Die Stadt am Meer - Nonni's neue Erlebnisse. Jón Svensson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jón Svensson
Издательство: Bookwire
Серия: Nonni
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788711445693
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zubehauen waren.

      Voll Verwunderung fragte ich Herrn Foss:

      „Wer hat denn diesen ungeheuern Bau so zerstört?“

      „Den hat niemand zerstört, kleiner Freund.“

      „Wie ist er aber dann zu einer solchen Ruine geworden?“

      „Das will ich dir sagen. Diese ‚Ruine‘, wie du meinst, ist die sogenannte Marmorkirche; es ist nur noch nicht gelungen, sie fertig zu bauen. Die Dänen wollten nämlich eine Kirche aus weissem Marmor haben, und sie sollte ähnlich wie die Peterskirche in Rom werden. Als man aber bis zum Dach gekommen war, hatte man kein Geld mehr, sie zu vollenden.“

      Ich konnte nicht genug diese merkwürdige „Kirche“ betrachten. Noch im Weitergehen schaute ich mehrmals nach den riesenhohen Mauern zurück und wunderte mich im stillen über die Kühnheit der Dänen, die aus weissem Marmor eine Kirche wie den Petersdom bauen wollten.

      3. Eine überraschende Begegnung

      Eine kleine Strecke von der Marmorkirche entfernt blieb Herr Foss auf einmal stehen. Er fasste mich am Arm, zeigte mit der Hand über die Strasse hinüber und sagte:

      „Nonni, sieh mal dort das kleine Tor und lies, was darüber steht.“

      Ich schaute hinüber und fand sogleich das kleine Tor samt der Überschrift. Im nächsten Augenblick rief ich voll Freude und Begeisterung aus:

      „Herr Kapitän, da wohnt Herr Dr. Grüder! Es ist die Nummer 64!“

      Aber es war merkwürdig: man konnte dort kein Haus sehen, sondern nur eine hohe Mauer. Ich fragte deshalb Herrn Foss, wie das komme, und ob Herr Grüder vielleicht doch nicht da wohne.

      „Nur Geduld, mein Freund“, erwiderte der Kapitän, „das Haus wird wohl etwas weiter zurück von der Strasse liegen.“

      Ich betrachtete mit Spannung den Ort und fühlte mich eigentümlich ergriffen. — Hier sollte ich also wohnen! — „Breitstrasse 64“, so hatte es meine Mutter mir aufgeschrieben.

      Das erste Ziel meiner langen Reise war erreicht!

      Aber wo nur das Haus des Herrn Dr. Grüder sein mochte? — Ich konnte es nirgends finden.

      Links von uns war ein schöner Bau mit einer Apotheke. Der Kapitän sagte, der schöne Bau sei ein königliches Krankenhaus und heisse „Friedrich-Spital“. Zur Rechten lag ein mächtiges Gebäude mit breiten, steinernen Stufen und hohen Säulen am Eingang. Ich schaute es mit Bewunderung an und fragte, was dies für ein Haus sei.

      „Das ist das Anatomische Institut der Stadt Kopenhagen“, antwortete Herr Foss.

      „Was machen die Leute, die da drin wohnen, Herr Kapitän?“

      „Die haben eine ganz eigenartige Beschäftigung, Nonni. — Da drinnen untersucht man tote Menschen.“

      „Wie? — tote Menschen! — Leichen!“ fragte ich bestürzt. „Ist das möglich, Herr Kapitän?“

      „Gewiss, Nonni.“

      „Aber warum untersuchen sie denn tote Menschen?“

      „Sie tun es, um die Kranken besser heilen zu können.“

      Ich verstand nicht, was dies heissen sollte. Da erklärte mir Herr Foss:

      „Wenn drüben im Spital ein Kranker stirbt, und man weiss nicht recht, welches die Todesursache war, dann bringt man den Toten ins Anatomische Institut und sucht herauszufinden, welche Krankheit er gehabt hat. Und wenn man es findet, dann kann man später mit grösserer Leichtigkeit einem Kranken helfen, der an derselben Krankheit leidet.“

      Das schien mir sehr vernünftig zu sein. Nur war es mir nicht angenehm, dass ein solches Haus so nahe bei dem Ort lag, wo ich nun bald wohnen sollte.

