Siehe da – auf dem Boden lag ein Paar Socken, das ich hastig in den Wäschekorb warf. Auf der Tagesdecke meines Bettes lagen außerdem noch mehrere T-Shirts vom Morgen, als ich versucht hatte, etwas auszusuchen, das mir besonders gut stand, damit ich Jun beeindrucken konnte. Dann war mir bewusst geworden, dass ich zu lange getrödelt hatte und es schon viel zu spät war, woraufhin ich in ein T-Shirt mit Akte-X-Motiv geschlüpft war und hastig das Haus verlassen hatte. Auf den Monster-der-Woche-Look hatte ich es eigentlich nicht abgesehen gehabt, aber c’est la vie.
Ich drehte mich um, als Jun die Treppe heraufkam. „Nicht schlecht, oder?“
„Ganz und gar nicht.“ Er schob seinen Trolley zum Geländer, von dem man im Loftstil das Erdgeschoss überblicken konnte.
Ich nahm indessen die T-Shirts und hängte sie in den Schrank. „Ich weiß, dass es unhöflich ist“, sagte ich, nachdem ich die Schranktür geschlossen und mich wieder Jun zugewandt hatte, „aber würde es dich stören, wenn ich einen kurzen Mittagsschlaf mache? Das soll ich eigentlich um eins tun, aber besser spät als nie.“
„Es ist nicht unhöflich“, antwortete er. „Nur zu. Wie lange brauchst du? Eine Stunde?“
„Oh, nein, nur zwanzig Minuten.“ Ich ließ mich auf mein Bett fallen und drehte mich auf die Seite. „Wenn ich länger schlafe, fühle ich mich erschöpft.“ Ich fischte mein Handy aus der Tasche, stellte den Wecker und legte es auf den Nachttisch. Dann sah ich mich zu Jun um und klopfte einladend auf die Matratze. Schwere Müdigkeit legte sich bereits über mich. Es dauerte keine Minute, bis ich tief und fest einschlief – doch bevor ich im Traumland ankam, spürte ich wenigstens noch, wie sich Juns Arm um meine Taille legte.
NARKOLEPTIKER TRÄUMEN viel, was nicht überraschend ist. Denn während REM-Phasen bei normalen Menschen frühestens nach eineinhalb Stunden einsetzen, waren sie bei mir fast augenblicklich da, selbst bei nur zwanzig Minuten Schlaf. Was viele Leute nicht wussten, war, dass wir zu überraschend häufigen Albträumen neigten.
An viele meiner Träume erinnerte ich mich und dieser hatte überhaupt nicht furchterregend angefangen. Ich ging mit Cher die Duval Street entlang – vermutlich, weil sich Juns Erwähnung ihrer Musik im Radio irgendwie in meinem Kopf festgesetzt hatte. Wir suchten eine Harke, doch als wir diese nicht finden konnten, sickerte allmählich die Panik durch und verwandelte den Traum in einen Albtraum. Wir brauchten eine Harke, um das Skelett im Schrank aufzuhalten.
Und ich weiß, Cher + Harke = sicherer Sieg ist eine verdammt seltsame Logik. Aber ein Traum ist eben ein Traum und in diesem Augenblick wusste ich, dass wir eine Harke finden mussten, weil wir sonst keine Chance hätten.
Dem Skelett begegneten Cher und ich allerdings nicht mehr. Doch obwohl es mir gelungen war, aufzuwachen und dem Albtraum zu entkommen, bevor er ernsthaft beängstigend werden konnte, war meine Rückkehr in die wirkliche Welt schwerfällig und … in Etappen. Ich öffnete die Augen, doch der Rest von mir war, vereinfacht ausgedrückt, noch nicht wach. Schlaflähmung. Wenn Menschen einschlafen, verfallen unsere Körper normalerweise in eine Art Starre, damit wir nicht unsere Träume nachspielen und uns dabei verletzen. Bei mir kam es jedoch gelegentlich vor, dass ich aufwachte, aber mein Körper es noch nicht verstand.
Es ist schwer zu erklären. Manchmal verstand ich in dem Moment, was passierte, allerdings nicht immer. Verdammt beängstigend war es jedes Mal. Mein Verstand raste und konnte nicht begreifen, warum der Rest von mir nicht reagierte. Normalerweise litt ich dabei zusätzlich unter Halluzinationen. Verrückt, oder? Einmal hatte ich mir zum Beispiel eingebildet, ein Wecker kröche durch den Raum, um mich zu töten. Im Gegensatz zu dem, was ich diesmal vor mir sah, war das jedoch noch harmlos gewesen.
