Als Karl sich so unerwartet angegriffen fühlte, drehte er den Kopf herum und warf mir einen grimmigen Blick zu. Er sah sich gezwungen, Valdemar loszulassen. Dann aber kam er auf die Beine, und nun begann ein heftiges Ringen zwischen ihm und mir.
„Was geht das dich an! — Lass du mich los!“ rief er immer wieder, während er wie ein Wütender sich gewaltig anstrengte, nun auch mich zu Fall zu bringen.
Er riss und zerrte mich hin und her und wollte mich bald nach links, bald nach rechts schleudern, so dass ich mich nur mit grösster Mühe aufrecht halten konnte.
Wir rangen wie auf Leben und Tod. Keuchend vor Wut und Anstrengung schrie Karl:
„Das sollst du bereuen! Das sage ich dir! Wart nur ein wenig! Du wirst schon sehen, wie ich dir das heimzahle! Überhaupt, was hast du hier zu tun?“
„Ich wollte nur dem kleinen Valdemar helfen“, erwiderte ich. „Er ist ja doch für dich zu klein. Du hättest ihn nicht so schlagen sollen. Das sagen auch alle andern.“
„Schere dich um deine Sachen und nicht um die meinen!“ keuchte er zurück.
Unser Ringen wurde immer wilder.
Kapitän Foss konnte uns von seiner Bank aus nicht sehen, und so hatte ich keine Hilfe von ihm zu erwarten.
Zum Glück für mich war ich im isländischen Ringkampf, den man „Glíma“ nennt, gut bewandert. Ich hatte mich sehr oft mit meinen Spielkameraden zu Hause darin geübt und kannte deshalb manchen Kunstgriff und allerlei Mittel und Wege, um auch einem stärkeren Gegner eine Zeitlang wenigstens standhalten zu können.
Hier kamen mir nun diese Fertigkeiten vortrefflich zustatten. Denn mein Gegner, das merkte ich bald, war viel stärker als ich, und was für mich das gefährlichste war: er war nicht nur sehr stark, sondern auch entschieden boshaft und gerade jetzt sehr zornig.
Ich strengte daher meine Kräfte bis zum äussersten an und tat alles, was ich nur konnte, um nicht von Karl zu Fall gebracht zu werden.
So kämpften wir und drängten uns eine gute Weile rundumher in dem losen, weichen Sand.
Eine Menge kleiner Zuschauer hatten bald einen dichten Kreis um uns gebildet. Alle schienen gespannt auf den Ausgang unseres Kampfes zu sein. Ich hörte, wie einige sagten:
„Wer ist doch der fremde Junge? Den haben wir noch nie hier gesehen. Er wird sich gegen Karl wohl nicht behaupten können.“
Andere riefen mir zu: „Nur drauf los, du Neuer! So, jetzt hast du ihn!“
Wieder andere sagten zueinander: „Es wäre eine Schande für Karl, wenn er mit dem nicht fertig würde!“
An den meisten dieser Ausrufe konnte ich merken, dass Karl unter seinen Kameraden wenig Freunde hatte.
Allmählich lernte ich die Kampfesart meines Gegners immer besser kennen, und ich gewöhnte mich daran. Seine Kniffe waren immer dieselben.
Auch merkte ich bald zu meiner Freude, dass ich doch sicherer auf den Beinen stand, als ich zuerst geglaubt hatte.
Nein, Karl sollte mich nicht so leicht besiegen!
Aber er war so stark und so hitzig, dass ich ihn auch nicht zu Fall bringen konnte.
Ich musste also zu irgendeiner Kriegslist meine Zuflucht nehmen. In so einem Ringkampf war das ja erlaubt.
Ich überlegte, so gut es mir unter den schwierigen Umständen möglich war, und nahm mir vor, folgendes zu machen:
Ich wollte versuchen, Karl durch einen Scheinangriff zu täuschen. Ich wollte ihn kräftig nach rückwärts drängen und dann plötzlich mich durch einen starken Ruck zurückziehen. Dann würden wir zwar beide hinfallen, aber ich würde es wohl fertig bringen, dass ich obenan zu liegen käme.
Das war mein Plan. Doch ich durfte nicht mehr lange warten, denn ich wurde immer müder.
