Allergien revolutionär. Magdalena Stampfer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Magdalena Stampfer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783966612531
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Als wäre eine Überreaktion des gelangweilten Immunsystems bereits die Ursache an sich. Übersetzt heißt das: Es kümmert uns nicht, wie die Allergie eigentlich zustande gekommen ist und wir wissen nicht, was die Verabreichung der Allergene zusammen mit Aluminiumhydroxid sonst noch im Körper anstellt, aber wenn Sie Glück haben, reagieren Sie nach drei bis fünf Jahren nicht mehr auf das Allergen. Oder eben doch. Das als Erfolg in der Allergiebehandlung zu verkaufen, finde ich fast schon bewundernswert.

      Natürlich kann es sein, dass einige Patienten tatsächlich weniger auf das ausgewählte Allergen reagieren. Das scheint, wenn wir den Studien der Hersteller vertrauen, hinreichend belegt zu sein. Aber welche Wechselwirkungen und Folgeerscheinungen diese Hyposensibilisierung für das Immunsystem auf Dauer hat, scheint niemand wirklich zu wissen. Vielleicht interessiert es die Auftraggeber dieser Studien einfach nicht. Was das akkumulierte Aluminium über Jahre im Körper anstellt und welche neurologischen Folgen das nach sich ziehen kann? Darüber wird nichts erzählt. Nur die kurzfristigen Nebenwirkungen werden angeführt: So leiden bei der Schluckversion der Immuntherapie, bei der die Präparate nicht gespritzt, sondern oral verabreicht werden, circa 70 Prozent der Betroffenen an Juckreiz, geschwollenen Schleimhäuten, Magen-Darm-Problemen oder einer kribbelnden/brennenden Zunge. Was die vermehrte Gabe von Aluminiumhydroxid und eventuelle Ablagerungen von Aluminium für langfristige Folgen haben können, zum Beispiel als Auslöser von Entzündungen im Gehirn, wird nicht genannt. Ob es den Herstellern tatsächlich nicht bekannt ist oder bewusst verschwiegen wird, sei dahingestellt. Da man durch Aluminiumablagerungen im Gehirn an Alzheimer erkranken kann, ist vielleicht die Grundidee die, dass der Patient seine Allergie einfach vergisst?

      Seit dem Aufkommen dieser Therapie Anfang des 20. Jahrhunderts konnten die in sie gesetzten Hoffnungen jedenfalls nicht erfüllt werden. Rechnete man anfangs noch damit, dass man den Körper wieder völlig unempfindlich machen kann, gibt man sich heute schon damit zufrieden, wenn er nicht ganz so stark reagiert wie vorher. Der frühere Name Desensibilisierung wurde aus diesem Grund durch Hyposensibilisierung ersetzt. Da allergische Symptome alles andere als angenehm sind, ist es nur allzu gut verständlich, dass Allergiker sich im Vertrauen an die behandelnden Ärzte und deren Methoden zu solchen Verfahren entschließen. Die Frage ist nur, ob das nicht nur gut fürs Geschäft, sondern auch langfristig gut für das Immunsystem ist, denn mit einer wahren Ursachenbekämpfung hat das nichts zu tun. Trotzdem fordern über vierzig namhafte Allergologen und Wissenschaftler, in einem Papier der EEACI (European Academy of Allergy and Clinical Immunology) von der Politik eine breitere Unterstützung der spezifischen Immuntherapie und bessere Finanzierung dieser Methode [11]. Ein Blick auf die Sponsoren dieser Akademie zeigt uns bereits bekannte Pharmafirmen, die wir ja schon vom IGAV-Folder kennen (Alk Abello, Allergopharma, Stallergenes), aber auch neue Gesichter (Novartis, Thermofisher Scientific, Grupo Uriach, Leti, Mylan, HAL Allergy, AllergyTherapeutics). Vor einiger Zeit war auch eine Firma namens Meda unter den Sponsoren. Leider ist sie heute nicht mehr so prominent vertreten, da sie mittlerweile aufgekauft wurde, was ich sehr schade finde, weil das Logo ein absoluter Glücksgriff war. Vor allem wegen des klingenden Untertitels: „For a better life with allergies.“ Was würden die armen Firmen denn auch ohne Allergien machen!?

      Der EEACI kann man vielleicht einiges vorwerfen, aber auf keinen Fall Untätigkeit. Seit 2014 ist sie stolz darauf, in Brüssel ein „EU Liaison Office“ eröffnet zu haben, was eindeutig besser klingt als „Lobbying-Büro“. Noch vor kurzem war in einem Report auf der Website zu lesen, dass genetisch veränderte Lebensmittel vollkommen unproblematisch seien [12]. Und selbstverständlich auch keinesfalls allergiefördernd, was zwar konzernfreundlich sein mag, aber nicht unbedingt im Interesse der Konsumenten. Das Beispiel zeigt sehr deutlich, wo die tatsächlichen Absichten solcher Gruppen liegen, auch wenn sie sich Academy oder ähnliches nennen. Seit 2017 ist der Gentechnikbericht auf der Seite nicht mehr auffindbar, stattdessen ist die Website jetzt mit dem Logo von Nestlé geschmückt, dem Hauptsponsor des Internetauftritts: „NestléHealthScience. Where nutrition becomes therapy.“ Dass die Nahrung unsere Medizin sein sollte, geht auf Hippokrates zurück, der sich wohl sehr wundern würde, was aus seinem Satz geworden ist.

