Auch Diskursanalysen, die Migration und soziale Medien zum Gegenstand haben, gehören zur neueren Forschung. Marieluise Mühe etwa analysierte rassistische Diskurse über Flüchtlinge in sozialen Medien in Deutschland. Sie stellte fest, dass rassistische Kommentare in Online-Debatten ein Feindbild von jungen, muslimischen Männern konstruieren, die der Armut entflohen sind. Auch schlussfolgert sie, dass sich das Medium Facebook verstärkt auf die einseitige Wahrnehmung von Flüchtlingen auswirkt.140 Eine Diskursanalyse der Sarrazin-Debatte nahm Sebastian Friedrich141 vor und identifizierte eine Verschiebung des Diskurses nach der Veröffentlichung von Thilo Sarrazzins Buch „Deutschland schafft sich ab“. Er stellte fest, dass Migrant*innen zunehmend über das „Leistungsparadigma“ ausgegrenzt werden.142
Im englischsprachigen Raum hat Christopher Hart143 Migrationsberichterstattungen mithilfe einer Kombination von Diskursanalyse und Kognitionswissenschaft untersucht. Aidan McGarry und Helen Drake144 haben wiederum den Sicherheitsdiskurs in Frankreich unter dem Aspekt der Politisierung von Roma analysiert und Mikko Kuisma145 hat eine Arbeit zum Thema ökonomischer Nationalismus im Migrationsdiskurs von Finnen veröffentlicht. Kiumsa hatte dabei Argumentationen ausgemacht, die Migrant*innen in gute bzw. in böse Zugewanderte einteilen. Irland als Untersuchungsfeld für eine Diskursanalyse der Migration hat zudem Elaine Burroughs146 gewählt, und untersuchte mithilfe einer Argumentationsanalyse die diskursive Repräsentation von illegalen Migrant*innen in irischen Medien.
Kritische Diskursanalyse, historische Diskurssemantik und die Topos-Analyse
Sowohl in den Geistes-, als auch in den Sprach- und Sozialwissenschaften werden dem Begriff Diskurs unterschiedliche Bedeutungen und weit gestreute Verwendungsweisen zugemessen. Es gibt also keine einheitliche Definition des Diskursbegriffes, jedoch findet sich ein gemeinsamer Nenner in der wissenschaftlichen Anwendung des Begriffes. Denn der wissenschaftliche Einsatz – so resümiert Joachim Landwehr – richtet sich immer auf die Untersuchung des Sprach- und Zeichengebrauchs, unabhängig davon, ob es sich um mündliche oder schriftliche Texte, kleine oder große Korpora, bildliche der akustische Medien handelt.147
Die Analyse von Argumentationsstrategien bzw. Argumentationsmustern nimmt in der Diskursforschung eine bedeutende Stellung ein, insbesondere im Rahmen des in Wien von Ruth Wodak begründeten diskurshistorischen Ansatzes der Kritischen Diskursanalyse sowie im Rahmen der in Düsseldorf durch Georg Stötzel begründeten historischen Diskurssemantik. Aus diesem Grund wird in diesem Abschnitt sowohl auf die Kritische Diskursanalyse als auch auf die historische Diskurssemantik eingegangen. Ebenfalls werden die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der jeweiligen Topos-Analysen herausgearbeitet, wobei die Argumentationsanalyse der Düsseldorfer Schule schließlich vorbildgebend für die vorliegende Arbeit war (siehe Kapitel 3, Teil 1).
