Das Ehepaar wechselte einen langen Blick.
Dass Trautchen auch Eltern besass, vergass Lamprecht Overmans meistens, wenn er, was man ja genau wusste, nur des Kindes wegen den Fuss in die elegante Villa am Herdweg setzte, darin seine ihm so unsympathische Schwiegertochter die Herrin war.
Die Nurse, Hedwig Ritter, erschien sofort und Lamprecht Overmans sah zu, wie das Kind im Nebenzimmer von ihr in das hübsche weisse Bettchen gelegt wurde.
Er selbst zupfte noch die breiten rosa Schleifen zurecht, die den schneeweissen Betthimmel aus allerfeinstem Tüll in malerischen Falten zusammenhielten und freute sich, weil das Kind das Bilderbuch von ihm mit ins Bettchen genommen.
Die Nurse musste am Lager Platz nehmen, er aber beobachtete noch ein Weilchen das Einschlafen des Kindes und schlich sich dann auf den Zehenspitzen zurück in das Spielzimmer, wo die Gatten in flüsternder Unterhaltung beisammenstanden.
Er brachte noch ein kleines Lächeln vom Bettchen des Kindes mit.
Er bückte sich neben Karola, hob ein kleines Spitzentaschentuch auf, das sich dabei ein wenig öffnete und einen kleinen Blutfleck enthüllte.
Die starken Brauen Lamprecht Overmans’ zogen sich dicht zusammen wie eine drohende Gewitterwand.
„Was bedeutet das?“ fragte er leise, aber splitternd kalt und scharf. „Trautchen hat vorhin gehustet, du gingst zu ihr. Sage die Wahrheit, hustet das Kind vielleicht Blut? Bisher hat mir noch niemand etwas davon gesagt. Ich glaube fast, ihr beide belügt mich in Dingen, die das Kind angehen und Doktor Frank, der meine Leidenschaft für das Kind kennt, will mich schonen. Also, ich fordere Wahrheit!“
Hart, fast drohend war der Ausdruck seines Gesichts.
Karola hob die linke Hand und blickte auf die Stelle, wo sie sich vorhin verletzt hatte.
Man sah noch deutlich die Spuren.
Sie hielt Lamprecht Overmans die Hand entgegen.
„Ich riss mich vorhin an einem Nagel, drückte das Tuch vor dem Abwaschen des Blutes zufällig dagegen.“
Er atmete sichtlich erleichtert auf.
„Also gut!“ sagte er und gab ihr das Tuch. „Aber ich rate dir, dergleichen nicht zu verlieren, es ist ekelhaft und widerwärtig für den Finder.“
Seinem Sohn schlug die Röte der Empörung ins Gesicht wie eine Flamme.
„Vater, deine Abneigung gegen Karola nimmt allmählich geradezu groteske Formen an. Bei jeder Gelegenheit kanzelst du sie ab wie ein böswilliges Schulkind.“
Lamprecht Overmans hob den Kopf, musterte den Sprecher von oben bis unten.
„Stellst du mich vielleicht zur Rede, Günter? Es klingt eigentlich so! Ich bin das aber nicht gewöhnt und dulde es nicht, merke dir das, bitte, ein für allemal.“
„Vater, du gehst zu weit!“ brauste der Jüngere auf.
Die starken Brauen Lamprecht Overmans’ nahmen schon wieder die Form einer drohenden Gewitterwand an, als er zurückgab: „Ich glaube, mein Lieber, wenn sich einer von uns beiden vergisst und zu weit geht, dann bist du es! Wenn du aber vielleicht meinst, mir etwas Besonderes sagen zu müssen, dann stehe ich dir gern zur Verfügung. Aber nicht hier. Das Kind schläft nebenan und die Nurse wacht bei ihm. Das Kind könnte im Schlafe gestört werden, auch verspüre ich keine Lust, die Aufmerksamkeit der Nurse zu erregen.“
Karola machte ihrem Manne heimlich Zeichen, einzulenken.
Und wie so oft schon vorher, sich dabei voll und ganz der eigenen Schwäche bewusst, lenkte er ein.
Lamprecht Overmans lachte kurz auf.
