Die Namenlose - Schicksal eines vertauschten Kindes Bd.1. Anny von Panhuys. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anny von Panhuys
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711570524
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Frank scherzte, die Kur wirke bereits voraus.

      Auch er freute sich auf die Reise und den Aufenthalt im Schwarzwald. Seine knappen Finanzen hätten ihm dergleichen nicht erlaubt.

      Seit kurzem hatte er sich selbständig gemacht. Aber er besass noch keine nennenswerte Patientenzahl und die Protektion Lamprecht Overmans schien ihm ungemein wichtig für seine Karriere.

      Am Tage vor der Abreise kam Lamprecht Overmans schon am frühen Morgen in die schöne Villa am Herdweg.

      „Die Stunden bis zum Abend gehören meinem kleinen Liebling,“ erklärte er und sass dann auch wirklich mehrere Stunden lang im Kinderzimmer mit Trautchen und der Nurse beisammen.

      Die Nurse sollte ebenfalls mitreisen und er prägte ihr immer von neuem ein, auf das Kind in jeder Beziehung achtzugeben, als sei es ihr Augapfel.

      „Kommt die Kleine gekräftigt und hustenfrei zurück, werde ich mich Ihnen erkenntlich zeigen,“ erklärte er.

      Die Nurse, die nach englischem Rezept in eine Art braune Schwesterntracht gekleidet war und die aus England Importierte spielte, stammte aus Berlin, und hatte längst erfasst, dass es in diesem Hause am vorteilhaftesten war, den Befehlen des alten Overmans zu folgen.

      Sie gab sich längst keinem Zweifel mehr darüber hin, wie wenig Lamprecht Overmans die junge Frau beachtete, und ihre unfeine Natur, statt sich wenigstens innerlich auf die Seite der unterdrückten und missachtend behandelten Karola zu stellen, gab sich redlich Mühe, sich dem Familientyrannen dienstwillig und ergeben zu zeigen.

      Karola trat, von ein paar raschen Abschiedsbesuchen heimkehrend, in das Kinderzimmer.

      Trautchen lief ihr entgegen.

      „Mutti, Opapa hat mir was sehr Schönes geschenkt!“

      Karola kniete vor dem Kind nieder und bewunderte das Medaillon, das in Form eines vierblättrigen Kleeblattes an der Kette hing. Es war aus mattem Gold und Platin, mit winzigen Smaragden und Brillantchen übersät.

      Sie lächelte staunend.

      „Der Grosspapa ist aber nobel. Du darfst es natürlich nur Sonntags tragen, Trautchen, und musst es sehr schonen, damit du es niemals verlierst.“

      Die Nurse erwiderte betont: „Herr Overmans aber wünscht gerade, Trautchen solle das Medaillon täglich tragen und es gar nicht ablegen. Herr Overmans informierte mich bereits über seine besonderen Wünsche.“

      Es klang ungefähr so, als wollte sie ihr klarmachen, wieviel mehr die Nurse bei Lamprecht Overmans galt als die Schwiegertochter.

      Karola mochte die immer so scheinheilig tuende Hedwig Ritter überhaupt nicht besonders leiden, aber Lamprecht Overmans hatte die Nurse seinerzeit einfach engagiert, ohne die Mutter um ihre Meinung zu befragen.

      Trotzdem sie sich über das Benehmen der ein wenig mollig geratenen Nurse ärgerte, sagte sie freundlich: „Also, wenn es dein Grossvater wünscht, wirst du das entzückende Glitzerchen stets tragen, mein Trautchen, bei Tag und Nacht, und es nur beim Baden und Waschen ablegen.“

      Sie drehte das Medaillon herum und las auf der Rückseite: Auf frohes Wiedersehn!

      In diesem Augenblick empfand sie ein Gefühl von Rührung. Der alternde Mann, dessen Schläfenhaar schon silbergrau glänzte, hing doch geradezu fanatisch an dem Kinde. Und deshalb durfte sie ihm wohl überhaupt nicht ernstlich zürnen, trotz seiner oft so bösen Ausfälle gegen sie.

      Das ziemlich energisch geformte, aber sehr bleiche Gesichtchen der Kleinen ward wichtig.

      „In das goldne Ding ist ein Bild von Opapa, ich gebe ihm, wenn wir erst weit weg sind, morgens und abends Küsschen!“ erklärte sie.

      Karola öffnete das Medaillon.

      Richtig, Lamprecht Overmans’ hartes, etwas plumpes Gesicht schaute ihr, auf Elfenbein gemalt, aus der Kapsel entgegen und der scharf geschnittene, von keinem Bart in seiner Herbheit gemilderte Mund lächelte sein bestes Lächeln.

