Am Monatsende, als er sein Gehalt kassiert hatte, überreichte er ihr feierlich und verschmitzt ein Schächtelchen von der Art, wie sie Juweliere zu benutzen pflegen. Es war in buntes Seidenpapier gewickelt und mit einer goldfarbenen Schnur zugebunden.
»Was soll das?!« fragte sie, unangenehm berührt.
»Nimm doch!« Er versuchte ihr die Schachtel aufzudrängen.
Sie verschlang die Hände auf dem Rücken. »Nein!«
»Aber ich bitte dich . . . eine kleine Überraschung! Ich will dir doch nur eine Freude machen!«
»Aus welchem Grund!?«
»Schließlich sind wir ja noch verheiratet.«
»Das sind wir seit zehn Jahren. Und jetzt rechne mal nach, wie oft du in all der Zeit mit einem Geschenk gekommen bist. Selbst an meinen Geburtstag mußte ich dich jedesmal erinnern.«
»Das will ich eben wiedergutmachen.«
»Dazu ist es zu spät, Helmut!«
Die Kinder – Helmut hatte es darauf angelegt, daß sie Zeugen wurden – beobachteten die kleine Szene neugierig. Das Benehmen der Mutter mußte ihnen unverständlich erscheinen.
»Soll ich auspacken, Vati?« erbot sich Claudia.
»Nein«, sagte Martina scharf.
»Sieh dir doch wenigstens an, was es ist«, drängte Helmut. »Es wird dir bestimmt gefallen.« Er gab Claudia das Schächtelchen.
»Aber ich will kein Geschenk von dir! Geht das nicht in deinen Schädel?!«
»Nein, wirklich nicht«, behauptete er grinsend.
Claudia hatte, während Stefan ihr über die Schulter blickte, das Schächtelchen hastig geöffnet. »Ein Ring!« rief sie. »So ein schöner Ring!« Sie hielt das Schmuckstück der Mutter unter die Nase.
Martina konnte nicht umhin, es anzusehen. Es war ein schmaler Reif, mit drei Steinen besetzt, zwei winzigen rechteckig geschliffenen Brillanten, dazwischen ein Smaragd in der gleichen Form.
»Probier ihn mal an«, bat Helmut.
»Aber den kannst du dir doch gar nicht leisten!«
»Mach dir darüber keine Gedanken. Es soll ein Zeichen meiner Liebe sein.« Er versuchte, ihre linke Hand nach vorne zu drehen.
»Du tust mir weh!«
»Entschuldige, aber wenn du so dickköpfig bist . . . «
»Ich weiß nur, was ich will, und ich weiß, was sich gehört. Ein solches Geschenk paßt nicht zu uns. Nicht zu dir und nicht zu unserer Situation. Wenn ich es annähme, würde ich mich wieder binden . . . «
»Woher denn! Nimm den Ring von mir als Erinnerung.«
»Erinnerung? An was? Bist du wirklich so sicher, daß in unserer Ehe die schönen Stunden überwogen haben? Dann ständest du heute nicht so da. Tu doch bloß nicht, als wolltest du mir was Gutes tun. Kaufen willst du mich. Wahrscheinlich ein Rat von deinem trefflichen Rechtsanwalt: Bringen Sie ihr ein schönes Schmuckstück, dann wird sie bestimmt schwach. Keine Frau kann einem Brillantring widerstehen.«
Diese Behauptung, die sie aus der Luft gegriffen hatte – sie war ihr von einer Sekunde zur anderen eingefallen –, kam der Wahrheit so nahe, daß Helmut sich vor Wut und Scham verfärbte. »Du kannst wohl immer nur das Schlechteste denken«, brüllte er. Er riß Claudia den Ring aus der Hand und steckte ihn in seine Hosentasche.
»Bring ihn ins Geschäft zurück und sieh zu, daß du dein Geld wiederkriegst«, riet ihm Martina. »Du wirst es in der nächsten Zeit noch brauchen.«
Es war ihm anzusehen, daß er sie am liebsten geschlagen hätte, aber er beherrschte sich, blickte sie nur wütend von unten herauf mit schräggelegtem Kopf an, bevor er die Tür zuknallte und die Wohnung verließ.
»Aber das war doch so ein schöner Ring«, jammerte Claudia. »Warum hast du ihn nicht genommen? Du hättest ihn ja aufheben können, bis ich groß geworden bin.«
»Sei nicht traurig, Schatz.« Martina atmete tief, um sich zu beruhigen. »Du wirst schon sehen: bald verdiene ich Geld, und dann können wir uns die schönsten Sachen kaufen. Wir brauchen keine Geschenke von Vati.«
»Er wollte sich versöhnen, nicht?« fragte Stefan ernsthaft.