      Allergie – ein umkämpfter Begriff

      Bekanntlich kann man aus der Geschichte viel über das Heute lernen und das ist auch beim Thema Allergien nicht anders. Historisch gesehen ist der Allergiebegriff seit seinem ersten Auftauchen im Jahre 1906 ein stark polarisierendes Thema. Die heute vorherrschende Lehrmeinung, dass Allergien aus dem Nichts entstehen und nicht geheilt werden können, ist eine relativ neue Entwicklung, die sich erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts festgesetzt hat.

      Der Mann, der den Begriff „Allergie“ geprägt hat, war Clemens von Pirquet. Er verstand unter einer Allergie alle möglichen veränderten Reaktionen des Körpers auf eine fremde Substanz. Anfang des 20. Jahrhunderts galt also noch eine recht breite Definition, die nicht wirklich unterschieden hat, ob das Immunsystem beteiligt war oder nicht. Pirquet sah eine Allergie einfach als „Zustandsänderung, die der Organismus durch die Bekanntschaft mit irgend einem (…) Gifte erfährt.“ [13]

      Durch seine Tätigkeit am St. Anna Kinderspital in Wien hatte Pirquet bei Impfungen von Kindern bemerkt, dass die Impfreaktion bei einer Folgeimpfung schneller auftrat und zunächst viel stärker ausfiel, als bei der Erstimpfung. Er folgerte daraus, dass eine Sensibilisierung auf bestimmte Substanzen stattgefunden haben musste und der Körper dadurch schneller und stärker reagierte. Etwas hatte ihn also empfindlicher gemacht.

      Die Erforschung von Allergien wurde damals in medizinischen und wissenschaftlichen Kreisen immer populärer, nicht zuletzt durch das öffentliche Interesse an dieser Art von Beschwerden. Die Fülle der Reaktionen und die Unterschiede hinsichtlich der Stärke, Dauer bis hin zum Zeitpunkt des Auftretens hatten zufolge, dass der damalige Allergiebegriff ein umfassender war. Unabhängig davon, ob es sich bei den Symptomen um Durchfall, juckenden Ausschlag oder einen drohenden Kreislaufkollaps handelte. Generell zählte man Intoleranzen und verzögert auftretende Reaktionen, die nicht immunologisch bedingt waren, auch zu Allergien. Also Symptome wie Migräne, Schlaflosigkeit, eine Reihe von Verdauungsproblemen oder anhaltende Müdigkeit, so wie es in der ganzheitlichen Medizin auch heute noch der Fall ist.

      Pirquets allgemeiner Allergiebegriff hatte sich zumindest bis zum Zweiten Weltkrieg in Europa durchgesetzt, auch wenn nicht überall Einigkeit darüber herrschte. In den USA stritten die Allergiespezialisten so heftig untereinander, dass gleich mehrere Allergieverbände gegründet wurden, weil man sich nicht darauf einigen konnte, was eine Allergie überhaupt ist. Die einen verwendeten den Begriff im umfassenden Sinn, wie er in damaliger europäischer Tradition gebraucht wurde und auch eine Reihe von Überempfindlichkeitsreaktionen, wie Ausschlag, Kopfschmerzen oder Verdauungsbeschwerden beinhaltete. Der Ernährung wurde von dieser Fraktion ein hoher Stellenwert zugesprochen. Die anderen hielten hingegen an einer konservativen Sicht fest und zählten nur Reaktionen auf klarer immunologischer Grundlage dazu, im besten Fall mit einem Hauttest bestätigt. Alles andere wäre vielleicht nur Einbildung des Patienten.

      Es gab also auch damals schon ganzheitlich denkende Ärzte und die eher konservativen Allergologen. Letztere gründeten die AAAI (American Academy of Allergy and Immunology). Dieser Verband war es auch, der Rückendeckung seitens der Nahrungsmittelproduzenten bekam, nicht nur in ideologischer Hinsicht, sondern auch in finanzieller. Kämpfte die AAAI doch auch für die Interessen der Industrie, wenn sie jene Kritiker der „modernen“ Ernährungsweise diskreditierte und als unseriös hinstellte.

      Der Fokus der ganzheitlichen Allergologen auf gesunde, natürliche Ernährung war den Nahrungsmittelproduzenten ein Dorn im Auge. Denn Pestizide, chemische Zusätze sowie Fertignahrung waren schon längst auf dem Vormarsch und die ganzheitlichen Ärzte kritisierten den Einsatz von genau diesen chemischen Substanzen, die man gerade als wunderbare Innovation verkaufen wollte. Wie konnte man einen solchen Fortschritt, der das Leben derart erleichterte, nicht gutheißen? Der Glaube an die schillernden Werbebotschaften und an die Integrität der erfolgreichen Unternehmen war damals ungebrochen und nur Vertreter der Steinzeit (oder Kommunisten) konnten davon nicht begeistert sein.

      Die Antwort auf die Kritik war Missachtung. Von vielen