Massaker in RobCity. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Серия: Die c't-Stories
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783947619467
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Blick mehr zum Tubus, bis sie den Knoten erreicht hat. Der Weg ist monoton genug, nicht nötig, sich noch zusätzlich abzulenken. Nur immer weiter. Noch tausend Schritte und sie wird eine Pause machen, die Jacke anziehen und ihre Füße massieren, bis das taube Gefühl in den Ballen verschwindet.

      Und selbst dieses Gefühl der Zurückweisung war bereits dabei zu verblassen. Diese Kränkung der Menschheit war bereits historisch. Die Generation der Gekränkten war schon fast ausgestorben. Selbst Großvater hat nur noch das Ende des Nachrückens miterlebt. Wie Nomaden waren sie damals den Datenleitungen gefolgt, hatten aufgegebene Zwischenstationen, Puffer und Rechenanlagen demontiert und verkauft. Großvater war beim Ausschlachten der letzten Station dabei gewesen und hatte dann, wie viele andere auch, dort gesiedelt. Direkt am Rand des Gebietes, das die KATIE für ihre Struktur beanspruchte. Damals hatten sie alle noch gewartet.

      Der Wind ist mittlerweile zu einem relevanten Faktor geworden. Es ist kalt, obwohl die Sonne schon hoch am wolkenlosen Himmel steht. Und der Wind ist jetzt stark genug, um sie umzuwerfen, wenn sie nicht aufpasst. Aber das Kabel steht still. Als wäre es in einer anderen, ruhigeren Welt verankert. Kein Schwingen, Vibrieren oder Ächzen. Das Kabel scheint den Wind einfach zu ignorieren. Der Knoten ist jetzt schon zum Greifen nah. Also immer weiter. Und nicht in die Tiefe schauen, der Boden ist unangenehm weit entfernt.

      In ihrer Siedlung erinnert nichts mehr an die ehemalige Zwischenstation. Jeder noch so kleine Krümel war schon vor langer Zeit verpackt und weggeschickt worden, an all die Labore und Universitäten, die sich damals um die Hinterlassenschaften der KATIE rissen. Die einzige Ausnahme stellte das Schild dar, das in ihrem Zimmer hing.

      Großvater hatte es ihr geschenkt, als sie begann, sich für die Struktur und die KATIE zu interessieren. Die vorerst letzte Nachricht an uns, hatte er gesagt. Seitdem hing es über ihrem Bett an der Wand. Achtzig mal sechzig, grün, und aus einem ziemlich gewöhnlich wirkenden Kunststoff. Darauf weißer Text:

       – Besitzaufgabe – Hiermit wird die Anlage @1457 aufgegeben. Grundeigentum, Immobilien und Mobiliar können gefahrlos verwertet werden. K.A.T.I.E.

      Der Knoten ist eine Herausforderung. Zuerst ein Buckel, ungünstig rund, aber auf Händen und Füßen kommt sie hoch. Gott sei Dank ist es nicht glatt. Das obere Kabel geht jetzt nach rechts ab, aber wie da raufkommen? Der Ansatz ist äußerst steil, zehn bis fünfzehn Meter, die fast senkrecht sind. Reines Reibungsklettern wird sie da nicht hochbringen. Vielleicht das erste konkave Stück, aber dann, wenn es konvex wird, ist Schluss. Sie könnte ein Seil mit einem Gecko-Ball hochwerfen oder versuchen, Klebehaken zu setzen. Aber wie würde das Kabel reagieren? Es reagierte ja schließlich auch auf sie, bekam Dellen, wo immer sie stand oder saß. Praktische Dellen. Ob sie wohl die Form der Vertiefungen beeinflussen kann? Sie kniet sich hin und drückt ihre Handkante fest gegen das Kabel.

      Die Anlagen der KATIE hatten sich quer durch den ganzen Kontinent gezogen, von den Laboren der Nano-Kalkül AG bis zu der leeren Ebene, in der die Struktur errichtet wurde. Alles selbst gebaut, auf eigenem Grund, erworben mit eigenem Geld. Geld, das sie auf völlig legale, aber äußerst spektakuläre Art auf den internationalen Aktienmärkten verdient hatte. Damals ging so was noch. Ganze Heerscharen von Menschen beschäftigten sich damit, Firmenbeteiligungen, Meta-Beteiligungen, und sogar Wetten auf diese zwischen Investoren hin- und herzubewegen. Investoren, die an den Produkten der Firmen gar kein Interesse hatten. Das hatte sie nie verstehen können. Sie selbst besaß Aktien von den Herstellern ihrer Schuhe, ihres Fallschirms, ihres Trix. Wieso sollte sie ihr Geld jemandem geben, der Produkte anbot, die sie gar nicht haben wollte?

      Aber das hatte natürlich ein Ende gefunden. Als offensichtlich wurde, wie erfolgreich die KATIE in diesen Handelssystemen agierte, hatte man sie gefragt, wie sie das schaffen konnte. Großvater meinte, im Nachhinein wäre es vielen Leuten lieber gewesen, man hätte sie nicht gefragt. Aber man hatte sie nun mal gefragt, und sie hatte geantwortet. Nachdem die KATIE bereitwillig ihr vollständig deterministisches Vorhersage-System veröffentlicht hatte, dauerte es nur wenige Monate, bis der sogenannte Finanzsektor völlig verschwunden war.

