»Du wirst dich wundern«, sagte er geheimnisvoll.
Und so war es auch.
KAPITEL 3
Der Narr
Julie sah durch das Schaufenster des Itchy Witchy hinaus auf die Straße und beobachtete die Touristen. Im Coffeeshop gegenüber war die Hölle los, und auch im Laden mit den handgemachten Kosmetikartikeln drängten sich die Kunden. In den elf Monaten, die seit dem Tod ihrer Tante vergangen waren, hatte sie ein Gefühl dafür entwickelt, welche Leute ihr Geschäft betreten, wer etwas kaufen oder sich nur neugierig umsehen würde.
Das Paar, das gerade die letzten Strahlen der Nachmittagssonne bei einem Latte macchiato genoss, war ein Kandidat für guten Umsatz. Die Turteltauben kamen mit Sicherheit aus New York und verbrachten ein langes Wochenende in Maine. Ihre Kleidung war leger, aber teuer, der typische Freizeitchic wohlhabender Städter. Die Art, wie die Frau ihr honigblondes Haar zurückstrich und ihren Begleiter dabei ansah, verriet ihre Verliebtheit. Bereits auf dem Weg zum Coffeeshop hatte sie einen begehrlichen Blick auf die Voodoopüppchen geworfen, die im Moment die Hauptattraktion des Itchy Witchy waren. Der Mann hatte sie weitergezogen und sie hatte nachgegeben – vorerst, wie Julie vermutete. Er wirkte verliebt genug, um ihrer Laune nachzugeben und ihr eines dieser – aus seiner Sicht – seltsamen, sicherlich überteuerten Püppchen zu kaufen, die ihn aus dem Fenster heraus so auffordernd angegrinst hatten.
Julie lächelte. Eigentlich war das knappe letzte Jahr, das sie in Yarnville verbracht hatte, gar nicht so schlecht gewesen. Sie verdiente zum ersten Mal genug Geld, um nicht nur davon zu leben, sondern auch etwas für später oder für Notfälle zur Seite zu legen. Sogar ihr Wagen war in den Genuss dringend benötigter Reparaturen gekommen, nicht zuletzt dank der sehr zuvorkommenden Preisgestaltung von Pete’s Automobile Service. Julie hatte sich auch daran gewöhnt, den Namen »Itchy Witchy« laut auszusprechen, ohne dabei zu erröten.
Dennoch gab es ein Problem: Für sie war es immer noch der Laden ihrer Tante, aber niemals ihr eigener. Laurie war eine ausnehmend kluge Geschäftsfrau gewesen, die alles im Angebot gehabt hatte, was das Touristenherz begehrte. Selbst abseits vom berühmt-berüchtigten Salem und seinen Hexenprozessen ließ sich mit dem »okkulten Kram«, wie Julie ihre Ware nannte, Geld verdienen. Und das nicht zu knapp. Sie hatte das ursprüngliche Sortiment aus esoterischen Büchern, Tarotkarten und Kräutern um Räucherstäbchen und andere Dinge erweitert, die sich zunehmender Beliebtheit erfreuten. Die Reisenden aus aller Welt, die vom Frühjahr bis zum Herbst die Küsten Maines unsicher machten, schienen auf alles zu fliegen, was auf unbestimmte Weise unvollkommen aussah. Shabby Chic, der Einrichtungstrend der letzten Jahre, hatte auch vor der Magie nicht haltgemacht – oder, um genau zu sein, vor dem, was die Menschen für Magie hielten.
Doch es waren nicht nur die Touristen – Einwohner von Yarnville und Leute aus der Umgebung kamen ebenfalls in den Laden. Manchmal fragte sich Julie, was es wohl war, das sie dazu brachte, an Hexerei zu glauben. Sie musste an Alastair und seinen Hexenzirkel denken. Der gediegene Mann stand einem Kreis von Männern und Frauen vor, die sich einmal im Monat im Hinterzimmer des Itchy Witchy trafen, um ihre Zauber zu weben. Julie war allerdings der Ansicht, dass sie weniger Magie wirkten, als vielmehr jede Menge Tee und Kekse konsumierten, während sie sich über den neuesten Klatsch und Tratsch aus Yarnville austauschten. Streng genommen webten sie tatsächlich, aber das Netz, das unter ihren flinken Zungen entstand, war eines aus Gerüchten, nicht aus Zauberei.
Als »Letzte der Mireau-Hexen« wurde Julie regelmäßig eingeladen, dem Zirkel beizutreten, doch sie lehnte jedes Mal ab. Mit freundlichen, aber bestimmten Worten erinnerte sie die anderen daran, dass sie Psychologie studiert hatte und dass die einzige Macht, an die sie glaubte, die Kraft der Suggestion war.
