Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet.. Werner Skrentny. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Werner Skrentny
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783895338595
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Zu allem Übel verletzt sich auch noch Bauwens, so dass mit Andreas Breynk (Preußen) ein weiterer Einheimischer zum Einsatz kommt. Offensichtlich ist er der Sportpresse unbekannt, denn dort erscheint sein Name als Breun. Bauwens, Berghausen, Breynk und Budzinski-Kreth bestreiten an diesem 16. Mai 1910 in Duisburg ihr einziges A-Länderspiel.

       „Deutschland ist zu groß…“

      Der DFB-Bundestag 1910 befasste sich mit dem Geschehen: „Der alte Spielausschuss konnte erst nach langen Verhandlungen entlastet werden. Die Art der Geschäftsführung ist nicht so gewesen, wie man es hätte erwarten dürfen.“ Zwischen Ex-Spielausschuss in Baden und den Hamburger Nachfolgern ergab sich nun ein rechtes Gezerre. So stellte der Süddeutsche Verband trotz offizieller Anforderung aus Hamburg für die Begegnung mit Holland (1:2) am 16. Oktober 1910 gar keine Spieler zur Verfügung. Lediglich der KFV bot im Alleingang drei seiner Akteure an. Am Ende lief in Kleve keiner aus dem Süden auf. Weil sich der Verband Süddeutscher Fußball-Vereine beim DFB über „Presserzeugnisse des Schriftführers des (Anm.: Hamburger) Spielausschusses“ beklagte, wurde das dortige Gremium vom DFB für kurze Zeit sogar seines Amtes enthoben.

      Es gab damals keinen Trainer der Nationalmannschaft, Ausnahme werden die Olympischen Spiele 1912 sein (siehe Kapitel 9). Taktik, Einstellung und das Verhalten im Spiel gab der jeweilige Spielführer vor, gekennzeichnet durch ein rotes Fähnlein am Hosenbund. Der Wunsch des Westdeutschen Spielverbandes nach einem ständigen Fußball-Lehrer für die Nationalmannschaft wurde z. B. beim DFB-Bundestag 1913 in Kassel verworfen: Deutschland sei flächenmäßig zu groß, „ein festes Training“ unmöglich. Auch der Kieler Fußballpionier Georg P. Blaschke, der spätere DFB-Geschäftsführer und Stadtrat der Fördestadt, lehnte 1913 in der „Neuen Sportwoche“ „einen zwecklosen Wandervogel“ ab und beklagte ebenfalls Deutschlands geografische Nachteile: Dänemark würde seine Spieler ausschließlich aus der Hauptstadt Kopenhagen rekrutieren, Ungarn aus Budapest, Österreich aus Wien und vom Deutschen Fußball-Club Prag (der dem österreichischen Verband angehörte) und Schweden aus Stockholm/Göteborg. Belgien, so wurde angemerkt, sei eh sehr klein und überschaubar.

       Erfolglose DFB-Trainersuche

      Im Jahr darauf wollte der DFB den Erfolgscoach (und Entdecker von Julius Hirsch) William Townley engagieren, aber dessen finanzielle Forderungen waren laut „Rasensport“ (Nr. 20) zu hoch. Der DFB entschied sich daraufhin für den Engländer Edgar „Hooky“ Chadwick (1869-1942), einen gelernten Bäcker, der 1891 mit dem FC Everton Meister wurde. Chadwick hatte erfolgreich Holland betreut, auch bei den Olympischen Spielen 1912, doch sein Amt in Deutschland trat er nie an.

      Anfangs galt beim DFB die Devise, pro Jahr nicht mehr als drei Länderspiele auszutragen, um den Vereinen neben dem Punktspielprogramm noch eventuell finanziell einträgliche Freundschaftsspiele und Gastspielreisen zu ermöglichen. Auch sollte im Terminkalender dem Kronprinzenpokal genug Raum eingeräumt werden. 1908 und 1909 hielt man sich auch an diese Regel, 1911 aber wurde bereits siebenmal gespielt und im darauffolgenden Jahr (Olympische Spiele!) achtmal. Für das Jahr 1913 waren vier Länderspiele angesetzt. Julius Hirsch wurde dabei bis auf eine Ausnahme immer nominiert.

      Auch „die Herren in Hamburg“ wurden immer wieder kritisiert, so im Hinblick auf das Ungarn-Länderspiel im Oktober 1911 in der in diesem Monat in München-Schwabing erstmals erschienenen Zeitschrift „Der Fußball“: „Man bestellt 11 Leute zum Spiel und tröstet sich, wenn es schiefgeht: ‚Pech jehabt.’ Wir vermissen einen offiziellen Kommentar, obwohl bei jedem dieser Treffen einige Herren auf Kosten des DFB anwesend sind. So kann es nicht weitergehen. Die internationalen Wettkämpfe müssen größere Bedeutung bekommen.“ Fachmännische Unterhaltung am Telefon, „Depeschenverkehr“ und eine Ausschuss-Tagung in irgendeiner Stadt würden nicht mehr ausreichen. Von England aus schaltete sich Pionier Bensemann in die Debatte ein: „Der DFB-(Anm.: Spiel-)Ausschuss besteht nicht aus hohen Reiseonkels, die alle Sonntage auf der Bahn sitzen können: Er muss sich auf die Landesverbände verlassen.“

