„Nonni, ich danke dir sehr, dass du mir gegen Karl geholfen hast. Denn es ist sonst keiner da, der ihn anzugreifen wagt. Er ist so stark und wird gleich so zornig, und will sich immer rächen.“
„O, wir sind jetzt fertig mit ihm“, antwortete ich, „und es freut mich, Valdemar, dass ich dir helfen konnte.“
Der kleine Knabe sagte hierauf ganz leise und innig:
„Aber wir müssen zusammenhalten, Nonni. Ich will immer auf deiner Seite sein, besonders gegen Karl.“
Diese Worte rührten mich. Ich reichte dem Kleinen die Hand und sagte:
„Dann sind wir also Freunde!“
„Ja, Nonni, das wollen wir sein!“
„Hat Karl gar keine Freunde unter den Knaben?“ fragte ich jetzt.
„Doch, einige von den Grösseren halten oft zu ihm, aber die sind gerade nicht hier.“
Ich schaute nun meinen neuen Freund etwas genauer an und bemerkte, dass er ein paar Beulen im Gesicht hatte. So stark hatte Karl ihn geschlagen.
Der Knabe tat mir sehr leid.
Da bekam ich sofort eine glückliche Eingebung: „Wart ein wenig, Valdemar“, sagte ich, „ich habe ein kleines Freundschaftsgeschenk für dich.“
Dann lief ich zum Kapitän Foss hin, holte meinen Napoleonskuchen und bat Valdemar, er möge ihn als Zeichen meiner Freundschaft annehmen.
„Was ist da drin?“ fragte er.
„Es ist ein Napoleonskuchen, den hat mir heute morgen ein kleiner Junge im Neuhafen geschenkt.“
Valdemar sträubte sich anfangs, mein Geschenk anzunehmen. Schliesslich war er aber doch dazu bereit. — „Ich danke dir herzlich, Nonni“, sagte er, indem er mir die Hand drückte. „Ich hoffe, dass ich es dir einmal vergelten kann.“
Ich aber fühlte mich überglücklich, dass ich meinen Napoleonskuchen einem so guten und lieben Jungen hatte schenken können.
Herr Foss war inzwischen mitten unter den Knaben gestanden und hatte sich mit ihnen unterhalten. Er rief mir jetzt zu, dass es Zeit für uns sei.
Ich gab Valdemar schnell die Hand und lief zum Kapitän hin.
„So, jetzt gehen wir, Nonni“, sagte er.
Indes bevor wir aufbrachen, konnte es der immer noch zornige Karl nicht unterlassen, mir nachzuschreien:
„Hör mal, du! — Wir sind noch nicht quitt! — Ich werde dich schon wiederfinden! — Dann zahle ich es dir heim! — Meinen Namen hast du ja gehört: Ich heisse Karl und wohne in der Grossen Königstrasse Nr. 52, hier ganz in der Nähe! — Und jetzt, wenn du kein Feigling bist, sag auch du mir, wie du heissest und wo du wohnst!“
„Ich heisse Nonni und wohne in der Breitstrasse 64. Das ist auch hier ganz in der Nähe!“
Nunmehr fasste mich der Kapitän rasch beim Arm und zog mich mit sich fort. Er sagte: „Antworte ihm doch nicht! Du hättest ihm nicht sagen sollen, wo du wohnst! Er will nur Händel mit dir haben!“
„Aber, Herr Kapitän, er hat gerufen, wenn ich kein Feigling sei, solle ich ihm sagen, wo ich wohne! Da musste ich es ihm doch sagen!“
„Nein, Nonni, das brauchst du nicht. Kümmere dich gar nicht darum, was solche Knaben sagen. Halte dich fern von dem; er ist ein frecher Junge und kann dir nur schaden.“
Ich versprach Herrn Foss, seinen Rat zu befolgen.
Als wir dann ein Stück weit gegangen waren, wandte ich mich noch einmal um und sah, dass Valdemar mir mit der Hand zum Abschied winkte.
„Leb wohl, Valdemar!“ rief ich ihm zu.
„Leb wohl, Nonni!“ klang seine helle Stimme zurück.
„Ja, ja! Adieu du!“ rief nun auch Karl. „Wir sehen uns wieder, und zwar bald!“
Ich wollte antworten, doch Herr Foss verhinderte es. Wir gingen rasch die Wälle hinunter.
