Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet.. Werner Skrentny. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Werner Skrentny
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783895338595
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er als Halblinker in den Innensturm, den er beim Karlsruher FV mit Förderer als Halbrechtem und dem Mittelstürmer Fuchs bildete – damals, vor dem Ersten Weltkrieg, eine Legende, und auch noch lange Zeit danach. Das Trio kombinierte auf engstem Raum und durfte sich auf präzise Flanken von Rechtsaußen Tscherter verlassen. „Lauter Intelligenzspieler, die ihre Kräfte rationell einzuteilen wussten und einen Stil prägten, der vor dem Ersten Weltkrieg in Deutschland unerreicht blieb“ (KFV-Chronik). In der Überlieferung der Familie Fuchs gilt der KFV-Innensturm fälschlicherweise als

      „Judensturm“. Geoffrey Fuchs (geb. 1926 in Karlsruhe) in „Leben danach“, S. 567: „Drei der Stürmer der Nationalmannschaft waren jüdisch, deshalb galten sie als Judensturm.“

      Julius Hirsch, lange der Jüngste beim KFV, wuchs zu einer fußballerischen Persönlichkeit heran. Mit zunehmendem Alter rückte er in die Position des Spielmachers und war in jeder Hinsicht ein Vorbild, weshalb er nach dem Wechsel zur SpVgg Fürth auch dort, trotz des „Platzhirsches“ Burger, umgehend zum Spielführer avancierte. War Not am Mann, sprang er als Mittelstürmer ein oder wechselte noch innerhalb der Partie aufgrund geänderter Taktik auf eine andere Position. Dass seine Spielweise gelegentlich als „scharf “, das meint heute: hart, kritisiert wurde, hatte wohl mit dem bedingungslosen Einsatz für sein jeweiliges Team zu tun.

      Der junge Hirsch hatte nach seinem Debüt 1909 noch viel vor sich im Fußball. In der Nationalmannschaft, als Olympia-Teilnehmer, zweimaliger Deutscher Meister mit unterschiedlichen Vereinen, Kronprinzen-Pokal-Gewinner mit Süddeutschland – und als Titelträger im jüdischen Sport nach 1933.

      KAPITEL 4

       1910: Der KFV wird endlich Meister, mit „Junior“ Hirsch und „Bill“ Townley \\\ Viermal Karlsruhe gegen Karlsruhe \\\ In die USA, über den Atlantik?

      Der 1891 entstandene Karlsruher FV gehörte zu den Mitgründern des 1897 in der Karlsruher Studentenkneipe „Zum Landsknecht“ (Kreuzung Zirkel/Herrenstr.) aus der Taufe gehobenen Verbands Süddeutscher Fußball-Vereine (VSFV), der mitgliederstärksten regionalen Organisation im DFB. Im Jahr 1909 zählt er 256 Vereine mit 18.527 Mitgliedern, gefolgt von Westdeutschland (206/13.819).

      Wer damals Süddeutscher Meister wurde, durfte eigentlich auch die Teilnahme am Endspiel um die Deutsche Meisterschaft erwarten. Und vermutlich wäre der Karlsruher FV bereits bei der Premiere 1903 auf dem Altonaer Exerzierplatz dabei gewesen, hätte es nicht im Vorfeld eine ziemlich dubiose Geschichte gegeben. Ursprünglich sollte die Halbfinal-Begegnung mit dem Deutschen Fußball-Club Prag in München stattfinden, doch Prag beanspruchte das Heimrecht, weil es dadurch höhere Einnahmen erwartete. Der DFB bestimmte daraufhin als Austragungsort Leipzig. In einem gefälschten Telegramm wurde den Karlsruhern allerdings eine Absage des Spiels mitgeteilt: der erste deutsche Fußball-Skandal, der nie aufgeklärt werden konnte. Das Endspiel trug infolgedessen der DFC Prag gegen den VfB Leipzig aus und unterlag 2:7.

      1904 musste der KFV entgegen dem DFB-Reglement in der Endrunde um die Deutsche Meisterschaft auf einem nicht-neutralen Platz in Berlin-Friedenau gegen Britannia Berlin antreten. Er unterlag 1:6 und legte Protest ein, woraufhin der DFB den ganzen Wettbewerb ad acta legte. Der Grund, weshalb nie ein Endspiel um die Deutsche Meisterschaft in Kassel stattfand – vorgesehen war es für den 29. Mai 1904.

      Im Jahr darauf, 1905, erreichten die Karlsruher endlich erstmals das Endspiel, doch gewann Union Berlin im Weidenpescher Park von Köln-Merheim mit 2:0. Mittelläufer beim KFV war der spätere Ägypten-Auswanderer und noch spätere FIFA-Generalsekretär Dr. Ivo Schricker, und Mittelstürmer war „Captain“ Rudolf Wetzler, dem die Mannschaft einige Spielkultur verdankte. Im erneuten Endspiel 1910 werden aus dieser Mannschaft noch Max Schwarze und Hans Ruzek dabei sein.

      Aber erst einmal wurde und wurde es nichts mit dem Titel für den KFV, denn 1906 hatte man einen nicht spielberechtigten Akteur eingesetzt, weshalb der 1. FC Pforzheim als Südmeister ins Endspiel einzog. Dessen Vorbereitung war alles andere als professionell: Am Samstag wurde in der Schmuckstadt noch gearbeitet, die Zwischenstation des Nachtzugs in Stuttgart nutzte man im Wartesaal fürs Billardspiel und sah sich am Sonntag in Nürnberg erst einmal noch die Burg (der dort ausgestellten Schmuckgegenstände wegen!) und die Altstadt an. Die sächsische Kaufmannschaft bzw. der VfB Leipzig war früher angereist und gewann gegen die übermüdeten Pforzheimer 2:1.