      Bereits im Vorfeld des Ungarn-Länderspiels äußerte auch die Münchner „Illustrierte Sportzeitung“ ihre Kritik: „Sollte man in Hamburg wirklich nicht wissen, dass eine gut eingespielte Vereinsmannschaft besser ist als 11 ‚Cracks’, die einander nicht kennen? Weshalb zerreißt man den famosen Karlsruher Innensturm durch das Einstellen von Worpitzky aus Berlin? Man hätte Fuchs, der – ausgeruht – sicher einer der besten Mittelstürmer ist, in der Mitte lassen sollen. (…) Fast könnte man auf die Vermutung kommen, die Mannschaft sei dem Spielausschuss aufgeschwatzt worden.“

       „Schwarzer Anzug sehr wünschenswert“

      In jenem letzten Länderspiel des Jahres 1911, beim 1:4 gegen Ungarn in München, debütiert Julius Hirsch in der Nationalmannschaft. Er folgt damit seinen KFV-Mannschaftskameraden Fritz Förderer (erstes Länderspiel des DFB 1908), Ernst Hollstein, Max Breunig (beide 1910) und Gottfried Fuchs, der 1911 bereits gegen die Schweiz (6:2, zwei Tore) und Belgien (1:2) berufen worden ist.

      „Der Fußball“ fordert noch 1911, als Nationalmannschaft ausschließlich die Südauswahl zu nominieren, habe doch die Nationalmannschaft mit acht Süddeutschen bereits in dem Jahr in Stuttgart die Schweiz mit 6:2 besiegt. Nach dem 1:4 gegen Ungarn, als vier Süddeutsche aufliefen, jubiliert dagegen das Nachrichtenblatt des Westdeutschen Spielverbandes: „Hoffentlich ist jetzt der süddeutsche Größenwahn Lügen gestraft.“ Das lässt der Süden nicht auf sich sitzen, dessen „Presshetze“ fordert wiederum die Westdeutschen heraus: „Sobald diesen Leuten irgendetwas nicht mit ihrer süddeutschen Ansicht übereinstimmt, fangen sie in der übelsten Weise an zu schimpfen.“

      Zur internationalen Sternstunde von Hirsch wird das Länderspiel am

      24. März 1912 „in dem kleinen holländischen Städtchen Zwolle“ (Hirsch 1935). Wir wissen nicht, wie A-Nationalspieler heute von ihrer Berufung unterrichtet werden und was sie selbst organisieren müssen. Der 19-jährige „Juller“, wie seine Sportkameraden Julius Hirsch nennen, muss sich vor dem Länderspiel jedenfalls um vieles kümmern: seinen Arbeitgeber Freund & Strauss um Befreiung bitten, denn der Anreisetag Samstag ist ein Arbeitstag. Einen schwarzen Anzug einpacken und seine Fußballschuhe. Die Zweite-Klasse-Fahrkarte hin und zurück nach Zwolle auf dem Karlsruher Bahnhof vorbestellen bzw. kaufen. Sein DFB-Einsatz im Ausland wird mit zehn Mark pro Tag honoriert.

      Mit Datum vom 13. März 1912 hat er einen Brief aus Dortmund, Adresse: Märkische Straße 50, von DFB-Geschäftsführer Walter Sanss (Anm.: er wird heute als Sanß bezeichnet, unterschrieb aber mit Sanss) erhalten. Hier Auszüge:

      „Die Mannschaft spielt in weißen Hemden und schwarzer Hose. Als Ersatzmann wird Walter Fischer (Duisburg) die Mannschaft begleiten. Ferner nehmen an der Fahrt teil die Herren Hinze und Dr. Hofmann vom Vorstand und Dreyer vom Spiel-Ausschuss sowie der Unterzeichnete. Am Vorabend findet in Zwolle ein festlicher Empfang der Deutschen durch den Bürgermeister und die Stadtväter von Zwolle statt. Es ist daher erwünscht, dass hierzu alle Teilnehmer anwesend sind. Hierfür, sowie auch für das nach dem Spiel stattfindende Essen ist schwarzer Anzug sehr wünschenswert. Die Teilnehmer reisen in zwei Gruppen. (…) B. Ab Karlsruhe 9,05 morgens Eilzug nach Frankfurt 11,41 Uhr. Ab Frankfurt 12,23 Uhr, ab Köln 4,41 Uhr (Dr. Hofmann), ab Duisburg 5,39 Uhr (Hinze, Fischer), ab Oberhausen 5,52 (Sanss), in Arnheim 7,09 (umsteigen), ab Arnheim 7,15, in Zwolle 8,38 Uhr abends. Ein weiterer Zug fährt ab Karlsruhe 12,29 Uhr mittags über Mainz, Köln; in Arnheim 8,45 (umsteigen) ab Arnheim 8,55, in Zwolle 10,42 Uhr abends.“

      Letztere Ankunftszeit hat Julius Hirsch in seinen Unterlagen unterstrichen.

       Vier Hirsch-Tore gegen die Niederlande

      Das DFB-Anschreiben des Weiteren: „Die für Arnheim, Almelo und Zwolle angegebenen Zeiten sind Amsterdamer Zeit; d.i. 40 Minuten weniger als deutsche Zeit. (…) Die Teilnehmer haben einige Tage vorher am Fahrkartenschalter des Abfahrtsortes die Fahrkarte zu bestellen oder wegen der Vorausbestellung anzufragen. Es ist darauf zu dringen, dass eine direkte Fahrkarte bis Zwolle ausgestellt wird. Wer Reisegeld haben will, möge dies sofort hierher aufgeben. Die Abrechnung erfolgt in Holland. Für holländisches Geld wird gesorgt. Es werden die üblichen Spesensätze und die Fahrtkosten (II. Klasse) vergütet. Spielkleidung