„Das muss aber komisch aussehen, Herr Kapitän, wenn der ganze Turm nur aus diesen zusammengewundenen Drachenschwänzen besteht!“
„Ja, aber es ist sehr schön, Nonni. Die vier Drachen winden und ringeln sich umeinander, wie wenn es lebendige wären. Das Ganze ist aus vergoldetem Kupfer gemacht. Es ist ein berühmtes Kunstwerk.“
„Dann ist es ja wie ein Märchen, Herr Kapitän! Und der König Christian muss ein merkwürdiger König gewesen sein! — Hat er noch andere solche Türme und Häuser gebaut?“
„Ja, noch verschiedene. Aber es würde uns zu viel Zeit nehmen, wenn ich sie dir alle beschreiben wollte. Von einem will ich dir aber noch erzählen. Das ist das Schloss Frederiksborg bei Hilleröd, einige Meilen von Kopenhagen. Mit diesem Schloss ist es so gewesen:
König Christian war damals noch ein kleiner Junge. Eines Tages ist er im Wagen an dem See von Hilleröd vorbeigefahren. Dieser See ist sehr schön. Er ist rings von den prachtvollsten Buchen umgeben. Da liess der junge Prinz seinen Wagen halten. Er hatte eine solche Freude, dass er ausrief: ‚Hier, mitten in diesem Wasser, werde ich mir einst ein Schloss bauen.‘
Man lachte über ihn, und einer sagte: ‚Du hast deine Kinderschuhe noch nicht ausgetreten und willst ein Schloss bauen, mitten in diesem See?‘
Der kleine Prinz schwieg darauf. Später, als er gross geworden war, baute er das Schloss, mitten in den tiefen See hinein. Und dieses Schloss ist jetzt eines der schönsten von Dänemark.
Auf beiden Seiten des Schlosstores sieht man noch heute eine Menge Kinderschuhe in die Mauersteine eingemeisselt. Das hat der König selber so befohlen. Die kleinen Schuhe sollten eine Erinnerung an den Scherz sein, den man über ihn gemacht hatte.“ —
Hier hörte der Kapitän plötzlich auf. Er zog seine Uhr aus der Tasche und sagte:
„Aber Nonni, nun stehen wir da herum, und ich erzähle dir lange Geschichten von Christian IV., statt dass wir auf den Runden Turm hinaufgehen! Komm, wir müssen jetzt ein wenig eilen!“
Ich folgte Herrn Foss sofort zu dem geheimnisvollen, grossen Turm hin. Bevor wir durch das Tor hineingingen, fragte ich:
„Ist es nun aber auch wirklich wahr, Herr Kapitän, dass man den ganzen Weg bis oben auf den Turm hinauf mit Pferd und Wagen fahren kann?“
„Ob das wahr ist? — Wart nur einen Augenblick, Nonni, du wirst es dann gleich selbst sehen. Jedenfalls ist es sicher, dass der russische Kaiser Peter der Grosse einmal mit einem Wagen und vier Pferden hinaufgefahren ist.“
Mir schien das ganz unglaublich zu sein; aber Herr Foss versicherte mir noch einmal, dass es wirklich so gewesen sei.
Er öffnete jetzt das Eingangstor des Turmes, und wir traten hinein.
Zuerst kamen wir in einen Vorraum, in welchem links ein alter Mann mit einem Buch in der Hand an einem kleinen Fenster sass. Es war der Turmwächter.
Herr Foss fragte ihn, ob man hinaufgehen könne.
„Gewiss, mein Herr“, antwortete der Mann, worauf Herr Foss das Eintrittsgeld bezahlte. Es kostete acht dänische Skilling für uns beide.
Nun stand der Turmwächter auf. Er begleitete uns etwas weiter hinein, öffnete eine schwere hölzerne Tür, die zum Spiralweg des Turmes führte, und bat uns einzutreten. — „Den Weg werden Sie ja finden“, sagte er scherzhaft, „man geht hier nicht so leicht fehl.“
Herr Foss dankte ihm, und als wir durch die Tür gegangen waren, schloss der Wächter sie hinter uns zu.
