Die Fälle der Shifter Cops. Natalie Winter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Natalie Winter
Издательство: Bookwire
Серия: Ein Fall der Shifter Cops
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783948483685
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sie die Standheizung ein. Dankbar hielt sie ihre eisigen Finger vor die Lüftung und gönnte sich ein wenig warme Luft. Dann rief sie Alastair an. Während sie ihm ihren Standort durchgab, verspürte sie den Impuls, ihn zu fragen, warum er ihr Telefon nicht einfach hatte orten lassen. Sie biss sich auf die Lippen. Er versicherte ihr, dass sie in Kürze unbehelligt weiterfahren könne, und legte erneut ohne Abschiedsgruß auf.

      Julie wrang ihr Haar über dem Beifahrersitz aus – das machte jetzt auch keinen Unterschied mehr. Sie zuckte zusammen, als das Radio sich mit einem schmissigen Saxofon zurückmeldete. Und war es Einbildung oder ließ das Heulen des Windes wirklich ein bisschen nach?

      Nein, das Unwetter verzog sich tatsächlich. Gebannt verfolgte Julie, wie der Himmel aufriss und die ersten Strahlen der Abendsonne durch die Wolken brachen. Keine zwei Minuten später hatte sich das Unwetter buchstäblich in Nichts aufgelöst. Es war doch immer wieder schön, nach Hause zurückzukehren.

      KAPITEL 2

      Königin der Schwerter

      Als Julie in die Lakefield Street einbog, in der ihre Tante lebte, glaubte sie zunächst, sie hätte sich verfahren. In den sieben Jahren, die seit ihrem letzten Besuch vergangen waren, hatte sich die Gegend stark verändert. Die Häuser in der schmalen Straße waren damals vom Efeu überwuchert gewesen. Zäune, die unter der weiß blühenden Ackerwinde verschwanden, hatten das Bild bestimmt, ebenso wie Risse im Pflaster und Gras, das darin wuchs.

      Inzwischen war das Viertel runderneuert. Kein Grashalm wagte es, aus der Reihe zu tanzen, und nicht ein einziges welkes Blatt störte den Eindruck von Makellosigkeit. Nicht einmal Kinderspielzeug auf dem Rasen war zu sehen oder Wäsche, die im Wind flatterte. In jeder Einfahrt standen mindestens zwei Autos, SUVs und teure kleine Flitzer.

      Julie hielt vor dem Haus ihrer Tante. Kaum hatte sie den Motor abgestellt, sah sie, wie Alastair die Haustür öffnete und ihr ungeduldig zuwinkte. Er hielt sich aufrecht wie eh und je.

      Schnell stieg Julie aus und atmete tief ein. Selbst die Luft schien neu und sauber zu riechen. Sie schloss die Autotür und lief zum Haus hinüber. Nur noch wenige Schritte und sie war endgültig zurück.

      »Na endlich«, sagte Alastair statt einer Begrüßung.

      Julie starrte ihn an. Sie hatte sich getäuscht. Die Veränderungen waren von Weitem nicht erkennbar ge­­wesen, aber Alastair wirkte vitaler als noch vor sieben ­Jahren. Wo war sein Gehstock geblieben, und war sein Haar etwa voller geworden?

      »Was ist?«, fragte er und umarmte sie.

      »Ach, nichts«, erwiderte sie, nachdem er sie ­wieder ­losgelassen hatte. »Und ich will kein Wort darüber hören, wie du den Sturm weggezaubert hast.«

      Er grinste spitzbübisch. Ja, das war der Mann, der lange Zeit wie ein Vater für sie gewesen war. Er tat ihr den Gefallen und sagte nichts über das Unwetter.

      »Lass dich ansehen!« Prüfend hielt er sie auf Armeslänge von sich. »Du siehst großartig aus. Gesund und munter, wenn auch ein bisschen dünn.« Plötzlich verdüsterte sich sein Gesicht. »Du bist gerade noch recht­zeitig gekommen. Mach dich auf das Schlimmste gefasst. Sie stirbt.« Er presste die Lippen zusammen, und mit einem Mal sah ihm Julie sein Alter an.

      »Es tut mir so leid«, sagte sie und drückte ihn noch einmal, bevor sie endgültig über die Schwelle des Hauses trat, in dem sie aufgewachsen war. Der Duft nach Lavendel und Ysop versetzte sie sofort um zwanzig Jahre zurück.

      »Ich kann das nicht«, hörte sie ihre eigene Stimme, damals noch kindlich hoch und zitternd vor Angst.

      »Doch, du schaffst es, du musst es nur wollen«, hatte ihre Großmutter bestimmt geantwortet und ihr den Stapel Karten auffordernd hingehalten. »Konzentrier dich und sag mir, was du siehst!«

      »Nichts«, hatte ihr kindliches Selbst geantwortet. »Da ist nichts, Granny, wirklich.«

      »Julie«, rief Alastair sie zurück in die Realität.

