Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet.. Werner Skrentny. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Werner Skrentny
Издательство: Bookwire
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Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783895338595
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Vereinigung befreunden. (…) Die jetzige Leitung ist es den alten Spielern und dem Rufe der Stadt unbedingt schuldig: Der Erste Pforzheimer Fußball-Club für alle Zeiten zu bleiben.“

       Immer wieder: Karlsruhe gegen Karlsruhe

      Im Jahr 1910 steht nun in ebendiesem Pforzheim das Entscheidungsspiel der Südkreis-Liga zwischen dem Deutschen Meister Phönix Karlsruhe und dem KFV an. Die „Illustrierte Sportzeitung“ aus München – der wunderbare Untertitel lautet: „Wochenschrift zur Hebung der Volkskraft durch gesunde körperliche Ausbildung“ – hat einen Berichterstatter geschickt, und da sein Report mehr ins Feuilletonistische und nicht zur „Eins-zu-null-Berichterstattung“ tendiert, könnte es der alte journalistische Fahrensmann Walther Bensemann gewesen sein. Natürlich wird auch der 3:0-Erfolg des KFV benannt, doch macht sich der Berichterstatter vor allem über die 5.000 Besucher am Enz-Ufer Gedanken: „Die Zuschauer haben sich bei den Spielen bedeutend vermehrt, es hat sich in jeder der an den Südligaspielen beteiligten Städte ein mehrere Tausend zählendes, gutes Stammpublikum gebildet. Es ist keine gafflustige Menge, es ist ein Publikum mit großem Verständnis für schöne sportliche Leistungen.“

      Das Pforzheimer Ergebnis hin oder her, aus Karlsruhe werden sowohl der KFV als auch Phönix, der als Titelverteidiger startberechtigt ist und gar nicht an der Süddeutschen Meisterschafts-Endrunde teilgenommen hat, für die deutsche Endrunde zugelassen. Deren Teilnehmerfeld ruft wieder einmal die Kritik der „Illustrierten Sport-Zeitung“ hervor: Die Balten (Prussia Samland Königsberg scheidet gleich mit einem 1:5 aus), Südostdeutschland (VfR Breslau) und die Mark Brandenburg (Berliner FC Preußen) hätten in der Endrunde nichts zu suchen. Alle drei Verbände würden auf insgesamt 9.000 Mitglieder kommen, der Süden jedoch auf 27.000. Sollte man also nicht gleich das Endspiel zwischen den besten süddeutschen Klubs austragen?

      Es ist ein recht arroganter Standpunkt vor allem hinsichtlich der Berliner Fußballvergangenheit. Ungerecht erscheint aus heutiger Sicht auch, dass der FC Tasmania 1900 Rixdorf verspottet wird, „der den Namen einer Insel bei Australien trägt. Tasmania hat nur den Vorzug, an einem durch die Musik populär gewordenen Platz zu wohnen“. Gemeint ist hier der 1889 veröffentlichte Gassenhauer „In Rixdorf ist Musike“, der sich auf die später zu Berlin-Neukölln gehörige Vorstadt bezieht und die dort allzu oft vorkommenden Schlägereien und Trinkgelage. Aber immerhin schaffen es die geschmähten Tasmanen 1909/10 bis ins Halbfinale, wo sie allerdings beim 0:6 gegen Holstein Kiel chancenlos sind.

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      Julius Hirsch 1912 auf dem Titelbild; siehe dazu S. 4 (Impressum).

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      KFV gegen Phönix, das war in der Saison 1910/11 ein badischer „Clasico“: Deutscher Meister 1910 gegen Deutscher Meister 1909. Hier läuft Mittelstürmer Fuchs beim 2:1 für den KFV an Schlussmann Göltz vorbei ins Tor – und nimmt den Ball natürlich mit.

      Beklagt wird weiter „die Unzulänglichkeit des Systems und eine Hetze, die die Grenzen des gesundheitlich Zulässigen für die Spieler überschreitet.“ So müssen KFV-Akteure Sonntag für Sonntag spielen: in Punktspielen, bei Einsätzen im Kronprinzenpokal, in Länderspielen. Die „Illustrierte Sportzeitung“ (Nr. 36, 1910) verlangt deshalb eine Reform: „Mehr freie Sonntage für die Spieler (die außer Fußballspielen auch mal wieder etwas anderes treiben möchten).“

      Der KFV nimmt die erste Hürde mit seinem jungen Linksaußen Hirsch mit 1:0 beim Duisburger SV in München-Gladbach, und der Phönix kommt mit 2:1 beim VfB Leipzig weiter.

