Das Leben ist ein Fußballspiel. Bjorn B. Schmidt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bjorn B. Schmidt
Издательство: Bookwire
Серия: Werkstatt Fanbuch
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783895336614
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Braunschweig gegen Aachen lösen zu können, in die ich zufällig reingezappt habe. Ich könnte kotzen, wenn ich sehe, dass auf eben diesem Privatsender zwei Tage vor der WM-Gruppenauslosung eine Probe-WM-Gruppenauslosung durchgeführt wird, über die dann im Nachhinein ernsthaft (!) diskutiert wird – nach dem Motto „so könnte es laufen“. Immer wieder Mikrofone vor hochgejubelten Millionären, deren improvisierte Pressekonferenzen (etwa zum Thema „Wechsel zu Real Madrid oder Verbleib bei Bayern München“) vollkommen aussagefrei und es trotzdem wert sind, einer anderthalbstündigen Talkrunde den Startschuss zu geben. Natürlich ist DSF ein Paradies für Fußballjunkies. Wo sonst könnte man Sendungen sehen, die zum Beispiel die Saison 1993/94 aus Sicht des 1. FC Kaiserslautern zum Thema haben? Aber DSF hat den Fußball zerstört, genau wie es die SAT.1- Fußballshow Ran getan hat. Allein schon die Art, in der die zusammengeschnittenen Spielberichte kommentiert werden. Wo es früher emotionslos hieß: „Pirrung über links“ – Pause – „gibt hinein zu Sandberg“ – Pause – „und der schiebt ein zum 1:0“, heißt es heute in sich selbst feierndem Singsang: „Marcelinho, Marcelinho, Mar – ce – linhooooo“ – „und“ – Pause – „hinein“ – Pause – „ins“ – Pause – „Vergnügeeeeen!!!“ (Und einmal in Zeitlupe, und zweimal in Zeitlupe und dreimal und viermal und fünfmal in Zeitlupe aus Zuschauer-, Stürmer-, Trainer-, Torwart- und anderer Torwartsicht, und immer wieder den jubelnden Schützen, wie er Flickflack schlagend Richtung Eckfahne wirbelt, sich den Zuschauern den Rücken kehrend mit den Daumen auf die Trikotnummer deutet und schließlich mit zwei Kollegen eine brillante Tanzchoreographie darbietet.) Was daran schlechter ist? Jedes Wort, das man über Fußball zu viel verliert, ist schlecht (definitionsgemäß auch dieses Buch). Auf die Spitze getrieben hat es Ran mit seiner Flut an irrelevanten Statistiknews, wie: „Siebenmal hat er es in dieser Saison mit dem linken Fuß aus einer Distanz von mehr als 16 Metern versucht, erst einmal hat er getroffen – sein erstes Feldtor seit dem 17. März 1998, damals noch im Trikot von 1860 München und, Duplizität der Ereignisse, ebenfalls in Hamburg. Mit 72,4 Prozent gewonnenen Zweikämpfen wäre er aber auch ohne sein Tor mehr als wichtig für die Mannschaft.“ Ich habe übrigens nicht kontrolliert, ob 1860 München am 17. März 1998 tatsächlich in Hamburg gespielt hat, und ich gebe zu, dass mir das Jonglieren mit vermutlich unwahren Beispielfakten Bauchschmerzen bereitet.

      Fußballfans finden es in der Regel schmeichelhaft, wenn in irgendwelchen Zusammenhängen der Name ihres Lieblingsvereines genannt wird. Wir horchen auf, wenn der Kommentator eines Länderspiels sagt: „Und herein kommt Vratislav Lokvenc vom 1. FC Kaiserslautern.“ Wir mögen es, wenn es anderswo heißt: „Und nächste Woche folgt dann das schwere Auswärtsspiel auf dem Betzenberg.“ Wenn ich ein kleines intimes Geheimnis verraten darf, so gefällt es mir sogar, den Ortsnamen „Kaiserslautern“ auf irgendwelchen Straßenschildern zu lesen. (Zuweilen brechen in solchen Situationen, insbesondere wenn ich alleine im Auto unterwegs bin, diffuse Gesangsfetzen aus mir hervor. Aber eigentlich passiert das auch, wenn ich den Ortsnamen gerade nicht lese.)

      Früher, als alles noch besser war, wusste man die Erwähnungen des eigenen Vereinsnamens noch mehr zu schätzen, denn abgesehen von den Straßenschildern tauchten Ausdrücke wie „Kaiserslautern“ oder „1. FCK“ nur in einem relativ eng abgesteckten Rahmen auf. In Ekstase versetzte mich „Wetten, dass …“ mit Frank Elstner, das Anfang der achtziger Jahre einmal aus Kaiserslautern übertragen wurde. Eine der vorgeschlagenen Saalwetten lautete originellerweise „Wetten, dass Sie es nicht schaffen, heute Abend die Fußballprofis des 1. FC Kaiserslautern auf die Bühne zu bringen?“. Es versteht sich von selbst, dass die Affenliebe der Pfälzer zu ihrem Verein den wirklich guten Alternativ-Wettvorschlägen keine Chance ließ. Am Ende standen die Spieler dann relativ gelangweilt auf der Bühne und ließen sich für den nachmittäglichen Bundesliga-Sieg gegen den Karlsruher SC beklatschen. Ich erinnere mich, dass der Satz: „Bei Briegel ist die Kuh gestriegelt“, johlenden Applaus bewirkte und die Bodenständigkeit unseres Nationalspielers auf Sympathie weckende Weise hervorhob.

