Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet.. Werner Skrentny. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Werner Skrentny
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783895338595
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dem 1:0 n.V. ist der KFV erstmals (und letztmals) Deutscher Meister. Außenseiter Kiel ist sehr froh über ein 115 Minuten lang gehaltenes 0:0, aber die Revanche der „Störche“ wird bereits zwei Jahre später folgen.

       Goldener Ring und Lorbeerkranz

      Den Torhüter der Meisterelf, Adolf Dell – Älteren in Karlsruhe als „Delle-Bambel“ ein Begriff –, wird 1965/66 ein Millionenpublikum kennenlernen, wirkt er doch als „Großvater Buchner“ in der populären Fernsehserie „Der Forellenhof “ mit. Dell (1890-1977) hat in Düsseldorf als Staatsschauspieler, Schauspiellehrer und Kunstmaler gelebt – noch so eine erstaunliche Fußballer-Karriere auf einem ganz anderen Feld.

      Die Mannschaft trifft am Pfingstmontagabend, 19 Uhr 20, in Karlsruhe ein, wo sie „stoßweise Glückwunschtelegramme“ („Karlsruher Tagblatt“) erwarten. Mit Droschken werden die Meisterspieler abgeholt und zur Feier gebracht.

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      „In unserem Schmuckkästchen nachgeschaut…“: der Meisterring von Julius Hirsch mit seinen Initialen ist noch da!

      Am 25. Juni 1910 wird im Karlsruher Festsaal des „Friedrichshof “ der Brauerei Sinner, Karl-Friedrich-Straße 28, der Erfolg nachgefeiert. Der Vorsitzende des Verbandes Süddeutscher Fußball-Vereine und der 1. FC Pforzheim bringen Pokale mit, Stadtrat Leopold Kölsch überreicht den Akteuren jeweils einen Lorbeerkranz, vom Verein erhält jeder einen goldenen Ring mit Vereinswappen. Ob heute noch einer dieser Ringe erhalten ist, war unbekannt – bis der Enkel von Julius Hirsch, Andreas Hirsch, die vorigen Zeilen las und mitteilte: „Ich habe sogleich in unserem Schmuckkästchen nachgeschaut. Ja, wir haben ihn noch! Meine Mutter erzählte mir, dass die Farben Rot und Schwarz in den Vertiefungen eingelegt waren, bis auf leicht schwarze Spuren sind diese aber abgearbeitet. Mein Vater Heinold hat diesen Ring zeit seines Lebens oft getragen.“ Die Initialen auf dem goldenen Ring lauten JH: Der Verein hat also für jeden Meisterspieler eine gesonderte Version anfertigen lassen.

      Aus Ägypten meldet sich zum Titelgewinn Dr. Ivo Schricker, ein anderer Karlsruher Fußball-Pionier: „Besonderes Vergnügen bereitet es mir, dass mein alter K.F.V. sich endlich einmal die lange verdiente Meisterschaft geholt hat.“ Der Jurist Schricker weilte aus berufl ichen Gründen vom 12. Februar 1906 bis 1914 für die Berliner Orientbank in Kairo. Sportlich betätigte er sich dort auf der Nilinsel Ghezireh mit Mitgliedern der britischen Besatzungsarmee im Association-Football, Rugby und Cricket.

      „Bill“ Townley genießt nach dem Titelgewinn seinen Ruf und erlaubt der Karlsruher Sportschuhfabrik Albert Heil, Erbprinzenstraße 2, „Heil’s Townley Fussballstiefel“ herzustellen.

      Noch vor dem Endspiel hatte es eine aus heutiger Sicht sensationelle Zeitschrift enmeldung gegeben: Der KFV sei in Verhandlungen gewesen, um im Sommer 1910 in den USA zu gastieren: „Die Amerikareise, die auf eine Einladung von ‚drüben’ in Frage kam, kann dieses Jahr nicht ausgeführt werden, weil es dem deutschen Meister jetzt an der nötigen Zeit fehlt.“ („Ill. Sportzeitung“, 23. Juni 1910) Was hinter der Einladung stand und weshalb die Reise nicht zustande kam, war nicht zu klären. Der erste europäische Verein, der in die Vereinigten Staaten von Amerika tourte, waren 1905 The Pilgrims aus England. Eine Kombination der Klubs Hamburger SV/Werder Bremen sollte in den 1920er Jahren reisen, es blieb aber bei einer Ersatztour auf einer Ozeandampfer-Teilstrecke im Januar 1927 nach Frankreich. Der HSV gestaltete dann 1950 im Alleingang die deutsche Fußballpremiere in USA, u. a. folgte aus Deutschland auch der KFV mit einer Jugendmannschaft im Jahr 1970 in Milwaukee, Philadelphia und Fort Wayne.

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      13 Meisterspieler in Zivil. Hinten v.l.: Hüber, Burger, Tscherter, Ruzek, Breunig, Hollstein, Bosch, Gros; Vorne v.l.: Förderer, Schwarze, Hirsch, Fuchs, Kächele.