       Professoren und Doktoren

      1907 hieß der Deutsche Meister aus dem Süden Freiburger FC, ein schönes Beispiel für Integration lange vor Özil, Khedira und Co., denn die Studentenschaft der Universitätsstadt war ziemlich multinational. Torwart Dr. Paul von Goldberger („Gilly“) hatte als Österreicher in Berlin studiert und wurde später Schlussmann der ungarischen Nationalmannschaft. Stürmer Philipp Burkhart veränderte sich beruflich und gewann 1909 mit Stade Helvétique Marseille den französischen Meistertitel; auch hielt er den südfranzösischen Rekord im Kugel- und Diskuswurf. Dr. L. C. de Villiers kehrte nach Südafrika zurück und arbeitete als Geologie-Professor. Nach ihm ist heute der Sportpark der Universität Pretoria benannt. Zum Schweizer Nationalspieler von Cantonal Neuchâtel avancierte Henri Sydler II. Max Haase aus Berlin war zur Zeit des Titelgewinns Lehramtspraktikant, Dr. Felix Hunn Pädagoge an der Oberrealschule Freiburg. Den Doktortitel trugen auch die Meisterspieler August Falschlunger, Josef Glaser (beide später Prof.) und Hofherr. Die Akademiker-Elf genoss „das Protektorat Sr. Durchlaucht des Fürsten zu Fürstenberg“.

      Aus dem Süden erreichten 1908 die Stuttgarter Kickers, gerade einmal neun Jahre jung, das Finale (0:3 gegen Viktoria 89 Berlin). Und der Deutsche Meister am Pfingstsonntag 1909 kam aus Karlsruhe, allerdings war es nicht der KFV, sondern Phönix: 5:0 gegen den FC München-Gladbach (heute: Mönchengladbach) auf dem Duisburger SV-Platz (1.200 Zuschauer), 9:1 gegen den SC Erfurt in Frankfurt/Main (Victoria-Platz, 1.500) und 4:2 gegen Viktoria 89 Berlin in Breslau (SC-Schlesien-Sportplatz, 1.500). 1952 wird Phönix mit dem VfB Mühlburg aus der Vorstadt den Karlsruher SC bilden. Vorangetrieben hatte diese Fusion Oberbürgermeister Günther Klotz, dessen Vater Franz ehemals die Jugendabteilung von Phönix begründet hatte.

      1909 waren beim Empfang von Meister Phönix Karlsruhe mehr Menschen auf den Beinen als am Endspielort. Für Breslau galten 1.500 Zuschauer als Rekord, „der Fußballsport hat dort verhältnismäßig wenig Anhänger“. Rund zweimal 20 Stunden hatten die Badener auf der Bahn nach/von Schlesien zugebracht, auf der Rückreise gratulierten unterwegs auf den Bahnsteigen die Fußballer von Hanau, Offenbach und Frankfurt. Pfingstmontag, am Abend gegen 20 Uhr, begannen die Feierlichkeiten im Karlsruher Bahnhof; am Bahnsteig hatte man einen Gepäckwagen zur Rednertribüne umfunktioniert.

      Ob Julius Hirsch sich als Karlsruher Lokalpatriot mitgefreut hat oder ob er sich ganz und gar „seinem“ KFV verschrieben hatte? Es gab die Rivalität beider Vereine, von Neid und Missgunst und gar Ausschreitungen ist aber nichts bekannt. So war denn auch der KFV an jenem Pfingstmontagabend im Karlsruher Bahnhof zur Stelle und überreichte den Akteuren des neuen Deutschen Meisters den obligatorischen Lorbeerkranz. Die KFVler hatten am Vortag noch „in Freundschaft“ und ohne Nachwuchsspieler Hirsch beim FK Basel gastiert und 4:1 gewonnen.

      Die Bilanz des mächtigen Fußball-Südens im Jahr 1909 lautete für die Zukunft vielversprechend: sechs Endspiele um die Deutsche Meisterschaft seit 1903, Deutsche Meister der Freiburger FC und der Karlsruher FC Phönix aus der Region, Deutsche Vizemeister zudem der Karlsruher FV, 1. FC Pforzheim und Stuttgarter Kickers. Die anderen Titelträger hießen VfB Leipzig (1903, 1906), Union 1892 Berlin (1905) und Viktoria 89 Berlin (1908).

       Der erste Trainer

      Für den KFV aber stand der Titelgewinn nach wie vor aus. Der Trainer William („Bill“ bzw. „Billy“) Townley (1866-1950), der den jungen Julius Hirsch in die 1. Mannschaft holte und später auch nach Fürth verpflichtete, gilt aus heutiger Sicht als ausschlaggebend für den weiteren Aufstieg des Karlsruher FV. Engagiert beim DFC Prag, hatte ihn bei einem Gastspiel in Baden bereits der 1. Pforzheimer Fußball-Klub (1896 gegründet, später 1. FC Pforzheim) kontaktiert. Als „der Club“, wie der 2010 verblichene Verein in der Goldstadt am Eingang zum Nordschwarzwald genannt wurde, mit Townley nicht einig wurde und stattdessen dessen Assistenten