      Er sagte jetzt: „Die Kleine soll durch das Bildchen stets an mich erinnert werden. Auch wünsche ich sonst, dass man dadurch, dass man viel und gut von mir zu Trautchen spricht, mein Gedächtnis in dem kleinen Köpfchen frisch erhält.“

      Die Nurse berührte das Kind an der Schulter.

      „Sage dem lieben Opapa, wie gut du ihm bist. Er hört das sehr gern, denn morgen bist du um diese Zeit schon weit von hier fort.“

      Trautchen wandte sich von der Mutter ab, ging zu dem Manne, der es verwöhnte, wie er nur irgend konnte, und liess sich von ihm auf den Schoss nehmen.

      „Opapa, ich habe dich lieb, und wenn ich wiederkomme, huste ich gar nicht mehr, und wenn du willst, heirate ich dich!“

      Er lachte hell auf, küsste die Kleine und versenkte seinen Blick in die klaren Augen, die wie kleine dunkelgraue Seen aus dem dichten schwarzen Wimperngehänge schauten.

      Overmansaugen waren es, echte graue Overmansaugen, auch das gerade Näschen war Overmanserbteil und das tiefbraune, fast schwarze Haar.

      Nur die überzarte Gesundheit des Kindes stammte von der Mutter, von dieser schmalen körperlichen Armseligkeit, die keine Schwiegertochter nach seinem Wunsche war.

      Noch fester drückte er das Kind an sich.

      „Komm nur recht, recht gesund wieder, mein Kleines, Opapa möchte ein ganz kräftiges gesundes Trautchen, keine solche Spinnwebe wie dein Mutti, die schon wegfliegt, wenn man fest pustet!“

      Die Kleine lachte und Karola zwinkerte energisch die Tränen weg, die sich durch ihre Wimpern drängen wollten.

      Ein scharfer Blick traf sie.

      „Sind Frau Prinzessin vielleicht beleidigt? Dann bitte ich natürlich untertänig um Verzeihung. Aber in Wahrheit will ich das tun und dich achten und ehren, wenn mein Liebling sich erholt und gesund wieder heimkehrt. Dann sollst du mit Lamprecht Overmans, dem unangenehmen Schwiegervater, zufrieden sein. Vor allem gehört dann Günter und dir dieses Haus endgültig und geschäftlich erhält Günter die Prokura, auf die er sich schon lange spitzt. Im übrigen machen wir beide dann Burgfrieden für alle Zeit!“

      Er erhob sich langsam mit dem Kinde auf dem Arm.

      „Du weisst nun ein für allemal, Karola, woran du mit mir bist.“

      Sie wollte etwas erwidern, aber sie fühlte sich ausserstande dazu.

      Ein eiskalter Schauer glitt über ihren Körper hin.

      Sie fürchtete sich plötzlich so sehr vor der Reise und vor all der Verantwortung, die dieser harte Mann auf ihre Schultern lud, allein auf ihre armen, schmalen Schultern, die nur deshalb leidlich standhielten, weil Günters Liebe sie immer von neuem stärkte, diese Liebe, die ein so grosses und wundersames Glück für sie bedeutete.

      3. Kapitel.

      Schon drei Wochen lebte Günter Overmans mit seiner Frau und dem Kinde in St. Blasien, aber der Gesundheitszustand der Kleinen hatte sich noch nicht im geringsten gebessert, sondern sich eher noch verschlechtert.

      Das junge Paar bewohnte mit Trautchen und der Nurse die vier vermietbaren Zimmer einer kleinen Villa, in der man durch keine anderen Sommergäste gestört wurde, während Dr. Just Frank in der „Krone“ logierte.

      Günter Overmans war mit dem Arzt im Auto nach St. Blasien gekommen, damit er seinen Wagen für etwaige Spazierfahrten benutzen konnte.

      In ganz kurzen Zwischenräumen gingen kurze Berichte Dr. Franks über Trautchens Befinden an Lamprecht Overmans nach Stuttgart ab.

      Diese Berichte waren günstig gefärbt, kein Wort wagte der Arzt davon zu erwähnen, wie ernstlich besorgt er um das Kind war.

      Eigentlich hätte Dr. Frank längst einen der hiesigen Aerzte zuziehen müssen. Aber er hielt es nicht für nötig, er hatte sein Urteil über Trautchen längst fertig, sie war nach seiner Meinung unrettbar verloren.