»So kann man es nennen«, gab Martina zu.
»Aber du wolltest nicht.«
»Nein, ich will nicht. Das ist ganz richtig.«
»Was hat er dir denn getan?«
Martina zögerte. Sie fühlte, daß sie sich in den Augen der Kinder ins Unrecht setzte. Aber sie konnte sich nicht verteidigen, ohne Helmut schwer zu belasten, und das wollte sie nicht. Es war ihr peinlich, mit ihnen über Sexualität zu sprechen; sie schienen ihr noch zu jung dazu. Später, so hoffte sie, würde sie ihnen alles erklären können.
Helmut kam in dieser Nacht sehr betrunken nach Hause. Er rumorte im Bad und auf dem Flur, aber er belästigte Martina nicht. Am nächsten Morgen war er verkatert. Er gab sich keine Mühe mehr, freundlich und zuvorkommend zu erscheinen, sondern ließ seiner schlechten Laune freien Lauf. Für Martina bedeutete das fast eine Erleichterung. Dennoch blieb das Zusammenleben mit dem Mann, den sie nicht mehr liebte und der ihr doch so vertraut war, nervenaufreibend.
Glücklich war Martina in dieser Zeit nur in Düsseldorf. Während des Unterrichts in der Kosmetikschule und im Kreis ihrer Mitschülerinnen vergaß sie zeitweilig ihre Sorgen. Es störte sie nicht, daß sie die Älteste war – im Gegenteil, ihr war es, als würde sie selbst wieder jung. Mit wachsender Übung fiel ihr das Lernen immer leichter, ihre Hände waren geschickt, sie konnte manches Lob einheimsen, und es machte ihr Spaß, mit den anderen zu lachen und über Mode und Männer zu schwatzen.
Manchmal hatte sie geradezu den Eindruck, ein Doppelleben zu führen, als sei sie in Düsseldorf ein ganz anderer Mensch als zu Hause. Wie die Verwandlung von einer in Scheidung lebenden Ehefrau und Mutter zu einer hoffnungsvollen Kosmetikstudentin vor sich ging, begriff sie nicht, aber sie wußte genau, wann die Rückwandlung einsetzte: sobald sie in Düsseldorf in den Zug stieg. Dann verschwand das Lächeln aus ihren Mundwinkeln, und ihr Kinn schob sich vor.
Sie stürzte sich in den Kampf um den Sitzplatz, einen erbitterten Kampf gegen rüde Jugendliche, abgearbeitete Männer und Hausfrauen mit großen Einkaufstaschen – warum die nur gerade zur Hauptverkehrszeit unterwegs sein mußten! War ein Platz errungen, gab es ein kurzes Aufatmen. Die Kollegtasche als Schreibunterlage auf dem Schoß, eingezwängt zwischen fremden Leibern, begann sie ihren Einkaufszettel auszuarbeiten. Haltbare Lebensmittel besorgte sie zwar stets am Samstag, aber selbst bei genauer Planung ließ sich das nicht für jede Ware durchführen, ganz abgesehen davon, daß doch immer dies oder das im Haushalt fehlte oder auszugehen drohte.
Weit bequemer wäre die Fahrt in der Ersten Klasse gewesen, aber der Preisunterschied für die Wochenkarte war so erheblich, daß Martina sich diesen Luxus nicht erlauben konnte. Mühsam genug hatte sie sich das Schul- und Fahrgeld im Verlauf ihrer Ehe aus der »Schmu-Kasse« zusammengespart, immer mit schlechtem Gewissen, voll Zorn auf sich selber und auf Helmut, der sie zu dieser Methode zwang, indem er ihr niemals Geld zur eigenen Verwendung überließ. Jeder Pfennig mußte abgerechnet werden. Wie sehr hatte sie knausern müssen, um Pfennig auf Pfennig zu legen, die sich mit unendlicher Langsamkeit summiert hatten. Helmut wußte bis heute nichts davon. Sie hatte behauptet, das Geld sei ein Geschenk ihrer Großmutter, und er hatte es geschluckt.
Wenn er es je erfuhr, würde er toben. Dabei hatte sie es doch für ihn getan – auch für sich selber, aber mehr doch für ihn und die Kinder. Immer waren sie knapp mit Geld gewesen, hatten sie sparen und rechnen müssen. Mit ihrem Kosmetikinstitut hatte sie sich und