»Grundsätzlich, Claudia«, sagte sie, »verstehe ich natürlich – glaub nicht, daß ich das nicht verstehe! –, daß unsere Scheidung euch vor Probleme stellt.«
»Warum mußtest du das tun, Mutti? Warum?« rief Claudia anklagend, und schon wieder begannen die Tränen zu laufen.
»Weil euer Vater mich nicht mehr liebhat, weil er eine andere Frau liebt«, sagte Martina und kam sich bei dieser Erklärung sehr verloren vor.
Claudia starrte sie ganz entgeistert an, aber wenigstens versiegten ihre Tränen.
»Aber . . . darf man das denn? Ein Mann darf doch nur eine Frau haben.«
»Ganz richtig. Deshalb steht ja auch das Gesetz auf meiner Seite.«
»Na, siehste«, ließ Stefan sich vom Tisch her vernehmen, »habe ich dir doch immer gesagt, daß Vati ’ne Freundin hat. Aber du hast’s nicht glauben wollen.«
»Hat er dich denn gar nicht mehr lieb, Mutti?«
»Nein, Kind, er hat mich nicht mehr lieb. Und ich wollte nicht mit einem Mann Zusammenleben, der sich nichts mehr aus mir macht.«
»Aber er ist mein Vater! Und mich hat er lieb! Das weiß ich!«
»Gewiß hat er dich lieb. Auch Stefan natürlich. Und daran wird sich auch nichts ändern. Aber Vati und ich sind nun einmal geschieden, das ist eine Tatsache.«
Claudia schwieg.
»Trink deinen Kakao, bevor er kalt wird.«
»Kann ich noch was haben?« fragte Stefan.
»Es ist noch ein Rest in der Kanne.«
Claudia trank in kleinen Schlucken.
»So ist es nun mal, Schätzchen«, sagte Martina. »Schlimm für dich, ich weiß. Aber es hat auch seine guten Seiten. In Düsseldorf kriegen wir ein kleines Haus mit einem Stück Garten, in dem ihr spielen könnt . . . «
»Nicht schlecht!« Stefan fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
»Ich will nicht nach Düsseldorf!«
»Du wirst es müssen, Liebling. Weil du bei mir bleiben mußt. Oder würdest du lieber in ein Internat gehen? Das glaube ich nicht. Ganz davon abgesehen, daß dein Vater kaum das Geld dafür aufbringen könnte.«
»Ich will bei Vati bleiben.«
»Will Vati, daß wir nach Düsseldorf ziehen?« Stefan begann die Tasse auszulecken.
»Ja. Auch. Es wäre auch für ihn nicht angenehm, wenn wir uns auf Schritt und Tritt begegnen würden. Das wäre aber in einer kleinen Stadt wie Dinslaken unausweichlich.«
»Wahrscheinlich«, sagte Stefan genüßlich, »will er jetzt seine Freundin fein ausführen, und da wär’s ihm peinlich, wenn wir ihn auf der Straße grüßen. ›Sag mal, was sind denn das für Kinder?‹ würde die vielleicht fragen, und was soll er dann . . . «
Zuerst war Martina amüsiert gewesen – es kam selten genug vor, daß Stefan Phantasie entwickelte –, dann versuchte sie seinen Redefluß zu unterbrechen. »Na, na! Nun übertreibst du aber! Er würde euch doch nie . . . «
In diesem Augenblick flog Claudias Tasse quer durch den Raum und knallte, einen guten Meter neben Stefans Kopf, an die Wand.
Der Junge hatte sich nicht einmal geduckt. »Zielen muß gelernt sein!« sagte er nur.
»Ein Segen, daß jeder bald sein eigenes Zimmer hat«, meinte Martina. Sie stand auf, um sich den Schaden zu besehen; die Tasse war noch nicht leer gewesen und hatte einen kräftigen braunen Spritzer auf der Tapete hinterlassen. »Ein schönes Andenken für deinen Vater. Hol mal schnell Besen und Kehrblech. Ich hoffe, du hast jetzt genügend Dampf abgelssen.«
Claudia sagte nichts, aber als Martina ein wenig später den Arm um sie legte, machte sie sich abwehrend steif. Martina hatte das Gefühl, daß diese so lange aufgeschobene Aussprache nichts geändert hatte.
