Violent Ends - Die Kartell-Königin. Jessica Hawkins. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jessica Hawkins
Издательство: Bookwire
Серия: White Monarch Trilogie
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783864439438
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drin wäre, wäre ich für die Welt so gut wie verloren. Mein Handy war in der Tasche, die ich zur Kirche mitgebracht und die man irgendwo hingeschafft hatte. Ich war nicht so naiv zu denken, dass ich so schnell wieder zurückkommen würde. Wenn überhaupt. Ich sah zu dem Platz herüber.

      „Barto sollte mich jeden Augenblick abholen kommen. Er denkt, er bringt mich zum Flughafen zu meinem Vater.“

      „Dann solltest du lieber einsteigen, damit ich mit ihm nicht aneinander gerate. Lass die Verzögerungstaktiken.“

      Ich bückte mich, um den Riemen an meinem Schuh zu öffnen. „Mir tun die Füße weh“, erklärte ich und blickte dabei verstohlen auf die Stufen der Treppe zur Kirche und dann in die Menschenmenge, um nach Diego zu schauen. Ihn noch ein letztes Mal zu sehen würde mir nichts helfen, aber es fühlte sich nicht richtig an, einfach wegzufahren.

      „Wenn er weiß, was gut für ihn ist, ist er weg“, sagte Cristiano und mein Blick schoss zu ihm hoch. Er sah auf mich hinab.

      Von einem Augenblick auf den anderen hatte sich mein gesamtes Leben umgekrempelt. Diego war nirgends zu sehen, sein Bruder nahm mein gesamtes Sichtfeld ein und nannte mich jetzt seine Frau.

      „Vergiss die Schuhe“, sagte Cristiano. „Steig ein und erwähne nicht mehr seinen Namen, sonst, so wahr mir Gott helfe, werde ich …“

      „Was?“ Ich stellte mich aufrecht hin. „Wirst du mich von den mir liebsten Menschen trennen und mich zu einem Leben verdammen, das ich niemals führen wollte?“

      Er verengte den Blick. Was sollte er auch sagen, es war die Wahrheit. Mein Schicksal war besiegelt.

      Ich stieg ein, bevor Cristiano etwas erwidern konnte. Er zog das Jackett aus, während er zunächst zu dem ersten SUV ging und mit dem Fahrer sprach. Ich blickte aus dem Seitenfenster, betrachtete den Marktplatz. Bis ich Diego wiedersah, würde die Niedergeschlagenheit in seiner Haltung, als Cristiano jeden außer mir aus der Kirche befohlen hatte, meine letzte Erinnerung an ihn sein.

      Das Herz wurde mir schwer. Diego hatte mich weggegeben. Er hatte keine Wahl gehabt. Cristiano hatte entschieden, dass er unsere Familien und sein Kartell mit dem meines Vaters miteinander verbinden wollte, also hatte er es möglich gemacht. Nichts hätte ihn aufhalten können.

      Dennoch. Der Mensch, den ich liebte, der Mann, für den ich gewillt war mich meinem Vater zu widersetzen, und ihn zu heiraten hatte zugelassen, dass ich am Altar auf einen anderen Mann traf. Und nicht nur irgendwen anderen. Nein, seinen grausamen, notorisch gewaltsamen Bruder.

      Ob es Diego leidtat? Wie lange hatte er davon gewusst?

      Mein Kinn zitterte, aber ich unterdrückte es, in dem Versuch mich zusammenzureißen. Verflucht sollte Diego sein, dass er mich in diese Situation gebracht hatte. Und verflucht sollte ich selbst sein, dass ich versuchte noch einen letzten Blick auf ihn zu erhaschen.

      Cristiano warf die Anzugjacke auf den Sitz neben mir und setzte sich hinter den Fahrer.

      „Warum schert es dich, wo mein Bruder steckt?“, fragte er, wobei er die Trennscheibe zwischen dem Fahrer und uns hochfuhr.

      Ich drehte mich zu ihm. „Er war mein Bräutigam.“

      „Diego hat dich aufgegeben, um seinen eigenen Arsch zu retten. Er ist deine Aufmerksamkeit nicht wert.“ Cristiano betrachtete mich aufmerksam, während wir losfuhren. „Du solltest mir dafür danken, dass ich eingeschritten bin.“

      Ihm danken? Mein Blut begann zu brodeln. Zwischen unserer Vereinigung und Cristianos Menschenhandelsgeschäften bezweifelte ich, dass es irgendetwas gab, was er nicht sich selbst gegenüber rechtfertigen konnte.