Die Kritische Diskursanalyse wurde unter Anlehnung des Diskursbegriffs von Foucault von Mitarbeiter*innen des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS) entwickelt. Wichtige Vertreter*innen sind der niederländische Sprachwissenschaftler Teun van Dijk, die österreichische Linguistin Ruth Wodak und der britische Sprachwissenschaftler Norman Fairclough. Sigfried Jäger hat im deutschsprachigen Raum zudem einen eigenen Ansatz zur Kritischen Diskursanalyse entwickelt.148 Die Kritische Diskursanalyse als interdisziplinäres Forschungsprogramm vereint ein breites Spektrum an Ansätzen, Theorien und Methoden. Allen gemeinsam ist der Fokus auf die Analyse von sozialen Macht-, Dominanz und Ungleichheitsstrukturen, die sich in Sprache manifestieren. Es geht also um das Aufdecken von Wirklichkeitsverzerrungen und irreführenden Repräsentationen von Ereignissen. Wobei auch festgehalten werden muss, dass es der Kritischen Diskursanalyse nicht um richtig oder falsch geht, aber doch darum, was mit derartigen Diskursen bewirkt werden kann.149
Während Siegfried und Margarete Jäger im Wesentlichen auf den Theorien und Arbeiten von Michel Foucault und Jürgen Link aufbauen, betont Ruth Wodak, die sich unter anderem auf Jürgen Habermas bezieht, stärker die pragmatische Dimension der Diskursanalyse und versteht Diskurse als soziale Praxis in einem mit zu beachtenden Kontext.150 Eine Spielart der Kritischen Diskursanalysen ist deshalb die diskurshistorische Analyse, die von Ruth Wodak in Zusammenarbeit mit weiteren Wissenschaftler*innen entwickelt wurde.151 Wesentlicher Bestandteil des diskurshistorischen Ansatzes ist die Verbindung von Analysen sprachlicher Äußerungen mit dem Kontext, in dem diese entstanden sind. Denn Aussagen stehen nie für sich allein, sondern sind Bestandteil eines Diskurses, die in sprachliche, nichtsprachliche, gesellschaftliche, politische Kontexte und Handlungsräume eingebettet sind.152 Wodak beschreibt dabei drei Dimensionen, die zentral für die diskurshistorische Analyse sind: Der Inhalt der Daten, die eingesetzte diskursive Strategie (zum Beispiel Argumentationsstrategien und Topoi) sowie die linguistische Realisierung des Inhaltes und der Strategie.153 Argumentationen bilden in der diskurshistorischen Analyse eine der fünf diskursiven Strategien und sind wesentlich bei der Präsentation des positiven wir und negativen Anderen.154
Argumentationsstrategien bzw. Topoi sind also ein Bestandteil der diskurshistorischen Spielart der kritischen Diskursanalyse. Ruth Wodak und Martin Reisigl haben in ihrem Buch „Discourse and Discrimination: Rhetorics of Rasism and Antisemitism“155 eine Reihe von Argumentationsstrategien im österreichischen Migrationsdiskurs ausgemacht. Darunter u. a. den topos of danger, den topos of threat, den topos of humanitarianism oder den topos of justice. Martin Reisigl hat im Rahmen eines Vergleiches rechtspopulistischer und faschistischer Rhetorik ebenfalls unter Anwendung der Argumentationsanalyse Strategien wie den Topos des Nichts-Wissens oder den Topos der Freiheit formuliert.156
Auf ähnliche Art und Weise hat auch der Sprachwissenschaftler Martin Wengeler Argumentationsmuster bzw. Topoi formuliert und in einem großangelegten Forschungsprojekt Migrationsdiskurse untersucht. Anders als Wodak oder Reisigl ist die Argumentationstheorie von Wengeler jedoch nicht der Wiener Gruppe zuzuordnen, sondern der von Georg Stötzel begründeten Historischen Diskurssemantik, bei der die Analyse von argumentativen Topoi ebenfalls eine wesentliche Rolle spielen.157 Georg Stötzel ist der Gründungsvater der Düsseldorfer Schule, der unter anderem auch die Sprachwissenschaftler*innen Matthias Jung, Karin Böke und Martin Wengeler angehören. Ihre Überlegungen zur Diskursgeschichte bauen auf Arbeiten von Dietrich Busse und Wolfgang Teubert auf,158 die