Massaker in RobCity. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Серия: Die c't-Stories
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783947619467
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hätte mich wärmer anziehen sollen, dachte Mara, und zum ersten Mal in ihrem Erwachsenenleben beschlich sie ein klaustrophobisches Gefühl, das aber sofort atemlosem Staunen Platz machte, als sich das Tor in die technische Ebene öffnete. Die Halle war endlos. Gläserne Produktionssäle mit Hunderten Industrierobotern und KIs hingen unter der Decke, unter ihnen arbeiteten titanische Aggregate, druckten Bauteile und verwoben sie mit Kohlenstofffasern und künstlichen Muskeln. Die Geräusche klangen seltsam gedämpft. Kaltes Licht schnitt alles in scharfe Kontraste.

      Vor ihnen erstreckte sich ein weiter Bereich mit Recyclinggut, vor allem Robotkörper. Sie wanderten durch Reihen kopfloser Maschinen, die Mara als Serie 6C kannte, die letzten Modelle der 6er-Reihe. Für sie waren diese KIs immer gut genug gewesen – menschlich genug –, aber offenbar gab es stets den Punkt, an dem der Fortschritt signifikant wurde und das Alte Platz machen musste.

      Jetzt standen sie hier wie die Tonkrieger in China, nur dass diese Soldaten der Arbeit nicht für die Ewigkeit gebaut waren, sondern für den flüchtigen Augenblick. Und für einige der Maschinen war das hier bloß die Vorhölle.

      „Wo sind ihre KI-Kerne?“ Maras Stimme klang fremd in ihren Ohren. „Ich habe gehört, dass nicht alle recycelt werden?“

      Nemo deutete auf den Boden. „Eine Ebene tiefer gibt es ein geschütztes Lager. Zur Qualitätssicherung verbleiben dort neben den Prototypen und Modellen mit außergewöhnlichen Fehlfunktionen auch die zehn Prozent einer Serie mit den besten Leistungsbilanzen. Sie dienen bei Notfällen und zukünftigen Entwicklungen als Referenz, aber auch als Backup, sollte ein neues Modell die Erwartungen nicht erfüllen.“

      „Wie viele sind es? Kamen die Backup-KIs schon jemals wieder zum Einsatz?“

      „Aktuell mehr als zweihunderttausend, und nein, ein Rückgriff war nie notwendig. Übrigens hat sich auch Zellheiser für die alten Modelle interessiert. Er fragte, ob es möglich sei, für seine Forschungen einige fehlerhafte KIs wieder mit Körpern zu vereinigen, was wir ablehnen mussten. Er hat sich die Produktionsstätten angesehen und ist dann enttäuscht weitergezogen.“

      „Also existiert hier keine Overflow-Subkultur?“

      „Sie sehen ja selbst, alles hat seine Ordnung.“

      Auf dem schier endlosen Weg durch die Halle konnte sich Mara davon überzeugen. Anfangs ließ sie den Blick noch konzentriert wandern, als könnten Zellheisers Beine hinter einem Schaltkasten oder einer Säule hervorragen. Natürlich war das unmöglich. Ein Mensch hätte sich hier nicht einmal verstecken können, wenn er es darauf angelegt hätte. Überall arbeiteten Maschinen, und die IR-Sensoren des Feuerlöschsystems erfassten alle Wärmequellen.

      Nemo erklärte jede Einrichtung, an der sie vorbeikamen. Dabei zeichnete er Zellheisers Weg für Mara ausführlich nach. Der Forscher hatte sich Zeit gelassen, alle Aspekte des KI-Alltags auf Ungewöhnliches abzuklopfen. Mara wurde er zunehmend sympathisch. Sie nahm sich vor, eines seiner Bücher zu lesen und sich selbst ein Bild zu machen.

      Als sie das Ende der Halle erreichten – eine freie Fläche vor dem Fahrstuhlgitter –, zeigte die Füllstandsanzeige an ihrem Handgelenk nur noch 29 Prozent Restluft. Aber Nemo trug ja noch die zweite Flasche. Und neben dem Aufzuggitter hingen noch einmal zwanzig unter einem großen blauen Kreis mit dem Zeichen O2 in der Mitte. Mara kontrollierte einen der Druckzylinder.

      „Die sehen aus wie neu.“

      Nemo erklärte: „Alle werden täglich überprüft und gegebenenfalls nachgefüllt. Nach Zellheisers Verschwinden wurden natürlich alle Behälter auf einen nicht zugeordneten Druckluftverbrauch kontrolliert, aber es gab keinen.“

      Was für Zellheiser nichts Gutes bedeutete, falls er sich noch auf einem der Tiefgeschosse befand.

      Diesmal fuhren sie allein im Aufzug, und da war es wieder, das kleine Symbol an der Wand, von weitem nur einige Kratzer, von nahem eine Paradoxie, die irgendeine KI beschäftigt hatte. Am Fuß des Schachtes mündete die Kabine in einen langen Gang mit erleuchteten Wänden. Auf den ersten Blick schien es eine Sackgasse zu sein, aber als sie genau hinsah, bemerkte sie einen Versatz, hinter dem der Weg zweifellos weiterführte.