      Der Fußballweise Bensemann blickt in der „Illustrierten Sportzeitung“ anlässlich des süddeutschen Verbandstages am 14./15. August 1910 bereits voraus: „Es ist anzunehmen, dass der neue Deutsche Meister Karlsruher FV, der über eine gute Mannschaft und einen trefflichen Trainer verfügt, auch im kommenden Jahr den Siegespokal des süddeutschen Verbandes sichern wird.“ So kommt es auch, aber in der DM 1911 bleibt der alte und neue Südmeister KFV im Halbfinale gegen den VfB Leipzig auf der Strecke, auf vier Positionen hat er neues Personal aufgeboten. Dennoch genießt der Klub „in ganz Deutschland das größte Interesse“ („Rasensport“, April 1911): Als er 3:1 bei Bayern München gewinnt, finden sich 10.000 Zuschauer ein!

      KAPITEL 5

       In der Nationalmannschaft \\\ Acht Mann sind keine Elf \\\ Hirsch ist der erste viermalige Länderspiel-Torschütze

      Die frühe Geschichte der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, in der Julius Hirsch 1911, drei Jahre nach dem ersten Länderspiel des DFB 1908, debütieren wird, ist phasenweise von einem rechten Durcheinander geprägt. Daran ändert wenig, dass der zehn Jahre junge DFB zum

      15. Mai 1910 eine Geschäftsstelle in Dortmund mit einem beamteten Geschäftsführer namens Walter Sanss eingerichtet hat (deshalb werden drei Pfennig Kopfsteuer von den Mitgliedern erhoben).

      Für die Aufstellung der Nationalelf ist allerdings der DFB-Spielausschuss zuständig, aus praktischen Gründen in einer Stadt bzw. Region ansässig. Er organisiert zusätzlich die Endrunde um die Deutsche Meisterschaft und den Wettbewerb Kronprinzenpokal. Die betreffenden Herren (oder wenigstens einer von ihnen) beobachten Länderspiele und Begegnungen um den Kronprinzenpokal, zudem müssen sie für Spielerempfehlungen aus den regionalen Verbänden empfänglich sein.

      Anfangs bilden Hamburger Funktionäre den DFB-Spielausschuss, darunter mit Paul Koretz von der Viktoria (heute: SC Victoria) auch ein Funktionär jüdischen Glaubens. Es gibt eine Ausnahme von der Hamburger Regentschaft: 1909/10 bestimmen Badener, die sich in den Karlsruher Redaktionsräumen der „Süddeutschen Sport-Zeitung“ beraten, u. a. über die Nationalmannschaft. Es sind Fritz Langer als Obmann, Otto Jüngling (beide KFV), Artur Beier (Phönix Karlsruhe), Max Dettinger (1. FC Pforzheim, der in Karlsruhe arbeitet) und L. Frey (Mannheimer FG 96). Die werden immer wieder heftig kritisiert – „durchgängig salopp und zügellos“, befindet die „Neue Sportwoche“ –, und tatsächlich ergibt sich für das Länderspiel Deutschland gegen Belgien (0:3) ein Desaster, wie es im Hinblick auf die Nationalmannschaft nie mehr vorkommen sollte.

       Zuschauer werden Nationalspieler

      Bereits der Länderspiel-Termin 16. Mai 1910 in Duisburg war unglücklich gewählt, fand doch am Vortag (!) im nahen Köln das Endspiel um die Deutsche Meisterschaft zwischen dem KFV und Holstein Kiel statt. Auf dem Platz stand dort mit dem Karlsruher Förderer zwar nur ein aktueller Nationalspieler, aus beiden Endspiel-Mannschaften wurden aber bald darauf Breunig, Bosch, Fuchs, Hirsch und Hollstein vom KFV sowie die Kieler Fick, Krogmann und Reese in die Nationalelf berufen.

      Im Amt ist zum Zeitpunkt des Duisburger Länderspiels bereits der neue Hamburger DFB-Spielausschuss, die Mannschaft nominiert aber haben noch die Badener, und abgedruckt wurde die Aufstellung sogar bereits zuvor im DFB-Jahrbuch 1910. Erneut die Berliner „Neue Sportwoche“ am 19. Mai 1910: „Das Spiel setzte nun dem famosen Werte des Spielausschusses die Krone auf. So etwas von Hilflosigkeit, von Dispositionsunvermögen, ist geradezu fabelhaft, und wir dürfen uns für die Niederlage von 3:0 bei den Herren vom Spielausschuss bedanken, denen keineswegs bewusst gewesen sein dürfte, was sie dem Ansehen des deutschen Fußballsports schuldig waren. Diese Herren haben uns geradezu in der formvollendesten Weise blamiert. Einige Stunden vor Beginn des Spieles waren sieben Herren der deutschen Mannschaft beisammen, die anderen wurden aus allen Winkeln mit Mühe und Not auch zusammengetrommelt, so dass wir am Schluss das schönste Ragout fin beisammen hatten. Ist eine solche Repräsentation des deutschen Fußballbundes würdig?“

      Ein Münchner, ein Niederrheiner, drei Badener und drei Sachsen sind in Duisburg eingetroffen, doch acht Mann sind keine Elf. Die Nominierten Hempel (Sportfreunde Leipzig), Trautmann (Viktoria Mannheim), Worpitzky (Berlin) sowie Ersatzmann Mechling (Freiburg)