Darüber hinaus ist die journalistische Praxis beeinflusst von Interessen sozialer, politischer oder kultureller Institutionen.120 Das heißt, Medieninhalte werden stets von unterschiedlichen Interessen (Redaktion, Zielpublikum, Wirtschaft und Politik) gelenkt. Im quellenkritischen Umgang mit Medieninhalten stellen sich deshalb Fragen nach der Herkunft der Nachricht, nach Kriterien der Auswahl sowie nach der Kondensierung der ausgewählten Nachricht.121 Aus diesem Grund müssen Medien als Quelle indirekter Erfahrung gesehen werden, denn die Informationen, die durch Medien über Migrant*innen vermittelt werden, strukturieren die Vorstellung der Rezipient*innen und bestätigen bereits vorhandene Ansichten und Vorurteile.122
Insbesondere Politikerinnen und Politiker haben ein beständiges Interesse daran, ihre Argumentationen in der Presse zu verlauten. Denn für politische Parteien ist die Fremddarstellung politischer Botschaften in den Medien eine wichtige, wenn nicht die wichtigste Form der Kommunikation mit der Bevölkerung. Menschen, die in der Politik tätig sind, beliefern Medien nicht selten mit Eigendarstellungen. Christiane Eilders123 hat festgestellt, dass Parteien und Verbände in übermäßigen Anteilen in den Medien vertreten sind, während andere Gruppen wie Kirchen oder zivilgesellschaftliche Vereine unterrepräsentiert sind.124 Nicht alle Parteien und politischen Akteur*innen werden in den Medien zu gleichen Teilen präsentiert. Weniger bekannte Politiker*innen und schwächere Parteien sind häufig – selbst wenn sie großartige Arbeit leisten – in den Medien marginalisiert.125
Es obliegt den Medien, zu entscheiden, was als veröffentlichungswürdig erachtet wird und wie viel Aufmerksamkeit sie einer Person oder einer Thematik schenken. Dijk stellte fest, dass üblicherweise führenden Politiker*innen – insbesondere bei Konflikten – um ihre Meinung gefragt werden, selbst wenn diese eine Minderheitenmeinung vertreten. In Nachrichtenmeldungen über Migrant*innen müssten im Sinne einer ausgewogenen Berichterstattungen jedoch auch die Meinungen wichtiger und kompetenter Vertreter*innen dieser kleineren Gruppen berücksichtigt werden, was aber meistens nicht der Fall ist.126 Diese Art der Berichterstattung wirkt wiederum auf das politische Handeln ein, denn je größer die Aufmerksamkeit der Presse, desto höher ist die Bedeutung des Themas in der Bevölkerung und dadurch wiederum für die Politik.127 Nick Couldry zum Beispiel argumentierte, dass Medien wie eine Art Metafeld funktionieren, da sie andere Bereiche, wie etwa die Politik, deutlich beeinflussen können.128 Die Beziehung zwischen Medien und Politiker*innen kann also als bidirektional verstanden werden. Medien formen die öffentliche Meinung, um politische Entscheidungen zu legitimieren, und spiegeln damit die Interessen der etablierten Elite wider. Gleichzeitig treiben Medien aber auch die politische Entscheidungsfindung voran, indem sie öffentliche Meinung zu Politiker*innen formen, die darauf reagieren müssen.129 Diese öffentliche Meinung ist jedoch zumeist nichts anderes als eben eine politische Meinung. So beschreiben Brigitta Busch und Michał Krzyzanowski130 die Beziehung zwischen dem Feld der Politik und dem Bereich der Medien als eine Kette der Re-Kontextualisierung, die in zwei Richtungen erfolgt: vom politischen Diskurs in die Medien (z. B. durch das Zitieren von Reden und andere politische Stellungnahmen) und von den Medien wiederum in den politischen Diskurs (z. B. Politiker*innen zitieren Medien als öffentliche Meinung, obwohl sie ihre eigenen in den Medien abgedruckten Statements zitieren).
Mit einer derartigen Einflussnahme und Agenda-Setting Funktion stehen die Medien unter besonderem Interesse bei der Ermittlung von Immigrationsdiskursen, denn sie sind das Zentrum der Repräsentation von Migration und versammeln Informationen, die in Feldern wie Politik, Recht, Bildung und Alltag entstanden sind.131
1.3 Migration und Diskurs
Diskurse sind nichts Individuelles, sie sind sozial. Jeder Mensch ist ein Teil von Diskursen; er trägt nicht nur zu seiner Gestaltung bei, sondern verinnerlicht Schemata und Modelle (oft vermittelt durch Medien, Organisationen, Erziehung usw.), die eben nicht individuell sind, sondern im Laufe der Sozialisation angeeignet werden. Dabei sind Diskurse alles andere als harmlose Prozesse. Sie bestimmen Handlungen und üben Macht aus, sie können sogar zu Angriffen auf Migrant*innen, Überfällen auf Flüchtlingsunterkünften oder Terror verleiten.132 Diskurse haben also die Macht, Handlungen zu ermöglichen oder zu verhindern, auch bestimmen sie, wie und auf welche Art gehandelt werden soll.133 Diskursanalysen thematisieren deshalb Texte mit Einbezug des sozialgeschichtlichen Hintergrundes, auf den sie sich beziehen und auf den sie sich wiederum auswirken. Denn sprachliche Prozesse speisen sich aus realen Ereignissen und reale Ereignisse wiederum werden durch sprachliche Prozesse beeinflusst.134
Schemata und Modelle im Sprechen über Migration werden ebenfalls oder gerade wegen fehlender Alltagserfahrungen im Laufe der Sozialisation angeeignet. Der mediale Migrationsdiskurs trägt wesentlich zu dieser Sozialisation bei. Zu ermitteln, wie Medien Migrationsdiskurse steuern und dadurch Macht ausüben, ist wesentlicher Bestandteil der Diskursanalyse. Wissenschaftliche Beiträge, in denen Migrationsdiskurse untersucht und dafür unterschiedliche Herangehensweisen der Diskursanalyse verwenden werden, haben sich gerade die Beantwortung derartiger Fragen zur Aufgabe gemacht.
Wesentlich sind hierbei die Aufsätze von Ruth Wodak und Bernd Matouschek.135 Sie heben verschiedene Formen von Migrationsdiskursen hervor und resümieren, dass in Österreich der Mitleids- und Bevormundungsdiskurs in einem starken Zusammenhang mit dem Rechtfertigungs- und Begründungsdiskurs steht, womit eine restriktive Migrationspolitik legitimiert wird.136 Zu nennen sind zudem die Untersuchungen von Margarete Jäger. In ihrem Aufsatz „Skandal und noch einmal“137 deckt sie diskursive Verschiebungen und Benennungspraxen des Einwanderungsdiskurses in (West-)Deutschland auf. Darüber hinaus hat sie in ihrem jüngsten Buch zum Flüchtlingsdiskurs in deutschen Medien 2015 und 2016 gemeinsam mit Regina Wamper herausgearbeitet, dass es – unter Anzweifelung einer wirklichen Krise – 2015 und 2016 auf jeden Fall zu einer diskursiven Krise kam: „Diskursiv wurde der Notstand ausgerufen,