Mit Händen zu greifen war dies im Übergang von den (substanzontologischen) aristotelischen Kategorien zu der kantischen Kategorientafel und von ihr zu Charles Sanders Peirce′s »A New List of Categories«, wie es Apels Aufsatz »Von Kant zu Peirce. Die semiotische Transformation der Transzendentalen Logik«38 vorführt. Die Möglichkeit, die ursprüngliche Einsicht eines Autors vor dessen eigener Theorieentwicklung gleichsam zu retten bzw. in einem umfassenderen Ansatz aufzuheben, macht den Charme der Rede von der Transformation aus. Einschlägig ist sie überall dort, wo es, sei es im Übergang vom Kantianismus zum Neokantianismus, sei es vom Hegelianismus zum Neohegelianismus, oder vom Pragmatismus zum Neopragmatismus zur Neuformation philosophischer Schulen kommt. Besonderes Interesse verdient es, wenn in solcher Transformation ein Theoriemotiv aus einem heterogenen Kontext aufgenommen und unter neuen Bedingungen zur Geltung gebracht wird. Sie muss dann keine Notoperation unter Krisendruck sein, sondern kann auch schlicht der Anziehungskraft eines überzeugenden Motivs folgen.
III.
Der Transformationsbegriff erlaubt es, Veränderungen, allmähliche wie grundstürzende, zu beschreiben, ohne diese notwendigerweise in eine verfallstheoretische Perspektive einzuzeichnen. Er markiert Bedeutungswandel, ohne diesen bereits als Bedeutungsschwund und Sinnverlust zu bewerten: im Umkreis der vielfältigen Varianten des Säkularisierungsthemas, in Theorien der Rationalisierung, der Entzauberung, der Individualisierung und Privatisierung, der zunehmenden Entflechtung der religiösen und der gesellschaftlichen Ordnung, der Entkopplung von subjektiver Religiosität und konfessioneller Kirchlichkeit, der Verinnerlichung, Pluralisierung, Ästhetisierung oder Urbanisierung. Man wird sagen müssen, dass keines dieser Stichworte bei der Beschreibung der aktuellen Lage der Religion(en) ungestraft überhört oder übergangen werden kann, aber man darf im Sinne des Transformationsbegriffs davon ausgehen, dass keines ausschließlich an den Kontext eines definitiven Abschmelzens der Bestände gebunden ist. Und dies nicht etwa deshalb nicht, weil religionssoziologische Analysen Anlass zur Entwarnung gäben, sondern ausschließlich deshalb, weil die Bedeutungsschwundmodelle einem substantialistischen Verständnis des religiösen Repertoires verhaftet bleiben. Letzteres zeichnet sich dadurch aus, dass es alle Transformationen als Verlusterscheinungen verbucht, weil es Übersetzungsleistungen und funktionale Äquivalente nicht erkennt und anerkennt. Doch die Orientierung an dem, was eine Sache ursprünglich war, unterschätzt, was aus ihr geworden ist, nachdem sie sich zum ersten Mal geändert hatte. Ernst Cassirer hat dies in seiner Auseinandersetzung mit dem schwedischen Philosophen Axel Hägerström zur Geltung gebracht: gegen dessen (kritisch-skeptischen) Verweis auf die (mythisch-magischen) Ursprünge des Rechts und die Unmöglichkeit, diese zu repristinieren, und gegen das darauf beruhende Plädoyer für Konventionalismus und Positivismus hat er den »im Lauf der Entwicklung« sich vollziehenden »charakteristische[n] Bedeutungswandel« zu erkennen gefordert: »es handelt sich dann nicht nur darum, was diese Funktionen, was die Sprache, die Kunst, das Recht ursprünglich gewesen sind, sondern was sie kraft dieses Bedeutungswandels geworden sind«39. Dies gilt, so scheint es mir, auch für die Reformation. Der Zeitenabstand von nun fünf Jahrhunderten ist abgründig und unüberbrückbar. Doch die Veränderungen, die sie veranlasst hat, setzen sich noch fort, und die Deutungen, die sie auslöst, sind Antrieb und Unruhe reformatorischer Theologie.
IV.