Jetzt fiel mir ein, dass Owe am Tage vorher mich vor den Gassenjungen gewarnt hatte.
Sollte Karl vielleicht ein Gassenjunge sein?
Ich erzählte dem Kapitän, was Owe mir gesagt hatte, und fragte ihn dann, ob Karl ein solcher Junge sei.
„Nein, ein Gassenjunge ist er gerade nicht“, meinte Herr Foss; aber er ist ein hitziger Bursche.“
„Herr Kapitän, er hat mich mitten ins Gesicht hineingeschlagen.“
„Ja, das sieht man; du hast eine Beule unter dem linken Auge.“
„Hier, Herr Kapitän?“ fragte ich und deutete mit dem Finger an die verwundete Stelle. „Da tut es mir ein wenig weh. Aber solche Sachen bekommt man oft, wenn man viel mit grösseren Knaben spielt. Ich bin daran gewöhnt.“
Herr Foss lachte: „So, du bist daran gewöhnt? — Das ist aber eine sonderbare Gewohnheit, Nonni! Ich meine, es wäre besser, du würdest dich an solche Abenteuer nicht zu sehr gewöhnen.“
Ich musste nun ebenfalls lachen. Dann sagte ich:
„Herr Kapitän, es war aber doch ärgerlich, dass ich den Karl nicht festhalten konnte!“
„Denk nur nicht weiter daran, Nonni. Merke dir, was ich gesagt habe: halte dich fern von Karl und von allen Jungen seiner Art; sie passen nicht für dich.“
Ich nahm mir sogleich vor, diesen Rat des Kapitäns zu befolgen.
Aber was sollte ich tun, wenn Karl mir wieder begegnete? — Er hatte ja gesagt, er werde es mir heimzahlen.
Der Kapitän schien meine Gedanken erraten zu haben, denn er fügte hinzu:
„Ich rate dir, Nonni, geh nirgendwo mit diesem Jungen allein. Wenn er dir auf der Strasse begegnet oder an einem andern Ort, wo viele Leute sind, da kann er dir nichts Böses tun. Versucht er aber, dich an einen einsamen Ort hinzulocken, dann folge ihm nicht, er wird sich sonst sicher an dir rächen. Und da er nun einmal viel grösser und stärker ist als du, so würde er dich leicht misshandeln können. Drum sei vorsichtig mit ihm.“
Diese Worte des Kapitäns beruhigten mich. Ich war nämlich fest davon überzeugt, dass Karl bei der nächsten Gelegenheit mich überfallen werde. Jetzt wusste ich aber, wie ich mich ihm gegenüber zu verhalten hatte.
5. Die „königlichen Prinzen“ — Das erste Laub
Ich ging nun eine Zeitlang stillschweigend neben dem Kapitän einher und dachte an Valdemar, an Karl und mein Erlebnis droben auf den Wällen.
Doch bald schlug ich mir alle diese Gedanken aus dem Sinn und fing wieder an, die vielen wunderbaren Dinge zu betrachten, die sich meinen Blicken von überallher darboten.
Der Strassenverkehr wurde immer lebhafter. Es wimmelte förmlich von Menschen um uns herum, so dass wir oft nur mit Mühe vorankommen konnten.
Ich hielt mich dicht an der Seite des Kapitäns und fragte ihn über allerlei Dinge, die mir vollständig neu waren und die ich mir gar nicht erklären konnte.
Vor allem fesselten mich verschiedene sehr merkwürdige Gestalten, wie ich sie noch nie in meinem Leben gesehen hatte. Es waren Männer in schönen bunten Kleidern; ihre Röcke waren mit kostbaren Knöpfen besetzt, die wie reines Gold glänzten.
Einige von ihnen trugen farbige Mützen mit goldig glitzernden Bändern darum. Andere hatten schwarze, blank polierte Helme auf; die strahlten und schimmerten, dass man fast geblendet wurde, wenn die Sonne darauf schien. Um den Leib hatten sie schön gewichste lederne Gürtel, die ebenfalls im Sonnenlicht glänzten. Es hingen Schwerter daran, deren Griffe wie aus purem Gold waren.
Wieder andere trugen hochrote Röcke. Waffen hatten sie aber nicht. Dafür hielten sie Briefe