Sofort winkten sie ebenfalls vom Verdeck herüber und riefen noch einmal:
„Leb wohl, Nonni! — Viel Glück!“
Unter den starken Männerstimmen aber klang laut und hell wie Glockenton eine Knabenstimme hervor:
„Leb wohl, Nonni! — Leb wohl!“
Das war Owe.
Ich wollte rufen, doch es war mir unmöglich: die Worte blieben mir in der Kehle stecken, ich konnte kaum ein Schluchzen zurückhalten. Ich begnügte mich daher, nur ein allerletztes Mal noch zu winken.
Der Kapitän hatte währenddessen seine Hand auf meine Schulter gelegt. Als wir uns dann langsam wieder gegen die Stadt hin wandten, um unsern Weg fortzusetzen, sagte er freundlich:
„Ich sehe, mein Lieber, du bist mit den Leuten an Bord recht gut Freund geworden. — Wen von ihnen kannst du denn am besten leiden?“
„Owe, Herr Kapitän.“
Herr Foss lächelte. „Das kann ich mir wohl denken“, sagte er, „ihr seid ja fast im gleichen Alter. — Und welches war dann der nächste unter deinen Freunden?“
„Nach Owe der Steuermann.“
„Der war immer lustig mit dir, nicht wahr?“
„Ja, und er hat mir oft Feigen gegeben und Rosinen, und noch viele andere Sachen.“
„Dann glaube ich freilich, dass er neben unserm kleinen Koch dein liebster Freund war“, fügte scherzend Herr Foss hinzu.
Ich verstand, was er damit sagen wollte, und erwiderte deshalb sogleich:
„Herr Kapitän, ich habe aber auch noch den jüngsten unter den Matrosen gern.“
„So, der ist auch dein Freund? Wie ist denn das gekommen?“
„Es war damals, wo er krank zu Bette lag, nach dem Kampf mit den Eisbären. Ich musste ihn da oft besuchen und ihm helfen. Er hat es immer gern gehabt und war immer freundlich gegen mich.“
„Ja, richtig, ich kann mich jetzt wieder erinnern. Das war aber schön von dir, Nonni, dass du ihm so geholfen hast, als er krank war. Hier in Kopenhagen brauchst du keine Verwundeten mehr zu pflegen, hier gibt es keine Eisbären. Unser ‚Valdemar‘ liegt jetzt ruhig und sicher dort drüben im Hafen, bis wir heimsegeln nach Bornholm, und du kommst nun in feine, schöne Häuser zu vornehmen Leuten.“
Ich wandte mich bei diesen Worten noch einmal um und schaute nach dem Hafen zurück. Den „Valdemar von Rönne“ aber konnte ich nicht mehr sehen, er war verschwunden in dem dichten Wald von Schiffsmasten.
2. Mit Kapitän Foss in der Breitstrasse Die Königinbirnen
Wir waren jetzt am Neuen Königsmarkt angelangt, wo das grosse Reiterdenkmal steht, das mich am Abend vorher in einen so gewaltigen Schrecken versetzt hatte. Ich hatte nämlich bis dahin noch nie in meinem Leben ein Denkmal gesehen und deshalb beim ersten Anblick des Standbildes geglaubt, dass Ross und Reiter da oben lebendig seien.
Rechts von uns, auf den Neuen Königsmarkt herausmündend, war die Breitstrasse mit den vielen vornehmen Bauten und den Gesandtschaftspalästen. Sie lief kerzengerade weit, weit in die Ferne.
Ich blieb stehen und sagte zu Herrn Foss:
„In dieser Strasse ist das Haus des Herrn Dr. Grüder, bei dem ich bis zu meiner Abreise nach Frankreich wohnen soll. Hier in meinem Notizbuch steht es geschrieben: es ist die Nummer 64.“
„Da hast du wohl gleich Lust, kleiner Freund, deine künftige Wohnung zu sehen?“ bemerkte der Kapitän.
Ich war sofort dazu bereit. Herr Foss aber sagte, wir gingen jetzt noch nicht in das Haus des Herrn Grüder hinein, sondern würden es uns nur von aussen einmal anschauen.
Ich war aufs höchste gespannt, was für ein Haus das wohl sein werde, in dem Herr Dr. Grüder wohnte und in dem nun auch ich wohnen sollte, wahrscheinlich bis zum Ende des grossen deutsch-französischen Krieges.
Gewiss wird es ein sehr vornehmes Haus sein, dachte ich bei mir.
