46Vgl. HENRICH, Konstellationen, 24.
47Vgl. ULRICH BARTH, Abschied von der Kosmologie. Welterklärung und religiöse Endlichkeitsreflexion, in: DERS., Religion in der Moderne, Tübingen 2003, 401–426.
GLAUBENSGEWISSHEIT?
DIE ALLERNÖTIGSTE FRAGE REFORMATORISCHER THEOLOGIE EINST UND JETZT
Walter Sparn
Die Frage nach den Konstellationen und Transformationen reformatorischer Theologie rückt spätestens seit dem Ende ihrer formal konfessionellen Existenz nahe an die Frage nach der religiösen und kulturellen Präsenz der Reformation überhaupt, hierzulande und anderswo. Man denke nicht nur an die ökumenischen Debatten der letzten Dekaden, sondern auch an die vielen Varianten der Bezugnahme auf die Reformation, speziell an durchaus eigenwillige Luther-Bilder in Freikirchen, in charismatischen Gemeinden oder in lutherischen Kirchen in Schwarzafrika, Indien und China. Im Bewusstsein eines Mangels an Umsicht beschränke ich mich auf unsere durchaus partikulare akademische Welt.
I.REFORMATORISCHE KONSTELLATION(EN)
»Wie einer gewis wird, dass ihm die sund vergeben sein?« Auf »diese allernötigeste frage« bezog Philipp Melanchthon in der Apologie des Art. XII des Augsburgischen Bekenntnisses den Gegensatz der reformatorischen zur altgläubigen Lehre von Rechtfertigung und Buße »Hanc certitudinem fidei nos docemus requiri in evangelio. Adversarii relinquunt conscientias incertas et ambigentes.« Wenn aber die ungetröstet und friedlos gelassenen Gewissen »inn dem zweifel allzeit und ewig steckenbleiben, so erfaren sie nimmer, was Gott, was Christus, was glaub sey. Darüber gehets zuletzt also, das sie in verzweifelung, one Gott, one alle Gotteserkenntnis sterben.«1 Melanchthons Fokussierung des aufbrechenden konfessionellen Gegensatzes wurde dann vom Konzil von Trient in der Sessio VI über die Rechtfertigung 1547 bestätigt. Im Verfolg des pastoralen Interesses an der Aktivierung heilsdienlichen Handelns wusste es sogar den moralischen Selbstzweifel des Christen zu schätzen; es belegte die evangelische Glaubensgewissheit daher als inanis haereticorum fiducia mit dem Anathema. Genauso sah den Gegensatz auch Martin Chemnitz in seinem Examen Concilii Tridentini von 1565: Aus dem Evangelium in seiner Eigenart als promissio gratuita fließe die certitudo justificationis; diese Heilsgewissheit sei eine Eigentümlichkeit (proprietas) des rechtfertigenden Glaubens. Dieser hat als solcher keinerlei Grund zum Zweifel.2
Der Ort und die Zeit, in der die Vergebungs- und Heilsgewissheit geschenkt wird, war für die gesamte reformatorische Theologie die Buße. Insofern das ganze Leben des Christen Buße ist, wird die im Frommwerden erfahrene Glaubensgewissheit Anlass zum Dank, ihre mangelnde Stetigkeit veranlasst zur Klage, zum Bekenntnis der Sünde und zur Bitte um die neuerliche Gabe eines gnadengewissen Glaubens durch den Heiligen Geist. Diese Vorgänge, die in fast allen rhetorischen und literarischen Genera beschrieben wurden und die zur Neubestimmung der theologischen Reflexion als sapientia experimentalis führten, vollziehen sich in einer kommunikativen Konstellation.3 Sie lässt sich, sehr verknappt, so beschreiben: Glauben ist Gewiss-Sein der göttlichen Gnade erstens, weil es von dem Zuspruch des Evangeliums Jesu Christi hervorgerufen und lebendig erhalten wird. Zweitens ist es ein neues Selbstverhältnis, d. h. es existiert in einer Person, deren Herz und Gewissen befriedet und befreit ist. Drittens macht der Glaubende neue Erfahrungen mit sich selbst und mit der Welt, in der er lebt.4 Diese kommunikative Konstellation wurde von den reformatorischen Theologien unterschiedlich näherbestimmt. Sie erwies sich als polyvalent und wurde denn auch in allen drei Faktoren diversifiziert.