Noch zweimal in dieser Woche fuhr Martina nach Düsseldorf-Benrath. Sie scheuerte die Böden ihres kleinen Hauses, putzte die Fenster und hängte Vorhänge und Gardinen auf.
Stefan begleitete sie, und wenn er ihr auch keine Hilfe war, so gab es ihm doch Gelegenheit, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden.
Claudia weigerte sich mitzukommen, und Martina beließ es dabei. Aber sie bestimmte das zweitschönste Zimmer im Haus für ihre Tochter, einen hellen, fast quadratischen Raum. Mit dem duftenden Jasminstrauch vor dem Fenster, so dachte sie, mußte jedes Mädchen sich wohl fühlen.
Auf ein Wohnzimmer wollte sie verzichten. Jeder von ihnen, Claudia, Stefan und sie selber, sollte sein eigenes Zimmer haben, zum Wohnen und zum Schlafen, sie selber natürlich das größte, das mit dem selbstgebastelten Regal, das ihr schon bei der ersten Besichtigung so gut gefallen hatte. Essen wollte man in der Küche.
Stefan gefiel das Häuschen, und als er dann noch entdeckte, daß in dem Haus hinter der hohen Gartenmauer ein Junge in seinem Alter wohnte, Dieter Schwarzenbach, schienen für ihn alle Probleme gelöst.
Martina war sehr erleichtert, denn mehr als ein schwieriges Kind wäre für sie, gerade in der augenblicklichen Situation, zuviel gewesen.
Beide, Mutter und Sohn, schilderten Claudia das neue Heim, auch den nahe gelegenen schönen Schloßpark und das Rheinufer, in leuchtenden Farben, aber Claudia blieb ablehnend, auch noch am Sonntagmorgen, als der Vater kam.
Martina hatte die Koffer gepackt, sich ein paar Kisten und Holzwolle besorgt, und so war die Wohnung schon am Abend zuvor kahl geworden. Jetzt aber, als Helmut die Teppiche zusammenrollte, Stehlampe, Sessel und Couch nacheinander im Lieferwagen verschwanden, wurde es sogar Stefan bänglich zumute.
»Ich glaube, ich kann heute doch nicht verreisen«, sagte er, und seine Stimme klang belegt.
Martina musterte ihn. Er war sehr blaß, und seine braunen Augen wirkten unnatürlich schwarz.
»Ist dir nicht gut?« fragte sie erschrocken.
»Mein Bauch tut weh.« Stefan preßte die Hände vor den Magen.
»Ausgerechnet jetzt!« rief Martina, ärgerte sich aber gleich darauf über ihren Mangel an Mitgefühl. »Paß mal auf«, sagte sie, »dann legst du dich erst mal in Vaters Bett, und ich bringe dir eine Wärmflasche.«
»Und ich muß nicht weg?«
»Ach, Stefan, du bist doch kein Baby mehr. Natürlich müssen wir weg, das ist beschlossene Sache. Und du weißt, wie hübsch wir es in Düsseldorf haben werden.«
»Schon«, gab Stefan zu und sah sich in der trostlos leeren Wohnung um. »Aber hier sind wir doch zu Hause.« Er spürte, daß ein Abschnitt seines Lebens unwiderruflich zu Ende ging.
Martina strich ihm durch die braunen Locken. »Wir werden es uns schon gemütlich machen,«
Sie wollte Stefan im Lieferwagen mit Helmut nach Düsseldorf schicken, dabei hätte er sich die Wärmflasche vor den Bauch halten können, aber Claudia weigerte sich entschieden, die Mutter im Zug zu begleiten. »Nein, das tue ich nicht«, erklärte sie und stampfte mit dem Fuß auf. »Entweder fahre ich mit Vati oder gar nicht.«
»Aber Stefan ist krank! Nimm doch mal Rücksicht!«
»So krank wie der bin ich schon lange.«
»Komm, komm, Kleines«, mischte Helmut sich ein, »sei vernünftig.«
»Aber ich bin vernünftig! Vernünftiger als ihr! Warum soll ich überhaupt mit nach Düsseldorf? Ich bleibe ja doch nicht da. Nimm ihn ruhig mit, Vati! Ich warte hier auf dich.«
»Du mußt verrückt sein«, rief Martina, »du bildest dir doch nicht im Ernst ein, du kannst bei deinem Vater bleiben? Du hast hier ja nicht einmal mehr ein Bett!«
»Du