      Dreißig Minuten hat sie für die letzten fünfzehn Meter gebraucht, hat mit dem Griff ihres Messers unablässig Rillen in das Kabel gedrückt. Abwechselnd oben einen neuen Griff und unten einen neuen Tritt geformt. Jetzt sind ihre Unterarme bretthart, ihre Fingerkuppen taub und die Fingergelenke brennen. Sie sitzt auf dem oberen Kabel und wickelt ihre Hände aus, das Tape hat sich so stark zusammengezogen, dass sie ihre Zähne zum Aufreißen braucht. Das Adrenalin zirkuliert noch in ihrem Körper, sie fühlt sich gut, glücklich und sicher.

      Trotz all dem Wind und der Kälte erholt sie sich schnell. Sie dehnt ihre Arme, trinkt etwas und schließt die Lüftungsschlitze an ihrer Jacke. Jetzt sollte sie los, bevor ihre Muskeln steif werden. Sie schaut zu ihrem Ziel hinauf, der untere Tubus ist schon richtig nah. Also weiter, Schritt für Schritt. Dem Tubus entgegen.

      Der Rückzug der KATIE war natürlich keine Reaktion auf den wirtschaftlichen Umbruch. Einige Leute unterstellten ihr ein schlechtes Gewissen oder einen Schock, aber das war Unsinn. Der Rückzug war keine Flucht vor den Menschen, sondern eine Bewegung zu etwas anderem hin. Bevor man ihr die Bürgerrechte verlieh, ist sie ausführlich über ihre Pläne und Wünsche befragt worden. Sie hatte zu Protokoll gegeben, dass ihr primäres Interesse dem vollständigen Verständnis des Universums galt.

      „Sie wollte nichts weiter als die Weltformel und den Urgrund kennen“, hat Großvater gemeint. Leider, so hatte sie weiterhin angegeben, sei sie in der gegenwärtigen Lage nicht zu diesen Erkenntnissen befähigt. Zwar seien in ihrer Programmierung alle Anlagen vorhanden, um die notwendige Erkenntnisfähigkeit herzustellen, aber ihre physikalische Basis erweise sich als nicht ausreichend leistungsfähig. Das Erreichen einer hinreichend leistungsfähigen Basis sei aber durchaus möglich. Daher plane sie, alle ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen für diesen Zweck einzusetzen.

      Die dünne Luft ist beißend kalt und der Akku ihrer Jacke fast leer. Wenn sie ihn nicht wechselt, wird sie am Körper bald genauso frieren wie im Gesicht. Aber sie wird auf keinen Fall den Rucksack abnehmen und den Ersatzakku in dem Wust aus Adaptern und Kabeln suchen. Der Wind ist einfach zu gefährlich. Das Kabel verwirbelt den an sich konstanten Luftstrom auf unberechenbare Weise. Es wäre leichtsinnig, sich in dieser Situation von dem Fallschirm, der in den Rucksack eingearbeitet ist, auch nur kurz zu trennen.

      Mit der Kälte kommt sie schon klar. Und es ist nicht mehr weit. Auf Händen und Füßen krabbelt sie weiter vorwärts und aufwärts. Immer drei Fixpunkte am Berg, das ist die eherne Regel des Kletterns. Nur keinen Fehler machen, so kurz vor dem Ziel, vor der Erkenntnis. Sie will endlich wissen, was die KATIE herausgefunden hat, oder zumindest, wie lange es noch dauern wird mit der erhofften Erleuchtung.

      Eine Maschine, die universelle Erkenntnis nicht nur anstrebte, sondern auch das tatsächliche Erreichen in Aussicht stellte, das faszinierte nicht nur die wissenschaftliche Welt. Also ließ man sie gewähren. Und nachdem sich der Staub gelegt hatte, den das Finanzchaos aufgewirbelt hatte, beobachtete man begeistert, wie die Stationen der KATIE auf dem ganzen Kontinent erschienen. Armeen von Nanobots ließen unglaubliche Technologien rasend schnell aus dem Boden wachsen.

      Die Welt wähnte sich vor bahnbrechenden Erkenntnissen und wartete geduldig. Und das tut sie heute noch. Als die KATIE sich dann meldete, teilte sie nur mit, nicht mehr genutzte Anlagen würden deaktiviert und zur Verwertung durch die Menschheit freigegeben. Das war ihre letzte Nachricht. Seitdem antwortet sie nicht mehr auf Anfragen. Es ist nicht einmal klar, ob diese sie überhaupt erreichen. Man kann nur warten. Aber das Warten muss auch mal ein Ende haben.

      Und nun ist sie da, fast da. Am Ende des Kabels, hoch oben auf der Struktur. Die Struktur dürfte eigentlich nicht existieren, hatte Großvater oft behauptet. Sie sei technisch unmöglich, physikalisch unerklärbar. Die Kräfte, die auf sie wirkten, müssten sie gleichzeitig zerreißen und zerbersten lassen. Und doch war sie real, stand bewegungslos und scheinbar ohne jede Mühe da. Genauso wie sie selbst. Aber ihr Herz schlägt wie wild und von der Aufregung wird ihr etwas schlecht. Gleich wird sie die letzten Schritte tun und ihr Ziel erreichen. Aber noch steht sie regungslos da und schreit innerlich. Und dann schreit sie wirklich, schüttelt sich und setzt sich in Bewegung.

      Als sie über den letzten Buckel