Vom Rand des Bettes starrte mich Skelli an. Nur seine vornübergefallene obere Hälfte, wie er in der Wand gewesen war. Doch plötzlich zuckte er, packte den Rand der Matratze und begann, sich hochzuziehen.
Ich versuchte zu schreien. Ich versuchte zu treten und zu schlagen.
Versuchte es und versuchte es und Gott, er kam näher! Er war da, berührte mein Bein und …
Ich fuhr hoch, rang nach Atem, stieß den verhallenden Rest eines Schreis aus.
„Aubrey?“ Jun war bei mir. Er streichelte mit sanften, aber bestimmten Bewegungen meinen Hinterkopf. „Alles in Ordnung?“
Mit bebender Brust atmete ich tief durch. „N-nein, was? Ich … Albtraum.“ Ich drehte mich um und sah Jun an. „Schlaflähmung“, verbesserte ich mich, als der Nebel in meinem Kopf sich allmählich lichtete. „Die ist beängstigend.“
Jun runzelte die Stirn, legte eine Hand an meine Wange. „Kann ich dir irgendetwas holen?“
„Nur dich“, sagte ich. Es kam automatisch aus meinem Mund. Mir wurde erst klar, was ich gesagt hatte, als es schon zu spät war.
Doch er lächelte. Ein strahlendes Lächeln. Das Funkeln war in seine dunklen Augen zurückgekehrt. Jun beugte sich vor, überbrückte die Lücke zwischen uns. Sein Mund war nur noch wenige Zentimeter von meinem entfernt.
Tu es. Küss ihn.
Schließlich waren wir nun offiziell ein Paar.
Ich näherte mich seinem Mund mit meinem.
Und dann kam mir mein Wecker in die Quere – Nicki Minaj, die ihren Feinden vorschlug, ein paar Schwänze zu lutschen.
IM INNERN war ich ein Romantiker.
Ich wollte nicht einen Kuss. Ich wollte den Kuss. Also drängte ich nicht weiter darauf, nachdem der Moment zerstört worden war. Es würde nicht der letzte sein, und dann würde ich den besten verdammten Kuss meines Lebens bekommen.
Da wir beide noch keinen besonders großen Hunger hatten, bereitete ich anstelle einer richtigen Mahlzeit etwas Bruschetta mit Tomate und Basilikum zu, womit wir uns vor dem Fernseher niederließen. Jun trank ein Glas Wein. Ich blieb bei Wasser.
Was Filme anging, war ich unzuverlässig. Ich hielt nie bis zum Ende durch, verschlief die wichtigsten Szenen und wachte erst bei den langweiligen wieder auf. Aus diesem Grund beschränkte ich mich auf Fernsehserien mit kurzen Episoden. Knapp dreißig Minuten dieser Passivität konnte ich gerade noch ertragen. Nur war ich diesmal nicht allein und sah mir gelangweilt eine meiner üblichen drei Serien an. Jun war bei mir und es war ziemlich fantastisch.
Ich mochte ihn wirklich sehr. Er sorgte für Schmetterlinge in meinem Bauch.
Anstatt also nach zwei Folgen und drei Schlafattacken aufzustehen, um etwas anderes zu tun, blieb ich bei ihm sitzen. Jun legte mir einen Arm um die Schultern und ließ zu, dass ich es mir halb wach und halb schlafend mit dem Kopf an seiner Brust bequem machte. Alles an ihm war gut. Verdammt, er roch sogar perfekt, falls das einen Sinn ergab.
Als es im Raum still wurde, öffnete ich die Augen. Jun sah sich bei Netflix um. „Oh, den“, sagte ich plötzlich. Er hielt inne.
„Seit wann magst du Horrorfilme?“
„Du beschützt mich schon.“
„Das ist ein japanischer Film, Aubrey.“
„Untertitel?“ Ich hob meinen Kopf etwas von seiner Brust und stellte fest, dass er mich anstarrte. „Was denn? Vielleicht würde ich eben gerne ein paar Wörter lernen.“
„Warum?“
Mein Herz hüpfte leicht. „Weil du es sprichst.“
Er lächelte.
„Und weil du dabei so verdammt sexy klingst.“
Jun strich mir mit den Fingern durchs Haar und sagte mit seiner tiefen, kraftvollen Stimme