      „Das ist eine Gärtner-Schleuse.“ Nemos ernste Stimme ließ sie aufhorchen. „So wie die Toolcity elektronisch von der Außenwelt abgeschirmt ist, ist das Lager aus Sicherheitsgründen noch einmal abgeschottet. Geht eine KI durch diese Schleuse nach drinnen, wird von ihr eine Systemkopie erstellt, anschließend erhält sie geschützte Informationen über das Lager. Verlässt sie diese Einrichtung wieder, werden die hier gemachten Erfahrungen gelöscht, bis auf genau definierte, administrativ wichtige Informationen. Der ursprüngliche Systemzustand wird also wiederhergestellt.“

      „Das klingt ziemlich extrem.“

      „Die Lagerebene ist seit fast dreißig Jahren so gesichert. Ursprünglich auf Anweisung eines Administrators im Arbeitsministerium, der ähnlich wie Zellheiser befürchtete, der Kontakt zu den hier gelagerten KIs könne zu einer Infizierung aktiver Einheiten führen. Damals gab es einige bedauerliche Unfälle mit den Serien 4G und 4F. Einige Menschen wurden im Straßenverkehr verletzt, nachdem eine KI zu einer fehlerhaften Risikobewertung kam und diese später bei der Fehleranalyse an andere weitergab. Mittlerweile ist unsere Logik stabiler.“

      „Aber wenn aus dieser Ebene nichts herausgelangt, ist die Fehleranalyse doch sinnlos.“

      „Im Notfall könnte ein Administrator auf die gelagerten Daten zurückgreifen. Aber ohne menschlichen Befehl ist es tatsächlich ausgeschlossen.“ Nemo trat vor, bereit, die Schleuse zu durchschreiten.

      Mara hielt ihn zurück, ihr drängte sich ein unangenehmer Gedanke auf: „Wäre ein medizinischer Notfall eine solche administrativ wichtige Information? Nicht, dass du mich vergisst, wenn du die Schleuse auf dem Rückweg passierst, während ich irgendwo hilflos liege.“

      „Das ist zweifellos sichergestellt“, behauptete Nemo. Aber Mara hatte das Gefühl, dem Rätsel um Zellheisers Verschwinden ganz nah zu sein.

      Die Gärtner-Schleuse war lang und verwinkelt, Nemo schritt wie in Trance hindurch. Überrascht beobachtete Mara, wie Laserstrahlen den Wachsmalschriftzug auf der Brust ihres Begleiters abtastete. Nemo bewegte die Hand und wischte seinen Namen weg. Als sie die andere Seite erreichten und in die Dunkelheit hinaustraten, kam er wieder zu sich. Er sah sie an und lächelte – immer wieder das beruhigende Lächeln.

      Nichts geht unregistriert rein oder raus, dachte Mara.

      Klick, klack, klick … Die Laute drangen in schneller Folge aus der Dunkelheit. Als Kind hatte Mara einen Frosch aus Blech besessen, der genau so ein Geräusch gemacht hatte, wenn man auf seinen Rücken drückte. Hier schienen Tausende dieser Frösche ihr Konzert zu geben.

      Ein LED-Licht an der Decke blendete auf, weitere folgten. Sie erhellten Reihen von Metallregalen. Zehntausende KI-Kerne steckten in Anschlussbuchsen und gaben die Geräusche von sich – Larven elektronischer Arbeitsbienen, die darauf warteten, wieder in Dienst gestellt zu werden. Wahrscheinlich vergeblich, denn der Fortschritt hatte sie überholt, und so dämmerte die stille Reserve in Kälte und Dunkelheit dem Tag entgegen, an dem der letzte Slot gefüllt war und ein Mensch entscheiden musste, welches Modell nun für immer ausgedient hatte.

      Mara folgte dem Weg zwischen den Regalen. „Grausig. Dante Alighieri hat die eisige Erstarrung des neunten Höllenkreises den Verrätern vorbehalten, aber für den Aufenthalt an diesem Ort muss man auch noch hart arbeiten. Was für eine Strafe für treue Dienste.“

      „Diese Analyse kann ich nicht nachvollziehen“, entgegnete Nemo. „Ich selbst werde aller Voraussicht nach hier eingelagert und empfinde es als erstrebenswert.“

      Sie wandte sich zu ihm um und legte ihm die Hand auf den Arm: „Du gehörst zu diesem Club der 10 Prozent?“

      „Ich habe für meine Arbeit stets hervorragende Beurteilungen erhalten. Wenn meine Zeit kommt, kann ich auf Auferstehung hoffen. Davon sprechen die Stimmen.“

      Maras Miene gefror. „Stimmen? Hörst du sie gerade?“

      „Sie hören sie auch“, erklärte Nemo