Allergien revolutionär. Magdalena Stampfer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Magdalena Stampfer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783966612531
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daher meist verschmäht. In den Augen der Industrie waren sie mit ihren Ernährungstipps nichts anderes als Quacksalber.

      Wer diesen Glaubenskampf im medizinischen Alltag gewonnen hat, wissen wir heute. Im Grunde hat sich nicht viel geändert. Doch das Interessanteste daran ist, dass es keine wissenschaftlichen Fakten und Beweise waren, die darüber entschieden haben, wie der Allergiebegriff heute verwendet wird. Den endgültigen Hieb verpassten den ganzheitlich denkenden Allergologen und Umweltmedizinern die Krankenversicherungen. Wer für die Behandlung von Allergien bezahlt, darf sie sozusagen auch definieren. Und somit auch festlegen, wer legitimer Allergologe und wer Quacksalber ist. Um ein zertifizierter Allergologe zu werden, musste man sich an die Regeln halten, sonst gab es kein Zertifikat und damit auch keine Zusammenarbeit mit den Versicherungen. Wie so vieles, schwappte auch dieser Trend nach Europa über [14].

      Der IgE-Wert wird zum Schwert

      Das Interesse der pharmazeutischen Unternehmen an Allergien hielt sich zumindest bis in die 1960er Jahre noch in Grenzen. Der Durchbruch wurde 1966 eingeleitet, als das japanische Forscherehepaar Ishizaka im Blut von Allergikern das Immunglobulin E (IgE) entdeckte. Der immunologische Hintergrund allergischer Reaktionen war ab sofort messbar. Auch die Schwere der Allergie sollte durch Bluttests bald nachweisbar sein, so jedenfalls die Hoffnung. Unabhängig von den Berichten der Patienten konnte man nun mithilfe des Labors belegen, ob der IgE-Wert erhöht war oder nicht. Nur bei einem positiven IgE-Test lag laut den konservativen Allergologen eine echte Allergie vor, alles andere war nur Einbildung der Betroffenen. Durch den IgE-Bluttest hatte man endlich ein Mittel gefunden, sich von anderen „nebulösen“ Unverträglichkeiten und den „Quacksalbern“ abzugrenzen. Diagnostisch und therapeutisch hatte sich für die Patienten nicht viel geändert. Doch die konservativen Allergologen hatten mit dem IgE ein Schwert in der Hand, mit dem sie noch vehementer gegen all jene Ärzte vorgehen konnten, welche die Bedeutung der Ernährung hervorhoben und sich mit chronischen Beschwerden und versteckten Allergien befassten.

      Die erhoffte Eindeutigkeit des IgE-Tests bekam in den nächsten Jahren allerdings einige Dämpfer. Wie sich herausstellte, war der Test nicht so sensibel wie der Hauttest, der wiederum nicht zuverlässig genug war, weil…oft zu sensibel, das heißt er brachte viele falsch positive Resultate. Für viele durch Provokationstests bestätigte Allergien lieferte der IgE-Test fälschlicherweise ein negatives Ergebnis. Nach und nach wurde auch evident, dass der IgE-Wert in der Bevölkerung generell variiert und eine objektive Beurteilung dadurch schwieriger wird. Genetische Faktoren, Umwelteinflüsse, Geschlecht und Alter haben ebenfalls Einfluss auf die Höhe des IgE-Werts, was eine allgemein gültige „allergisch oder nicht“ Klassifizierung erschwert. Studien hatten gezeigt, dass Rauchen, ebenso wie exzessiver Alkoholkonsum, zu erhöhten IgE-Werten führen kann. Dasselbe gilt auch für andere Erkrankungen wie Parasiteninfektionen, Zöliakie, Krebs und Lebererkrankungen. Auch bei depressiven Patienten wurde im Vergleich zu anderen Gruppen ein höherer IgE-Wert gemessen.

      Man hatte zwar ein neues Immunglobulin entdeckt, das im Labor gemessen werden konnte, doch die tägliche Arbeit mit allergischen Patienten wurde dadurch nicht erleichtert, da insbesondere chronische Beschwerden weiterhin schwer zu diagnostizieren waren. Und so klar wie anfangs angenommen wurde, war die Angelegenheit dann doch nicht. Mit der Zeit mehrten sich auch Berichte über starke allergische Reaktionen, denen kein erhöhter IgE-Wert zugrunde lag. Ein Widerspruch, der die Rückbesinnung auf die frühere, breitere Definition von Allergien einleiten hätte können. Damit wäre auch jenen Unverträglichkeiten, die auf Zusatzstoffe oder andere chemische Substanzen zurückzuführen waren, wieder Platz eingeräumt worden. Da man nicht zurückrudern wollte, wurde für diese Symptome kurzerhand eine neue Erkrankung definiert: food protein-induced enterocolitis syndrome (FPIES). Etwas später kam NIMFA dazu, Non-IgE-Mediated-Food-Allergy. So wurde lieber ein neues Syndrom kreiert, als zugegeben, dass Allergien doch ein komplizierteres und weitläufigeres Feld sind und nicht auf den Nachweis des IgE-Wertes und einiger, weniger Symptome beschränkt werden können. Der Definitionskampf war dafür bereits viel zu dogmatisch und verbohrt.