      Ohne dass sie es bemerkt hatte, war sie den Flur in Richtung Treppe entlanggelaufen.

      »Laurie ist im Salon. Sie kann schon lange keine Treppen mehr steigen, deshalb haben wir ihr hier unten ein Lager aufgeschlagen.« Alastair strich sich über den dichten Schnauzer, wie um seine Gefühle zu verbergen.

      Sie schwiegen einen Moment.

      »Es tut mir leid«, sagte Julie schließlich noch einmal, während sie auf Alastair zuging. »Ich hätte früher kommen sollen.«

      »Ja, das hättest du«, stimmte er ruhig zu und sah ihr mit seinen unergründlichen grauen Augen direkt ins Gesicht. »Aber nun bist du hier, und das ist alles, was zählt.« Er schob sich an ihr vorbei und klopfte verhalten an die Tür. Ohne eine Aufforderung abzuwarten, betrat er das Zimmer, in dem ihre Tante im Sterben lag.

      Das muss ein Irrtum sein, war Julies erster Gedanke, als sie ihre Tante sah. Sie haben ihre Krankheit nur vorgegeben, um mich zurück nach Yarnville zu locken.

      Laurie wirkte wie eine Frau in der Blüte ihrer Jahre und so beneidenswert gesund, dass sich jeder Gedanke an Krankheit und Tod verbot. Sie hob die Hand und winkte Julie näher heran. Erst als Julie sich neben ihren Sessel kniete, bemerkte sie die feinen Fältchen in den Augen- und Mundwinkeln ihrer Tante, die vom Schmerz erzählten.

      »Meine Kleine«, flüsterte Laurie und ihre grünen Au­­gen glänzten. »Wie lange habe ich auf dich gewartet. Aber nun bist du endlich da, und ich kann in Frieden gehen.«

      »Es tut …«, setzte Julie an.

      »Pst«, unterbrach ihre Tante sie und verzog den Mund zu einem mühsamen Lächeln. »Es spielt keine Rolle.« Sie sah an Julie vorbei zu Alastair, der ihr stumm ein Glas Wasser reichte.

      Julie erhob sich und trat zur Seite. Sie fühlte sich wie ein Eindringling, als sie sah, wie zärtlich Alastairs ­Finger sich um Lauries schlossen, als er ihr beim Trinken half. Mit einer Wucht, die sie völlig unerwartet traf, begriff sie auf einmal, was bislang nur theoretisches Wissen gewesen war: Tante Laurie würde sterben. Ein lebendiges, liebendes Wesen würde von der Erde verschwinden und sich in Nichts auflösen. Sie würde ihr fehlen, aber Alastair würde ihr Tod tausend Mal schlimmer treffen.

      Bittere Tränen brannten in Julies Augen und sie wandte den Kopf ab, damit Laurie sie nicht weinen sah. Sie war so egoistisch gewesen. Ihre Tante hatte ihr den Wegzug aus Yarnville ermöglicht und sie hatte sich nie gefragt, ob Laurie nicht auch gern ein Leben abseits der Hexentradition gewählt hätte, wäre es ihr möglich gewesen.

      So lautlos wie möglich ging Julie in Richtung Tür. Sie wollte ihre Tante und Alastair allein lassen, aber trotz ihrer geschlossenen Augen schien Laurie zu ahnen, was sie vorhatte.

      »Du störst nicht«, sagte sie mit einem Anflug ihres alten, stets beherrschten Selbst. »Bleib!«

      Julie meinte zu sehen, wie sich Alastairs Schultern anspannten, aber er sagte nichts. Also suchte sie sich einen Sessel nahe am Fenster und wartete darauf, dass ihre Tante den letzten Atemzug tat.

      Ihr »Bleib!« hallte in Julies Kopf nach. Einmal, als Lauries Atemzüge immer flacher wurden, fasste sich Julie ein Herz und fragte Alastair, ob sie nicht doch einen Arzt rufen sollte.

      Wie in einer Trance schaute er sie an. Sein Blick war leer und er wirkte selbst wie ein Sterbender, nein, wie ein Toter. Unter der papierdünnen Haut sah Julie die Knochen seines Schädels und auch, wie sich das Kiefer­gelenk bewegte, als er mit den Zähnen knirschte. Mit pochendem Herzen betrachtete sie die Schwärze, die dort lauerte, wo eigentlich seine Augen hätten sein sollen. Erst als sie blinzelte, kehrte die Realität zurück.

      Ich bin übermüdet, nichts weiter, sagte sie sich und fragte sich für einen Moment, ob sie wohl verrückt würde. Der nahende Tod ihrer einzigen Verwandten, die Rückkehr nach Yarnville und alles, was das für sie bedeutete, mochten zu viel gewesen sein.

      »Vielleicht