      Und nun kommt es im Halbfinale der „Deutschen“ am 1. Mai, der erst 1933 ein gesetzlicher Feiertag wird, zum vierten Pflichtspiel-Aufeinandertreffen der beiden Karlsruher Vereine in einer Saison. Ausgetragen wird es auf dem KFV-Platz, der ein größeres Fassungsvermögen als die Phönix-Anlage besitzt und an diesem Sonntag 6.000 bis 8.000 Besucher beherbergt – die größte Zuschauerzahl, die bis damals bei einem Spiel zwischen deutschen Vereinsmannschaften gesehen wurde. Dieses Fußballspiel war das Stadtgespräch, und an dem gerade einmal 18 Jahre alt gewordenen kaufmännischen Lehrling Julius Hirsch dürfte es bestimmt nicht vorbeigegangen sein. Er ist der Jüngste in der Mannschaft, auf den überlieferten Fotos steht er meist etwas scheu am Rand, oder seine Mannschaftskameraden haben ihn als „Junior“ in die Mitte gerückt, aber diese Perspektive wird sich noch ändern.

      Der Phönix kann aufgrund einer Verletzung ab der 20. Minute nur noch mit zehn Mann spielen. Fuchs und Breunig (Strafstoß) legen für den KFV ein 2:0 vor, der Phönix-Spielführer Beier verkürzt, es bleibt beim 2:1. Dem Spiel wird „gute englische Amateurklasse“ („Sportzeitung“) bescheinigt.

       Endlich Deutscher Meister

      Das Endspiel im Nachgang zum DFB-Bundestag findet an einem sehr heißen Pfingstmontag am 15. Mai 1910 in Cöln (heute Köln) statt. Den Spielort gibt es noch, es war der Sportplatz des KFC 99 in Köln-Weidenpesch. Wir haben uns dort auch umgesehen, aber die Holztribüne von 1909 existiert nicht mehr, und am betonierten Nachfolgebau von 1920 entdeckten wir (natürlich) keine Graffiti an der Rückwand, die an das legendäre Innenstürmer-Trio Förderer – Fuchs – Hirsch vom KFV erinnern.

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      Hier stehen die Spieler des Karlsruher FV noch allein vor einem Tor in Köln-Weidenpesch, nachdem sie Deutscher Fußballmeister 1910 geworden sind. Eine andere Aufnahme zeigt sie dicht umringt von Anhängern. Hinten v.l.: Schwarze, Hüber, Dell, Hollstein; vorne v.l.: Fuchs, Bosch, Breunig, Tscherter, Ruzek, Förderer, Hirsch.

      Der Endspiel-Gegner „des altbekannten und bewährten KFV“ (dieses und alle folgenden Zitate: „Neue Sportwoche“ aus Berlin) heißt am 15. Mai 1910 Fußballklub Holstein Kiel, „die junge, aufstrebende Mannschaft und der erste Verein des norddeutschen Verbandes, der am Endspiel teilnahm“.

      Die erwähnte Zeitschrift nutzt den Endspiel-Montag zu einer Standortbestimmung des deutschen Fußballs und zur Kritik an der Konkurrenz: „Wenn man einen Vergleich ziehen will mit dem Bundestage des deutschen Fußballbundes, der vor fünf Jahren in Cöln seinen Abschluss fand, so darf der deutsche Fußballsport mit dem berechtigsten Stolze auf die machtvollste Entwicklung zurückblicken, die je eine sportliche Bewegung in einer solch verhältnismäßig kurzen Zeit genommen hat. Wenn man trotzdem – wie es in einem hiesigen Sportblatte heißt – noch mehr Taten, Taten, Taten sehen will, so ist dies ein Undank, den man denjenigen Männern entgegenbringt, die sich zur Erreichung einer solchen Macht mit dem größten Idealismus und der intensivsten Arbeitsfreudigkeit hingegeben haben.“

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      Das offizielle Bild der Meisterelf des KFV. Stehend v.l.: Ruzek, Förderer, Bosch, Dell, Hüber, Breunig, Trainer Townley; vorne v.l.: Fuchs, Hollstein, Tscherter, Hirsch, Schwarze.

      Dem Finale um die Deutsche Meisterschaft wird „ein merkwürdiger Verlauf “ zugeschrieben. Der Begriff event ist noch unbekannt, doch werden die ob eines Karlsruher 1:0 nach Verlängerung offensichtlich enttäuschten Zuschauer kritisiert: „Wenn die Menge bei Wettspielen sich weiter so herausfordernd benimmt, kann man von einem Niedergang des Fußballsports sprechen.“

      Nordmeister Holstein verlegt sich vor allem auf die Defensive. „Die Kieler waren fast immer damit in Anspruch genommen, das Zusammenspiel des Gegners möglichst zu zerstören und dessen Angriffe zu erwehren. Wenn die erste Hälfte torlos verstrich, so ist dies nur auf das Conto des geradezu hervorragenden Kieler Torwächters zu setzen und auf der anderen Seite auch auf das Schußunvermögen der Karlsruher Stürmer. Das Cölner Publikum schien sich in zwei Hälften geteilt zu haben: hie Holstein – hie Karlsruhe; aber trotzdem muss man die Objektivität des Cölner Sportpublikums loben.“

      Max Breunig vom KFV vergibt einen Strafstoß, es geht in die Verlängerung von zweimal 15 Minuten. „25 Minuten vergehen wiederum, da – Elfmeter! Die Entscheidung war leider äußerst gerecht, der Elfmeter von Breunig für den braven jugendlichen