Von Konstellationen sprach – sieht man einmal von gelegentlichem Begriffsgebrauch bei Max Weber ab – zuerst Dieter Henrich in einem methodischen und forschungsprogrammatischen Sinne.40 Henrich entwickelte sein Konzept einer Konstellationsforschung an einem speziellen Fall systematischer Interpretation, nämlich im Zusammenhang seiner Studien zum Verhältnis zwischen Kants Spätwerk und der Entwicklungsgeschichte des Deutschen Idealismus, also im Spannungsfeld von Kantvollendung und Kantkritik. Henrichs exemplarische Erprobung einer solchen Forschungsperspektive wurde hernach auf andere historische Kontexte (auf die Frühromantik und Schleiermachers Rolle in ihr durch Manfred Frank oder auf die Cambridge Platonists durch andere Henrichschüler) angewandt und insofern, wenigstens dem Anspruch nach, zu einer allgemeinen Forschungsmethode41 erweitert. Damit wurden Standards philosophischer Interpretation gesetzt, ohne dass diese ohne Weiteres auf andere Bereiche übertragen werden könnten. Das ist in diesem Band auch nicht beansprucht.
Henrich verfolgte allerdings systematische Leitfragen (wie die nach der Rationalität des Übergangs von der kritischen Philosophie Kants zu den in sich phasenverschobenen Systembildungen des Deutschen Idealismus), die sich nicht im Sinne einer immanenten Entwicklung einzelner Autoren, ihrer Kantlektüren und der von ihnen selbst geschriebenen Abhandlungen beantworten ließen. Stattdessen forderte Henrich eine Rekonstruktion von Debattenzusammenhängen, die er als Kraftfelder der Rezeption wirksam werden sah, in denen auch längst vergessene, unbedeutendere Denker oder bisher unbekannte, aber von Henrich entdeckte Dokumente eine entscheidende Rolle spielten: die Rezeption der Kantschriften im Tübinger Stift, der Kreis um Fichte in Jena oder Hegels und Hölderlins Kooperation in Bad Homburg bzw. Frankfurt bildeten markante Zusammenhänge. In solchen Konstellationen und nicht in einer linearen Abfolge von Gedankenschritten, mithin in Anknüpfung und Widerstreit, in Resonanz oder Missklang entstand in einem relativ kurzen Zeitraum dasjenige Novum, das mit dem Epochenbegriff Deutscher Idealismus bezeichnet wird.
Dem von Henrich gewählten Begriff liegt eine Metapher zugrunde: Eine Konstellation ist ein Verhältnis von Sternen, das als Figur erscheint oder doch so gesehen wird, und in dem durch die Bewegung der Planeten vorübergehende Veränderungen bzw. figürliche Spannungen entstehen. Statt des einen Stars am Philosophenhimmel interessiert an einer Konstellation die Stellung der Denker zueinander, die in Dialogen vor Ort vielleicht ad hoc entwickelte (und später in unterschiedlichen schriftlichen Fassungen artikulierte) Spitzenthese oder eine für zentral gehaltene Opposition, die Denkalternativen organisiert; gelegentlich auch schlicht eine zufällige Begegnung, die aber einen Stein ins Rollen brachte. (Aus dieser Vielheit von Perspektiven resultiert auch eine gewisse Vagheit.) Henrich kombinierte die Rekonstruktion philosophischer Texte mit der Interpretation von Tagebucheinträgen und Briefdokumenten, aber auch mit Erinnerungen Unbeteiligter, mitunter sogar mit Vermutungen, worüber gesprochen worden sei oder hätte gesprochen werden können. Da die Sache des Denkens nur denkend erschlossen werden kann, greifen der jeweilige historische Befund und die Einschätzung systematischer Relevanz ineinander. Was für eine Konstellation konstitutiv ist, kann unter Umständen erst an einer philosophischen Position verdeutlicht werden, die im historischen Kontext niemand vertreten hat, die aber auch damals denkbar war und zu der man sich darum in Ablehnung oder Annäherung konstruktiv verhielt. Anregen können – wer hätte das nicht selbst erfahren – Fragen oder Nebensätze, die einem nicht mehr aus dem Sinn gehen.
Wenn