      „Du hast ihm keine andere Wahl gelassen.“

      „Man hat immer eine Wahl.“ Cristiano zog an ein seinem Hemdsärmel und hielt mir den Arm hin. „Würdest du bitte?“

      Ich sah auf seine Hand. „Was?“

      „Meine Manschettenknöpfe.“

      Langsam fuhr unser Wagen über den mit Pappmaché Figuren, bunten Wimpeln und Blumensträußen dekorierten Marktplatz. Männer mit Sombreros und Frauen in den traditionellen uralten Trachten mit geflochtenen Körben auf ihren Köpfen gingen zur Seite, versuchten einen Blick durch die getönten Scheiben zu erhaschen. Manche von ihnen schimpften über die Störung. Man durfte hier eigentlich nicht durchfahren.

      „Die kannst du dir selbst ausziehen“, sagte ich.

      „Aber ich bitte dich darum.“

      War eine Bitte von Cristiano wirklich eine Bitte? Ich hörte die Forderung in seinem Tonfall. Zögerlich zog ich sein Handgelenk zu mir und den silbernen Stift eines geriffelten Manschettenknopfes aus seinem Loch.

      „Was hättest du an Diegos Stelle getan? Oder meiner?“, fragte ich. „Wobei ich annehme, dass du die wahre Liebe kennen müsstest, um tatsächlich zu verstehen, wie weit du dafür gehen würdest.“

      „Ich sollte dich warnen, dass sich jedes Mal, wenn du den Namen meines Bruders in den Mund nimmst, ein Bild vor meinem geistigen Auge aufbaut. Eins, das ich nicht leiden kann. Also wirst du, außer du möchtest mich provozieren, seinen Namen nicht mehr aussprechen.“

      Sein Ärmel hing offen herab. Mit einem Nicken gab er zu verstehen, dass ich ihn hochkrempeln sollte. Also tat ich es. Meine Finger glitten dabei über eine Ader auf seinem kräftigen, mit dunklem Haar bedeckten Unterarm.

      „Was für ein Bild?“

      Sowie ich den Ärmel an seinem Ellbogen ein letztes Mal umgeschlagen hatte, reichte er mir seinen anderen Arm.

      „Wenn ich es ausspreche, könnte mich das wütend machen. Nicht sehr weise, wenn du mit mir hier hinten eingesperrt bist.“

      Diegos Name könnte eine Erinnerung für Cristiano beschwören, die auch mich verfolgte. Vor elf Jahren hatte Diego seinen Bruder beschuldigt meine Mutter ermordet zu haben, obwohl er wusste, dass es Cristiano das Leben kosten könnte. Diego hatte Gerechtigkeit über die Familie gestellt und im Kartell wertete man es wie die ultimative Todsünde die Familie zu verraten. Ich konnte Diego noch immer glasklar vor mir sehen, wie er die Waffe auf Cristiano und mich gerichtet hielt, wobei ich nicht diejenige gewesen war, die er erschießen wollte.

      Ich entfernte den anderen Manschettenknopf und hielt die Teile aus Silber in meiner Hand.

      „Ich glaube ich habe noch nie einen Mann gesehen, der sich so sehr im Griff hat wie du in dieser Kirche“, sagte ich, um zu testen, ob ich ein kleines bisschen hinter seine Fassade schauen könnte. „Und jetzt bist du wütend. Was hat sich geändert?“

      Jetzt war es an ihm sich umzudrehen und aus dem Fenster zu schauen. Cristiano musste nicht auf irgendeine meiner Fragen antworten und das machte seine Antworten zu etwas Wertvollem. Egal welches Thema, alles Mögliche könnte man als einen Hinweis auf den Mann hinter der Calavera Maske deuten. Wer war Cristiano? Wovor könnte sich ein Mann, der so kalt und abgestumpft war, fürchten? Sehnsucht? Liebe?

      Und warum interessierte mich das überhaupt?

      Information. Es gab eine Zeit da waren Informationen das einzige Laster gewesen, für ein Mädchen wie mich, dessen Familie sie unter dem Vorwand sie zu schützen im Dunkeln hielt. Später, als ich alles, was mit diesem Leben zusammenhing, vergessen wollte, waren sie eine Bürde. Jetzt könnten sie das Einzige sein, das mich vielleicht rettete. Es wäre leichter meinen Feind zu überleben, wenn ich wüsste, was er wollte. Was er erwartete. Was ihn antrieb.

      Nicht nur um ihn zu überleben, sondern ihm vielleicht sogar zu entkommen.

      Durch die Macht, die er über die Leben der Menschen, die ich liebte, verfügte, war ich bildlich gesprochen an Cristiano gekettet. Ich konnte nicht davonlaufen. Aber das bedeutete nicht, dass es keine Möglichkeiten gab, mich von ihm zu befreien.

      Ich zog meine Fingerspitze über die weiche Haut an Cristianos Handgelenk, sachte genug, dass es aussah, als wäre es keine Absicht gewesen.

      „Was hat dich wütend gemacht?“ Ich ließ nicht locker.