Als das Mobile an der Tür mit seinen metallenen Knochen und den messingfarbenen Glöckchen das Eintreten neuer Kunden verkündete, war Julie nicht sonderlich erstaunt, die Honigblonde und ihren Freund zu sehen. Sie hielten einander an den Händen und wirkten wie Kinder, denen man gerade verkündet hatte, dass der Weihnachtsmann ab sofort täglich käme.
Julie begrüßte sie höflich. »Wenn Sie Hilfe brauchen, melden Sie sich einfach!«
Dann zog sie sich hinter die Theke zurück und griff nach dem Buch, das sie erst am Vortag begonnen hatte. Es war das, was ihre Tante immer als »Nackenbeißer« bezeichnet hatte: Auf dem Cover umfing ein dunkelhaariger Mann mit offenem Hemd eine üppige Blondine von hinten und beugte sich herab, um jeden Augenblick einen leidenschaftlichen Kuss auf ihren geneigten Hals zu pressen. Mit einem selbstironischen Lächeln widmete Julie sich der prickelnden Begegnung zwischen dem reichen englischen Adeligen und der Südstaatenschönheit, die es im New Orleans des 19. Jahrhunderts immerzu beinahe miteinander taten.
Sie seufzte. Selbst das Liebesleben der durch Konventionen eingeschränkten Romanfiguren war deutlich interessanter als ihr eigenes. Nicht dass sie David vermisste. Wenn sie an ihn dachte, dann höchstens in einer Art leiser Verwunderung darüber, wie sie es so lange mit diesem Erbsenzähler ausgehalten hatte.
Vom Tuscheln und verhaltenen Kichern der beiden Verliebten im Laden abgelenkt, legte Julie die Schnulze schließlich wieder in die Schublade und nahm stattdessen eines der Voodoopüppchen zur Hand, die in einem Weidenkörbchen neben der Kasse auf ihren Einsatz warteten. Die Puppen schienen sie boshaft anzusehen, ihre Perlenaugen glitzerten gehässig. Aber sie waren nicht allzu teuer, weshalb sie gern als Andenken mitgenommen wurden, das musste selbst Julie zugeben.
»Oh, sind die süß!«, quietschte die Honigblonde, während sie ihre Beute auf die Theke legte. Sie zögerte kurz, bevor sie, ermutigt durch Julies Lächeln, in das Körbchen griff und eine der Puppen herausnahm. »Welche hilft denn, wenn man einen Liebeszauber aussprechen möchte?«
»Jemand wie Sie braucht doch keine Magie, um die Liebe eines Mannes zu gewinnen«, entgegnete Julie ohne nachzudenken.
Die Frau runzelte die Stirn.
»Es tut mir leid«, sagte Julie schnell, »ich wollte Ihnen nicht zu nahetreten. Aber Sie beide machen einen so verliebten und glücklichen Eindruck, da ist ein Liebeszauber doch sicherlich das Letzte, was Sie benötigen.«
Nun lächelte die Frau. Uff, das war gerade noch mal gut gegangen!
Der Mann sah Julie überrascht an. »Das nenne ich eine Seltenheit«, sagte er und nahm sich ebenfalls eine der Puppen. Im Gegensatz zu seiner Freundin, die zielsicher nach dem buntesten Exemplar gegriffen hatte, wählte er die einzige schwarze. »Eine Ladenbesitzerin, die nicht unter allen Umständen ihre Ware verkaufen möchte. Das lässt nur einen Schluss zu: Sie glauben wirklich an den Mist.«
Julie biss die Zähne zusammen. »Ich sehe mich als tolerante Rationalistin«, erwiderte sie schließlich und fragte sich, warum sie so wütend wurde.
Normalerweise machte sie kein Hehl aus ihrer Ungläubigkeit, auch wenn sie nicht gerade damit hausieren ging. Es war einfach so, dass sie sich selbst als Herrin ihres Schicksals sah und wenig davon hielt, diesem mit zweifelhaften Hilfsmitteln auf die Sprünge zu helfen. Noch zu deutlich war die Erinnerung an Tante Laurie, die bis zuletzt daran geglaubt hatte, dem nahenden Krebstod mithilfe von magischem Handwerkszeug von der Schippe springen zu können. Davon hatten die zahlreichen Amulette Zeugnis abgelegt, die Julie nach der Beerdigung überall im Haus entdeckt hatte.
Wenn hier im Laden jemand zweifelte, dann war sie es. Außerdem ging ihr die Herablassung, mit der der Mann die kleine schwarze Voodoopuppe zurück in das Körbchen legte, gegen den Strich. Bevor sie sich zurückhalten konnte, griff sie nach einem sonnengelben Püppchen und reichte es der Frau.
»Das ist ein Geschenk des Hauses«, sagte sie so ruhig, wie es ihr möglich war. »Es wird Ihnen helfen, Ihren sehnlichsten Wunsch zu erfüllen.«
Die Augen des Mannes verengten sich und Julie sah den Puls an seiner Schläfe pochen. Sie ignorierte ihn und wandte sich wieder der Frau zu, die sie mit weit