      Neben der sportlichen Schmach eines möglichen Abstiegs aus der Königsklasse ist es gewiss auch der kontinuierliche Rückgang an öffentlichem Interesse der in einem Fan das Gefühl verstärkt, seinen Verein und damit einen Teil seiner Seele verloren zu haben. Welcher überregional agierende Journalist macht zum Beispiel heute noch die wenigen Hansel, die es mit dem KFC Uerdingen halten (früher: Bayer 05), froh, indem er an das legendäre 7:3 im UEFA-Cup gegen Dynamo Dresden erinnert? Ganz zu schweigen von Namen wie Peter Loontiens oder Ludger van de Loo, deren Erwähnung heute bestenfalls noch auf einer Retroparty alter Sportschau-Fetischisten für Erheiterung sorgen könnte. Wenn der Verein stirbt, stirbt zuletzt auch die Erinnerung. Fortuna Düsseldorf, Europacup-Finalist 1979, kann mit den Toten Hosen gemeinsam ein Lied davon singen.

      1988/89 war meine letzte Saison als aktiver Fußballer. Zwar war es für ein Karriereende mit 15 Jahren ein bisschen früh, doch ich hatte erkannt, dass das Wesen des aktiven Fußballspielers nicht meinem eigenen Wesen entsprach. Der Fußball in der Bezirksklassen-Jugendmannschaft wurde meines Erachtens von den örtlichen Verantwortungsträgern für zu ernst befunden. Ganz im Gegensatz zum Fußball im Fritz-Walter-Stadion, den man, auch mit der größtmöglichen Objektivität betrachtet, gar nicht ernst genug nehmen konnte. (Denjenigen, der den Spruch „Fußball ist die schönste Nebensache der Welt“ in selbige gesetzt hat, möchte ich gerne einmal kennenlernen …)

      Symptomatisch, dass ich die Ergebnisse meiner eigenen Mannschaft aus jener Zeit nicht mehr weiß, die des FCK aber schon. Einzig den 5:3-Pokalsieg gegen eine höherklasssige Mannschaft habe ich in Erinnerung, zumal wir den zwischenzeitlichen 0:3-Rückstand erst in der letzten Minute der regulären Spielzeit durch einen Foulelfmeter egalisierten. (Mit Sicherheit weiß keiner außer mir noch, dass ich es war, der die den Elfmeter vorbereitende Flanke in den gegnerischen Strafraum geschlagen hatte. Ohnehin scheint es meiner Art zu entsprechen, Vorlagen zu geben, Menschen auf Ideen zu bringen, von denen hinterher keiner mehr wissen will, dass ich sie als Erstes gehabt hatte. Ein tragisches Schicksal, dem jemand – sofern er bescheiden ist – langfristig nur entgehen kann, indem er seine eigene Tollheit in nobelpreisverdächtigen Werken verewigt, damit die anderen, die den größten Teil des Tages mit sich selbst beschäftigt sind, zumindest für einen kurzen Moment neidvoll auf sein tapfer flackerndes Lichtlein hinüberblicken.)

      In der Saison 1988/89 spielten wir in der Regel samstags, weswegen an Betzenberg-Besuche zumindest in der Hinrunde nicht zu denken war. Stattdessen lernte ich, mit anderen Jungs unter der Dusche zu stehen und nach guten Spielen ein vom Trainer gesponsertes Bier zu trinken – es ging schließlich nicht nur darum, gegen den Ball zu treten, sondern auch Mann zu werden. Im Grunde Zeitverschwendung, denn die Fahrten ins Fritz-Walter-Stadion hätten sich in diesem Halbjahr meistens gelohnt. Es war eine klassische FCK-Saison, in der das Gros der Heimspiele, im Gegensatz zum Gros der Auswärtsspiele, erfolgreich verlief: 6:0 gegen die Stuttgarter Kickers, 3:0 gegen Eintracht Frankfurt, 6:1 gegen den VfB Stuttgart. (Von letztgenanntem Spiel hängt in einer mir bekannten Kneipe noch die Schlagzeile einer mir ebenfalls bekannten Boulevardzeitung an der Decke: „Drei Tore – Kohr Weltklasse!“).

      Im Spätwinter nahm ich dann eine Verletzung zum Anlass, mich still und heimlich aus dem Vereinsfußball zu verabschieden. Mein Vater nannte mein Verhalten damals „unsportlich“, denn ich ließ mich an der Haustür verleugnen, um im Wohnzimmer auf der Couch liegend in Ruhe Radio hören zu können. Irgendwann gab ich mir dann einen Ruck, ging zu unserem Jugendwart und sagte ihm, dass ich nach wie vor gerne Fußball spielen, aber dass es mir im Verein keinen Spaß mehr machen würde. Ich bin mir sicher, er verachtete mich für dieses memmenhafte Gefasel. Doch ich war frei. Frei vom Vereinsfußball. Frei für den 1. FC Kaiserslautern.

      VI.

      Gerry Ehrmann – ein Freund verfällt dem Teufel

      Mein drittes Heimspiel soll erwähnt werden, weil es schlecht war. Bereits zwei Monate vor dem Rückrundenstart am 18. Februar 1989 teilte mir mein zwei Jahre jüngerer Nachbar Kim Wagner-Gimmel mit, dass sein Onkel beabsichtigen würde, zum Auftaktmatch gegen Borussia Mönchengladbach zu fahren. Für pubertierende Jungen ohne Führerschein war es durchaus relevant, von mobilen und gleichzeitig vertrauenswürdigen Menschen zu erfahren, die den Betzenberg ansteuerten. Wenn die Fahrt