Ich begann also sofort mit der Ausführung meiner Kriegslist. Ich setzte meinem starken Gegner durch einen kräftigen Druck zu. Ich schob und schob ihn nach rückwärts, so fest ich nur konnte, wie wenn ich ihn um jeden Preis auf den Rücken werfen wollte. Dann aber, als er am allerkräftigsten sich entgegenstemmte, wich ich mit einem plötzlichen Ruck zurück und zog Karl heftig auf mich zu.
Das alles war in wenigen Augenblicken geschehen.
Meine List gelang vollständig. In einem Nu lag der nichts ahnende starke Knabe unter mir im Sand. Ich hatte ihn im Fall durch eine rasche Drehung nach rechts mit mir gerissen, so dass nicht ich, sondern er auf den Rücken zu liegen kam.
Mein Sieg wurde von den zahlreichen kleinen Zuschauern mit lauten Bravorufen begrüsst.
Aber ach, die Freude sollte von kurzer Dauer sein!
Ganz ausser sich vor Wut wegen seiner Niederlage, wand und reckte sich Karl so heftig unter mir, dass es ihm bald gelang, sich auf mich zu wälzen und mich auf die Erde niederzudrücken, gerade so, wie er es vorher mit dem kleinen Valdemar getan hatte.
Mein Sieg war also im Handumdrehen in eine Niederlage verwandelt, und alle meine Anstrengungen vermochten nichts daran zu ändern. Ich musste mich in mein Schicksal ergeben.
„Du hast mir ein Bein gestellt! Dann bin ich gefallen! — Du Elender!“ schrie Karl, während er mit den Knien auf mir lag und meine ausgestreckten Arme in den Sand drückte.
„Nein, das ist nicht wahr! Ich habe dir kein Bein gestellt!“
„Doch, du hast’s getan! Ihr habt es auch gesehen!“ rief er jetzt den andern zu.
„Nein, das hat er nicht!“ widersprachen ihm sogleich viele, und einer rief: „Auch wenn er es getan hätte, so wäre es erlaubt gewesen! Im Ringkampf darf man einem ein Bein stellen!“
„Ja, ja, das darf man!“ stimmten die meisten bei.
„So, das darf man!“ brauste Karl jetzt auf. — „Dann darf man auch das hier!“ und er schlug mich mit der Faust mitten ins Gesicht hinein.
„Feigling!“ riefen sie nun von allen Seiten. Ich aber suchte aus Leibeskräften mich freizumachen.
Leider gelang mir das nicht. Karl hatte wiederum meine beiden Arme gefasst.
„Du bekommst jetzt noch mehr! noch viel mehr!“ schrie er. „Wart nur ein wenig, wir sind noch lange nicht miteinander fertig!“
Da machte ich verzweifelte Anstrengungen, meine Arme freizubekommen. Der Schlag ins Gesicht hatte mich gewaltig empört und mir neue Kräfte gegeben.
Endlich brachte ich es fertig, meinen rechten Arm loszureissen, und nun konnte ich wenigstens die Schläge Karls abwehren. Zugleich kam noch der kleine Valdemar mir zu Hilfe. Er hatte meine gefährliche Lage erkannt und wollte sich mir dankbar zeigen. Er warf sich über Karl und fasste ihn mit beiden Händen an einem Arm.
Dadurch gelang es mir, auch meinen zweiten Arm noch freizumachen. Und da ich jetzt ernstlich böse geworden war, wäre es sicher Karl schlimm ergangen, wenn nicht plötzlich Kapitän Foss herbeigekommen wäre und mit ein paar kräftigen Griffen uns auseinandergerissen hätte.
„So, jetzt ist’s genug!“ rief er mit gebieterischer Stimme.
Er musste uns wohl schon eine Weile zugesehen haben.
Keiner von uns getraute sich, ihm zu widerstehen. Wir standen auf und schlugen schweigend den Staub aus unsern Kleidern. Dabei halfen mir eine Menge kleiner Hände. Valdemar brachte mir meine Mütze, die während des Kampfes weit fortgeflogen war. Karl musste die seinige selbst suchen; auch half ihm niemand seine Kleider reinmachen.
Ich empfand deshalb aufrichtiges Mitleid mit ihm, weil er keinen einzigen Freund unter den Knaben zu haben schien.
Während ich so dastand und meine Beobachtungen über Karl anstellte, fühlte ich auf einmal, dass eine kleine Hand meinen Arm berührte. Es war Valdemar. Er zog mich sanft einige Schritte beiseite und fragte:
„Wie