„Wir wollen Günters Zimmer aufsuchen,“ schlug er vor, „und uns dort besprechen, denn die Reise mit dem Kinde soll so rasch wie möglich vor sich gehen. Dr. Frank wird auch mitreisen. Er beabsichtigt sowieso, sich ein paar Ferienwochen zu leisten, und da lässt es sich mit seiner Begleitung ganz gut arrangieren. Wenn ich abkommen könnte, würde ich natürlich ebenfalls mitreisen, aber —“
Er brach ab, weil er es nicht für nötig hielt, zu erklären, weshalb er nicht abkommen kannte.
Karola musste den Atem einhalten, um keinen Laut von sich zu geben, denn wie eine erdrückende Last hatte sich bei den ersten Worten des Schwiegervaters die Angst auf sie herabgesenkt, er könne sie begleiten wollen.
Dr. Frank dagegen war ihr angenehm und sympathisch.
Man ging in Günters Zimmer, das mit seinen gediegenen Eichenmöbeln, ein paar ansprechenden modernen Gemälden und hübschen matten Teppichen voll Behaglichkeit war.
Eine reich geschliffene Kristallschale, gefüllt mit Frührosen in brennendem Rot, hob sich scharf von dem sanftdunklen Lila der Tischdecke ab. Aber so sehr sich die Farben zu verneinen schienen, so malerisch wirkten sie doch in dieser Zusammenstellung.
Es war Karolas Freude, diesen kleinen Winkel immer wieder neu und anders für den geliebten Mann zu schmücken.
Lamprecht Overmans liess sich auf das Sofa fallen, seine Augen streiften spöttisch die Schale mit den Rosen.
„Bitte, Karola, tue das Blumenzeug weg und die scheusslich gefärbte Decke, stelle einen Aschenbecher her, ich möchte rauchen!“
Karola gehorchte sofort.
Günter stellte den gewünschten Aschenbecher vor den Vater hin, daneben eine geöffnete Zigarrenkiste und reichte ihm Feuer.
„Nun komm endlich her!“ winkte er Karola, die noch abseits stand, und sie setzte sich neben Günter, damit sie ihn, wenn nötig, heimlich anstossen konnte, falls bei ihm wieder Rebellionsgelüste ausbrechen sollten, wozu er sichtlich neigte.
Lamprecht Overmans erklärte nochmals: „Also Dr. Frank wird, da er Trautchen bisher behandelt hat, nach St. Blasien mitreisen. Damit es aber kein Geklatsch geben kann, da Dr. Frank noch jung und unverheiratet ist, musst auch du mitreisen, Günter. Ich kann dich gerade jetzt ganz gut entbehren.“
Karola fühlte, wie ihr Gesicht vor Freude erglühte.
Dass Günter sie und das Kind begleiten würde, das hatte sie nicht im entferntesten zu hoffen gewagt.
Auch in ihren Augen spiegelte sich ihre Freude wider und Freude bringt leicht Hoffen mit.
Sie versicherte: „Glaube nur, Vater, wir drei, Günter, Doktor Frank und ich werden alles tun, was in unseren Kräften steht, damit Trautchen frisch und gesund zurückkommt!“
Die scharfen grauen Augen hängten sich fest an den weichen, jetzt rosig überhauchten Wangen der jungen Frau.
„Wir wollen alle hoffen, dass die Kleine frisch und gesund zurückkommt. Wehe euch, wenn es anders wäre! Würde dem Kinde etwas geschehen, dann braucht ihr euch überhaupt nicht mehr vor mir sehen lassen.“ Seine Abneigung gegen Karola brach wieder durch, als er ihr missachtend und anzüglich hinwarf: „Wenn ein Weibsbild knapp hundert Pfund wiegt, sollte es ihm polizeilich verboten sein, zu heiraten und Mutter zu werden.“
Günters Auflehnungsgelüste strudelten hoch wie das Wasser eines stillen Sees, in dem man Steine hineinwirft.
Karola haschte heimlich auf dem Sofasitz nach seiner Hand und ein fester, inniger Druck ihrer kleinen Finger glättete den Aufruhr in ihm.
2. Kapitel.
In den nächsten Tagen erschien Lamprecht Overmans oft in der eleganten Villa am Herdweg, dieser überaus vornehmen Villenstrasse Stuttgarts, die sich hoch über der Stadt aufbaut.
Das einem kleinen Schloss gleichende Haus hatte er seinem Sohn nach der Hochzeit zur Verfügung gestellt, weil er nicht das Schauspiel geben mochte, dass der Einzige des reichen Overmans in einer Vierzimmerwohnung hausen musste.
Das Kind befand sich in den letzten Tagen vor der Abreise in auffallend gutem Zustand. Es war munterer