„Nun, was meinst du jetzt, mein Lieber?“ sagte Herr Foss. „Glaubst du nun, dass man mit Pferd und Wagen da hinauffahren kann?“
Staunend blieb ich stehen. — Vor uns dehnte sich ein breiter Weg hin. Der Boden war gepflastert und flach wie eine gewöhnliche Landstrasse, ohne eine Spur von Stufen. Spiralförmig wand sich der Weg nach rechts und stieg nur mässig aufwärts. Ja diese Steigung war so gering, dass man sie anfangs kaum merken konnte. Man hätte fast glauben können, man gehe da auf einer gewöhnlichen Strasse.
Wir wanderten nun auf diesem seltsamen Wege voran, indem wir immer nach rechts um eine mächtige steinerne Säule herumgingen, die eine feste, senkrechte Achse mitten in dem grossen Turm bildete.
Diese riesige Säule war stets zu unserer Rechten, die eigentliche Turmwand zur Linken.
So schritten wir eine gute Weile rüstig vorwärts, die eigentümliche Spirale hinan. Allmählich aber wurde ich müde; ich kam fast ausser Atem.
Endlich blieb ich stehen und sagte: „Herr Kapitän, dieser Weg scheint ja gar kein Ende zu haben!“
„Ja, ja, er ist ziemlich lang, Nonni“, lächelte Herr Foss. „Es kann einem ordentlich warm dabei werden. Du meinst wohl auch, mit Ross und Wagen ginge es leichter? Aber wir lassen uns Zeit und ruhen wieder aus, wenn wir müde sind; dann kommen wir auch zu Fuss noch hinauf.“
Unterdessen hatte ich links in der Turmwand ein kleines Fensterchen entdeckt. Ich lief hin und schaute durch die staubbedeckte schmale Glasscheibe hinaus.
Da ward ich aufs höchste überrascht. Ich wandte mich gleich wieder um und rief:
„Herr Kapitän, schauen Sie doch! — hier diese Aussicht! Das kann ich ja gar nicht verstehen!“
„So, was siehst du denn?“
„Ich sehe fast nichts als Schornsteine! Es sind viele Hunderte, ja ich glaube, es sind Tausende da! Und sie rauchen fast alle! — Und dann sehe ich auch noch rote und grüne und schwarze Dächer ringsherum und oben und unten! — Aber Sie müssen selbst kommen und sehen, Herr Kapitän, es sieht zu spassig aus!“
Herr Foss kam zu mir an das kleine Fenster hin und schaute hinaus.
„Ja, richtig, Nonni“, sagte er, „das sind die Dächer und Schornsteine von Kopenhagen. Wir sind also jetzt schon ziemlich hoch oben; wir befinden uns bereits über den gewöhnlichen mittelgrossen Häusern.“
„Wirklich? Sind wir schon so hoch heraufgekommen, Herr Kapitän? Ich habe geglaubt, wir seien die ganze Zeit nur vorwärts gegangen, nicht in die Höhe.“
„Nein, Nonni, da täuschest du dich. Mit dem Runden Turm ist es nämlich eine eigene Sache: Man meint, dieser Weg führe immer nur vorwärts, aber man steigt zugleich auch in die Höhe.“
„Dann kommt es wohl auch davon, Herr Kapitän, dass wir so müde geworden sind?“
„Ja, daher kommt es. Wir müssen uns deshalb einmal ausruhen, denn wir haben noch weit bis zur obersten Plattform hinauf.“
Von jetzt ab hielten wir öfters eine kleine Rast und ruhten aus.
Bei einer dieser Ruhepausen warf ich zufällig einen Blick auf die Turmwand neben mir und entdeckte dort eine Menge Namen und Zeichen, die in die Steine hineingeritzt oder mit Bleistift darauf geschrieben waren.
Ich las einige davon. Unter zahlreichen andern standen folgende Namen da:
Vigliarolo : Napoli
H. Müller : Bodö
Manignol : Brest
Maria og Kristine
Um die zwei unteren Namen war ein schwarzer Rahmen herumgemacht.
Es war das erste Mal, dass ich mit diesem eigentümlichen Gebrauch bekannt wurde, seinen Namen auf die Wände zu schreiben. Ich nahm einen Bleistift aus der Tasche und rief Herrn Foss zu:
„Herr Kapitän, hier scheinen alle Leute ihre Namen auf die Wände zu schreiben. Sollten wir das nicht auch tun? Hier ist gerade ein guter Platz für Foss und Nonni, und für einen Rahmen darum.“
Ein wenig unwillig antwortete der Kapitän:
„Nein, Nonni, das tut man nicht! Nur törichte Menschen kratzen ihre Namen überall auf Mauern und Wänden herum.“
Darauf