Der Grund der Glaubensgewissheit im Wort Gottes stellte neu die hermeneutische Aufgabe des Christum treibenden Gebrauchs der Heiligen Schrift. Das betraf das Verhältnis von Buchstabe und Geist bzw. von Gesetz und Evangelium und erforderte eine gegenüber früher genauere Bestimmung der Autorität der Heiligen Schrift. Hier votierten schon Luther und Melanchthon unterschiedlich. Während Luther das performative Zusprechen des Wortes Gottes aus der Heiligen Schrift für den letztentscheidenden Grund der Schriftautorität ansah, hob Melanchthon deren Eigenschaft als vierte norma certitudinis der Theologie hervor, um den philosophischen Zweifel methodisch aus der Lehre der Kirche auszuschließen5 – die spätere Juxtaposition von auctoritas causativa und auctoritas normativa benannte die darin liegende hermeneutische Herausforderung allenfalls indirekt. Dass auch die Dialektik von Gesetz und Evangelium nicht überall als solche verstanden und akzeptiert wurde, belegen die nie wirklich befriedeten Antinomer-Streitigkeiten; man kann argwöhnen, dass auch Luther hermeneutische Programmatik und pastorale Praxis nicht ganz stimmig aufeinander bezog:6 Die Mehrdeutigkeit der Korrelation von testimonium Spiritus Sancti internum und verbum externum wirkte ebenfalls pluralisierend oder spaltend, wie die Debatten um Johann Arndt und der Rahtmann‘sche Streit noch im 17. Jahrhundert zeigen. Die an sich so schlichte Annahme eines Subjektes des Glaubens, des gläubigen Christen oder wie es seit der Konkordienformel (1577) hieß: des Wiedergeborenen (renatus), erwies sich als polyvalent in der Ausbildung einer Christusmystik einerseits, in der protopietistischen Konzentration auf die an sich selbst erfahrene Heiligung andererseits.7
Nicht nur im Ethos, auch hinsichtlich der Asymmetrie zwischen Glaubensgewissheit und religiöser Erfahrung bildeten sich divergierende Optionen heraus. Ohne auf die Komplexität des neuen Begriffs der Erfahrung – glauben gegen die Selbst- und Welterfahrung oder als Abwendung vom fühlen einerseits, glauben als erfahren, fühlen, im Herzen schmecken andererseits – eingehen zu können, sei doch die Anfechtung des Glaubens an den in Christus sich offenbarenden Gott durch das dem Glauben unverständliche Widerfahrnis eines verborgenen Gottes berührt. Denn es war explizit das Interesse an der Gewissheit des Glaubens, das M. Luther und auch J. Calvin veranlasste, gegen das naturrechtlich und metaphysisch stimmige Gottesbild die Allwirksamkeit Gottes auch und gerade in Sachen des ewigen Heils, also die doppelte Prädestination zu verteidigen. Luther versicherte genau hier, dass der Heilige Geist kein Skeptiker sei, sondern assertiones in unsere Herzen geschrieben habe, »die gewisser und fester sind als das Leben selbst und alle Erfahrung«.8 Es war aber ebenso das dominierende Interesse an Glaubensgewissheit, das Melanchthon und das konkordistische Luthertum veranlasste, sich auf eine Erwählungslehre zu beschränken, die auf Gottes philanthropia universalis rekurrierte und den Verdacht der Willkür Gottes und seiner Ursächlichkeit für die Sünde hinfällig machte. Dieser homogene naturrechtlich-metaphysische Gottesbegriff – auf lange Zeit der Gott der Theodizee – wurde erneut und auf lange Zeit zum normativen Rahmen, in dem auch die christliche Vergewisserung Gottes sich bewegte. Wenn Luther je eine nominalistische oder gnostische Verunsicherung der Gottesgewissheit zu verantworten hatte, so trifft dieser Vorwurf Melanchthon und die lutherische Orthodoxie nicht.9 Luthers Erfahrungstheologie erforderte allerdings, die Frage nach Glaubensgewissheit mehrdimensional zu bearbeiten; daher trieb er Theologie in der Konstellation von Gebet, Schriftmeditation und Therapie der Anfechtungen, durch die der alte Adam – aber auch Gott selbst, als sich entziehend oder in Versuchung führend – die Glaubensgewissheit des neuen Menschen erschüttern.10
Den Vorwurf, ihre Lehre liefere die Menschen einem tyrannischen Willkürgott aus, hat, mit dem Schimpfwort Mohametismus, die lutherische Orthodoxie dem Calvinismus gemacht. Das ist hier deshalb interessant, weil spätestens um 1600 die konfessionelle Differenz vorrangig am Gottesbild festgemacht und wechselseitig die Unmöglichkeit von Glaubens- und das heißt nun: Erwählungsgewissheit behauptet wurde. Die konfessionelle Differenz wurde