Die wehmütige Stimmung, von der ich eben noch ergriffen war, verschwand jetzt schon gänzlich. Ich beschäftigte mich in meinen Gedanken nur noch mit dem Grüderschen Hause und meinem zukünftigen Leben in der grossen, herrlichen Breitstrasse.
„Nonni, du sagst also, es ist die Nummer 64?“ fragte Herr Foss, indem er zu den Hausnummern hinaufschaute.
„Ja, Herr Kapitän, so hat meine Mutter es mir aufgeschrieben.“
„Dann haben wir aber noch weit zu gehen. Die Nummer 64 muss ganz dort oben am andern Ende der Strasse sein.“
„Das haben gestern auch die Matrosen gesagt“, bemerkte ich.
Während wir auf der linken Strassenseite weitergingen, fragte mich Herr Foss, ob ich im Hause des Herrn Grüder schon jemand kenne. Ich sagte nein; ich wisse nur von meiner Mutter, dass Herr Grüder ein sehr gelehrter Mann sei, und dass nur gelehrte Herren dort wohnten; sie seien keine Dänen, sondern lauter Deutsche, und es seien alle gute Menschen.
„Aber sie sind dir fremd, Nonni. Hast du da keine Angst?“ sagte Herr Foss.
„O nein, ich habe gar keine Angst, Herr Kapitän! Ich glaube, es wird mir Spass machen, zu diesen gelehrten deutschen Männern zu kommen und bei ihnen zu wohnen. Ich habe noch nie einen Deutschen kennengelernt; ich bin ganz gespannt darauf, einmal zu sehen, was für Menschen das sind!“
„So ein mutiger Junge bist du?“ erwiderte der Kapitän, indem er ein wenig stehen blieb und lächelnd mich anschaute. „Ich weiss, Nonni, du bist ein lebhafter, munterer Knabe. Aber meinst du nicht, in dem fremden Hause, bei den ganz fremden Menschen könntest du Heimweh bekommen? — nach Island, nach Akureyri, nach deiner Mutter und deinen Geschwistern?“
Jetzt fühlte ich, dass meine Tapferkeit vielleicht doch nicht so gross sein würde, wie ich eben noch geglaubt hatte. Es wurde mir auf einmal ganz merkwürdig zumute. Ich konnte nicht mehr fröhlich plaudern.
Herr Foss bemerkte es und tröstete mich sogleich:
„Nun sei aber doch nicht traurig, Nonni! Ich habe das nur so gemeint. Du wirst es schön haben beim Herrn Dr. Grüder, deine Mutter hätte dich sonst gewiss nicht zu ihm geschickt. Du hast eine gute Mutter; denke nur oft an sie und an ihre Ermahnungen.“
„Ja, Herr Kapitän, das tue ich. Meine Mutter hat gesagt, Gott wird unter den fremden Menschen ebenso für mich sorgen wie zu Hause in Island.“
„Gewiss, Nonni, das darfst du sicher glauben; und es gibt auch überall Menschen, die gut sind. Es braucht dir also nicht bange zu sein. Wir sind ja auf dem Schiff auch gleich gute Freunde geworden ...“
Da fiel ich ihm ins Wort und sagte, indem ich seine Hand ergriff:
„Ja, Herr Kapitän, und ich danke Ihnen, weil Sie immer so gut gegen mich waren, und weil Sie mir auch freie Rückfahrt nach Island angeboten haben. Der Herr Steuermann hat es mir schon erzählt. Aber ich habe gesagt, ich will jetzt doch in Kopenhagen bleiben.“
„Ich weiss es, Nonni“, erwiderte er. „Es ist auch am besten so, und wir können ja im Frühjahr wieder darüber sprechen.“—
Indessen waren wir bereits in die Mitte der Breitstrasse gekommen. Bei einem Hause dort begegnete uns auf einmal etwas Seltsames.
Aus einer offenen Kellertür, wie ich glaubte, zu der eine kleine Treppe hinunterführte, wehte mir ein ganz eigentümlicher Duft entgegen, den ich mir am Anfang gar nicht erklären konnte. Es war aber darin etwas, das mich an die Äpfel des vorhergehenden Tages erinnerte, die ich nicht hatte essen können, weil ich noch nie in meinem Leben eine solche Frucht gekostet hatte.
Ich blieb stehen und schaute mit gespanntem Blick gegen die offene Tür hin. Da trat Herr Foss neben mich und sagte:
„Du