      Um das Gespräch von diesen unheimlichen Dingen abzulenken, sagte ich:

      „Herr Kapitän, meinen Sie nicht, dass wir einmal sehen sollten, wo man in das Haus des Herrn Dr. Grüder hineingeht?“

      Herr Foss schaute nach links und nach rechts. Dann sagte er:

      „Man kann es wahrscheinlich von hier aus gar nicht sehen. Es wird wohl, wie ich gesagt habe, etwas weiter von der Strasse zurückliegen. Wenn du willst, so geh nur hinüber und schau einmal zu dem kleinen Tor hinein, vielleicht kannst du es dann sehen. Ich warte hier.“

      Ich liess mich nicht zweimal auffordern. Voll Begierde, endlich mein neues Heim zu sehen, in das ich noch diesen Abend einziehen sollte, sprang ich hinüber. Nach einem nochmaligen schnellen Blick auf die Nummer 64 öffnete ich behutsam das kleine Tor und ging hinein.

      Vor mir lag jetzt ein gerader, offener Gang mit hohen Mauern zu beiden Seiten.

      Rasch entschlossen schritt ich vorwärts durch den langen Gang und entdeckte bald eine steinerne Treppe, deren Stufen zu einer Haustür linkerhand hinaufführten.

      Hier war also ein Wohnhaus, wie der Kapitän vermutet hatte, und ich zweifelte nicht, dass Herr Grüder da wohne.

      An der steinernen Treppe angelangt, blieb ich stehen und betrachtete eine Weile die Tür.

      Die muss man doch leicht aufmachen können, dachte ich. — Soll ich es probieren?

      Ich empfand eine unbändige Lust dazu.

      Aber war es denn erlaubt, so ohne weiteres in ein fremdes Haus hineinzugehen?

      Schliesslich siegte die Neugierde über alle meine Bedenken. Ich ging auf den Fussspitzen die wenigen Stufen hinauf, fasste vorsichtig die Türklinke und drückte sie leise hinunter.

      Die Tür ging auf.

      Ich steckte den Kopf hinein und sah in einen dunklen Gang. In der rechten Wand schienen einige Türen zu sein. Zur Linken dagegen, nur ein paar Schritte von mir, war eine Treppe, die in die oberen Stockwerke hinaufführte.

      Alles war still. Ich schaute und horchte. Aber ich vernahm nicht den geringsten Laut.

      Jetzt nahm ich mir ein Herz und trat in den dunklen Hausgang hinein. Langsam liess ich die Türe los. Sie schloss sich von selbst hinter mir.

      Ich stand nun ganz im Dunklen.

      Was tun? — Ich streckte beide Arme aus und ging vorsichtig die paar Schritte bis zur Treppe hin. Ich schaute hinauf. Von oben kam ein wenig Tageslicht herunter. Es musste also irgendwo ein Fenster oben sein.

      Sollte ich es wagen, hinaufzugehen? — Ich überlegte.

      Auf einmal fuhr ich zusammen. — Oben wurde eine Tür aufgemacht. Dann wurde sie wieder zugemacht, und es wurden Tritte hörbar.

      Ich merkte, dass jemand an die Treppe kam. — Man hatte mich sicher entdeckt!

      Ich wandte mich daher, so schnell ich konnte, nach der Haustür zurück und wollte eiligst hinaus. Doch wegen der Dunkelheit war es mir nicht möglich, gleich die Türklinke zu finden; ich musste erst eine Weile nach ihr herumtasten.

      Unterdessen waren die Tritte hinter mir immer näher gekommen.

      Endlich brachte ich die Türe auf. Ich wollte entfliehen. Allein es war zu spät. Als ich mich nämlich schnell noch umschaute, sah ich ganz nahe hinter mir einen vornehmen, älteren Herrn.

      Ich schämte mich nun, wie ein Einbrecher vor den Augen des Mannes hinauszulaufen, und blieb deshalb bei der offenen Türe stehen.

      Im Tageslicht, das jetzt durch die Türe in den dunklen Gang hereinfiel, konnte ich den vornehmen Herrn genau erkennen. Er trug einen langen, dunkelblauen Rock, sein Gesicht war glatt rasiert, die Nase stark gebogen. Er war von mittlerer Grösse und sah sehr ernst aus.

      O Gott! — schoss es mir wie ein Blitz durch den Kopf, das muss der Herr Dr. Grüder selbst sein! Sein Aussehen und seine Kleider, alles passte genau zu der Beschreibung, die uns das Fräulein in dem Obstladen von ihm gegeben hatte.

      Ich nahm schnell meine