      Diese Linie hat sich fast nahtlos fortgesetzt, nur dass heute nach einem neuen Medikament oder einer Allergieimpfung geforscht wird. Egal ob Katzenhaare, Pollen oder Erdbeeren, die wichtige Rolle der Darmgesundheit, der Ernährung und eventueller toxischer und psychischer Belastungen wird von den schulmedizinisch orientierten Allergologen meist ignoriert.

      Die Erforschung der eigentlichen Ursachen schien und scheint die Geldgeber nicht besonders zu begeistern. Diese fehlende Neugier hat nichts damit zu tun, dass es nichts aufzudecken gäbe oder dass die heutige Allergieforschung bereits alle Fragen meisterhaft beantwortet hätte. Man müsste sich nur mit ein paar unangenehmen Themen beschäftigen. Die ganzheitliche Denkweise ist aber trotz des Widerstands und der fehlenden Anerkennung nicht verschwunden. Die breitere Definition der Allergie existiert weiterhin: Sie umfasst alle Reaktionen des Körpers auf Nahrungsbestandteile, chemische Substanzen oder Partikel in der Luft, die das gesunde Funktionieren unserer Zellen und der Abläufe im Körper stören.

      Den Beschwerden ist das egal

      Im Laufe der jahrzehntelangen Diskussionen, was nun als Allergie gelten darf, haben sich die Symptome kaum verändert. Die Beschwerden kümmert es ziemlich wenig, ob sie in ein Diagnoseschema passen oder nicht. Viele körperliche Störungen werden aber aufgrund der vorherrschenden Definition der Allergien oft nicht mit allergischen Reaktionen in Verbindung gebracht. Das erschwert vielen Betroffenen nicht nur die richtige Diagnosestellung, sondern hält sie auch von der richtigen Behandlung ab.

      Folgende Symptome können auf eine Allergie oder Unverträglichkeit zurückzuführen sein:

       Ekzeme, Hautausschlag, Juckreiz, Schuppenflechte, Akne

       Blähungen, Durchfall, Verstopfung, Bauchkrämpfe

       Reizblase

       Reizdarm-Syndrom

       Sodbrennen, Reflux

       Kopfschmerzen, Migräne

       Abgeschlagenheit, Müdigkeit

       Schlafprobleme (Schläfrigkeit, aber auch Schlaflosigkeit, unruhiger Schlaf)

       Rinnende oder verstopfte Nase

       Geschwollene Augen, Augenjucken, Augenringe

       Atembeschwerden

       Konzentrationsprobleme, Vergesslichkeit

       Muskel- bzw. Gelenksschmerzen

       Gewichtsprobleme (Schwierigkeiten abzunehmen, aber auch zuzunehmen)

       Angstzustände

       depressive Verstimmung

       Reizbarkeit, Unruhe

       Haarausfall

      Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, soll aber einen Eindruck vermitteln, wie vielschichtig sich Allergien oder Unverträglichkeiten auswirken können. Dr. Leo Galland prägte den Ausspruch, dass Allergien sich in Gestalt anderer Erkrankungen zeigen [15]: „Allergies mimic other diseases.“ Das liegt an einer systemischen Entzündung, die sich in vielen Bereichen erkennbar machen kann. Gerade bei chronischen Beschwerden, bei denen trotz vieler Behandlungsversuche keine Besserung eintreten will, könnte eine Allergie die Ursache sein. Durch die offizielle, einschränkende Sichtweise einer Allergie gerät dies aber oft aus dem Blick.

      Fallbeispiel: Unerkannte Allergie, langwieriges Leiden

      Alex, zwölf Jahre alt, für sein Alter recht groß gewachsen, kommt aufgrund einer längeren Leidensgeschichte zu mir. Seit Jahren hat er schwere Müdigkeitserscheinungen, er hat einfach keine Kraft aus dem Bett zu kommen. Ein regelmäßiger Schulbesuch ist ihm nicht möglich. Er wurde sogar auf der psychiatrischen Abteilung im Krankenhaus stationär aufgenommen und es wurde damals juvenile Depression diagnostiziert. Die Medikamente brachten aber keine Besserung und