Kriminalisierung von Migrant*innen
Laut Bucher und Piga werden Migrant*innen nebst den Bereichen Wirtschaft und Politik häufig im Zusammenhang mit Kriminalität thematisiert, wohingegen über ihren Lebensalltag wenig berichtet wird. Ebenfalls Meldungen über geglückte Verständigung bzw. geglückte Integration fehlen vielfach.101 Auch Geißler102 und Ruhrmann103 bestätigen die auffällig häufige Verbindung von Kriminalität und Migration und verweisen auf die Rolle der Ethnizität, die besonders in der Kriminalitätsberichterstattung über Migrant*innen eine Rolle spielt, auch wenn es dafür keinen augenscheinlichen Grund gibt. Susanne Spindler hält fest, dass Medien im Hinblick auf Kriminalität und Gewalt als Verkünder der öffentlichen Moral fungieren. Sie zeigen auf, was gut und was als böse zu beurteilten ist. Sie stellt dabei fest, dass abweichendes Verhalten von Zugewanderten häufig mit dem „Migrationshintergrund“ in Zusammenhang gebracht wird.104 Analysen italienischsprachiger Zeitungen haben zudem ergeben, dass im letzten Jahrzehnt die Meldungen in den cronaca nera zugenommen haben und dass es einen großen Unterschied zwischen der Repräsentation von Kriminalitätsfällen und der realen Kriminalität von Menschen mit Migrationsgeschichte gibt.105 Zu einem vergleichbaren Ergebnis kam auch Georg Ruhrmann 2005 in Bezug auf deutschsprachige Medien. Ihm zufolge hat sich das Thema Kriminalität in der Berichterstattung verdoppelt, obwohl sich die reale Kriminalität nicht in dieser Form entwickelt hat.106
Dualismus
Christoph Butterwegge kam zur Schlussfolgerung, dass die Art und Weise, wie die Medien über Migrant*innen berichten, eine Hierarchie geschaffen hat, wonach bestimmte Gruppen von Ausländer*innen als Fremde, andere jedoch willkommen Gäste sind. In der Lokalpresse sei dieser Dualismus besonders stark ausgeprägt. Auf der einen Seite befinden sich die „Elitenmigration“, von der man sich generell Vorteile verspricht und auf der anderen Seite die „Elendsmigration“, die als überaus problematisch beobachtet wird.107 Auch Susanne Spindler zeigt auf, dass positive Berichte oft in Verbindung mit „Expertenmigration“ stehen, sprich Migrant*innen, die für die lokale Wirtschaft gebraucht werden und somit einen Nutzen für die Gesellschaft darstellen.108 Die als gute Migrant*innen wahrgenommenen Menschen werden jedoch strikt von anderen Zugewanderten getrennt, die als Gefahr für die soziale Sicherheit betrachtet werden.109
Warum Medienanalysen einer Kontextualisierung bedürfen
Werden die Forschungsbefunde zum Thema Migration und Medien zusammengetragen, lässt sich feststellen, dass das Sprechen über Migration über die Grenzen hinweg – oberflächlich betrachtet – nach denselben Mustern verläuft. Man könnte selbst den Eindruck gewinnen, dass es keine Rolle spiele, im Rahmen welcher gesellschaftlicher sowie politischer Kontexte die Berichterstattung über Migration stattfindet oder wie viele Migrant*innen in einem Gebiet leben, in dem Medien über Migration berichten. Dies entspräche auch der gängigen Vorstellung, dass Medien neue Wirklichkeit und damit Nationalismus und Rassismus erzeugen.
Bezieht man jedoch die gesellschaftlichen und politischen Kontexte in die Analysen ein, so spiegeln sich in der Berichterstattung über Migration stets Denkund Argumentationsweisen wider, die in der Gesellschaft bereits existieren. Dies zeigt sich vor allem durch regionale Spezifika, die sich wesentlich auf das Sprechen über Migration auswirken. Das heißt, Gesellschaft, Politik und Medien bedingen sich – auch im Migrationsdiskurs – gegenseitig und gerade wegen lokaler Eigenheiten.
Bei einem Großteil der in diesem Kapitel angesprochenen Medienanalysen handelt es sich um Inhaltsanalysen oder speziell im amerikanischen Raum um Framinganalysen110, die nicht nach dem Kontext fragen, in dem Medieninhalte entstanden sind. Arbeiten mit kommunikations-, medienwissenschaftlichen oder sprachwissenschaftlichen Ansätzen ziehen selten politische, kulturelle und historische Hintergründe mit ein, in denen mediale Inhalte entstanden sind. Doch die Bedeutung von Sprache entsteht nicht in ihrem Gebrauch, sondern erst in Verbindung mit relevantem Kontext. Um komplexe soziale Probleme zu erforschen, ist es notwendig, den Kontext als Teil der Analyse zu begreifen, da sonst sprachliches Verhalten missinterpretiert werden kann.
Eine Ausnahme bilden beispielsweise die Arbeiten von Ruth Wodak, Bernd Matouschek sowie Martin Reisigl, auf die im Abschnitt Migration und Diskurs noch näher eingegangen wird. Mit dem Ansatz der diskurshistorischen Analyse, die insbesondere die Integration von Text und Kontext hervorhebt, plädieren die Autoren für eine multidimensionale Dekonstruktion von Sprache und Argumentationen, indem jegliche verfügbare Informationen zu historischen Hintergründen, in dessen Rahmen Diskurse entstehen, in die Analyse eingebettet werden.111
Der Einfluss der Medien auf die Wahrnehmung von Migration und die Rolle der Politik
Niklas Luhmann schrieb 1996: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“112 Es ist heute eine unumstrittene Tatsache, dass Medien einen deutlichen Einfluss darauf haben, welche Frames und welche Argumentationen den Diskurs über Menschen anderer Herkunft bestimmen. Wie sehr der Alltagsdiskurs von Mediendiskursen gespeist ist, verdeutlichen die Untersuchungen von Siegfried Jäger, der in seinem Buch „BrandSätze. Rassismus im Alltag“113 Alltagshaltungen mithilfe von Interviews untersuchte. Jäger resümiert, dass die Befragten nicht nur Begriffe, sondern auch Argumentationen wortwörtlich von Medien übernahmen, insbesondere dann, wenn sie komplexere Zusammenhänge erklären sollten. Medien sind deshalb nicht nur informierend, sondern im weitaus größeren Maß bewusstseinsbildend.
Es geht aber nicht nur darum, was Medien berichten, sondern auch wie. Medien stehen eine Reihe von Konzepten zur Verfügung, wie sie Migration auf die Tagesordnung bringen können. So kann zum Beispiel eine Nachrichtenmeldung über eine Migrationsreform das Konzept der erhöhten wirtschaftlichen Kosten enthalten. Gleichzeitig kann die Nachrichtenmeldung aber auch ein positiveres Konzept vermitteln, indem hervorgehoben wird, dass mit der Reform die Trennung von Familien verhindert wird.114 Aus diesem Grund können Medieninhalte auch nie als „einfache Wiederspiegelungen und Abbilder einer beobachterunabhängigen Wirklichkeit“115 betrachtet werden. Sie liefern nie nur reine Abbildungen oder Beschreibungen als solche.116 In diesem Zusammenhang wird auch von konstruierter Realität oder einfach Medienrealität gesprochen.117