war er etwas mehr der schlimme Junge. Er hörte nur den härtesten Rock, Metal und Punk vom alten Schlag, den er auftreiben konnte. Die Art von Musik, bei der man kaum den Text verstand und sich durchs Headbangen eine Nackenverletzung zuzog. In einem Moshpit hätte er sich vermutlich wie zu Hause gefühlt.
Ich wusste bereits, dass er Rihanna absolut nicht mochte, seit er vor einigen Jahren nach der Arbeit mit mir und Matt in einer Bar gewesen war. Matt hatte den ganzen Abend damit verbracht, dort mit einigen jungen Männern zu flirten – und verdammt, es tat immer noch