Lost Treasure. Sandra Pollmeier. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sandra Pollmeier
Издательство: Bookwire
Серия: Treasure Hunt
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783947634965
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ihr habt nicht gesagt, wie ihr heißen wollt. Da hab´ ich halt meiner kreativen Ader freien Lauf gelassen. Gefällt dir das nicht, Benni?“

      Kommentarlos warf Ben die Pässe zurück auf den Tisch und schnappte sich die Fotos. „Wer ist das?“, fragte ich, als ich einen Mann mit schwarzem Anzug und grauen Haaren erkennen konnte, und beugte mich zu Ben herüber. „Das, meine Kleine, ist eine gute Frage“, entgegnete Linus mit dunklem Unterton und zog seine linke Augenbraue vielsagend in die Höhe. „Der Kerl nennt sich Gideon und verdient sein Geld damit, bedauernswerten Menschen … na sagen wir mal – das Licht auszuknipsen. Und in diesem Job hat er schon reichliche Erfahrungen sammeln können. Also gebt ihm besser seine Knarre zurück, er wird nicht erfreut darüber sein, dass ihr sie ihm abgenommen habt.“

      Ohne ein Wort sahen Ben und ich uns an. Wahrscheinlich würde sich dieser Mann über nichts mehr aufregen können. Und wenn doch, hatten wir einen erfahrenen Killer am Hals. Natürlich bemerkte Van Houwers unsere Blicke und musterte mich eindringlich. „Also, es geht mich ja nichts an … aber ihr braucht eine neue Identität und tragt die Kanone eines Profikillers mit euch herum – was hast du angestellt, Benni?“

      Angespannt trommelte Ben mit einem der Reisepässe auf der Tischplatte herum. „Du erwartest wohl kaum eine Antwort auf deine Frage“, erwiderte er, ohne Linus anzusehen. Seine Miene war wie aus Stein gemeißelt.

      „Man kann es ja mal versuchen“, witzelte Linus unbekümmert und blinzelte mir dabei aufmunternd zu. Aber zum Spaßen war mir nun wirklich nicht zumute. Mit zitternden Fingern hielt ich das Foto des Mannes in der Hand, der mich vor wenigen Tagen beinahe erschossen hatte. „Für wen arbeitet dieser Gideon?“

      Langsam zog Ben das Foto aus meiner Hand. Es hatte einen Knick in der Mitte, anscheinend hatte ich es zu stark gedrückt. „Für niemanden“, entgegnete Linus mit einem Achselzucken. „Wie es aussieht, ist er sein eigener Herr und lässt sich von gut zahlenden Kunden individuell buchen. Alles läuft über Beziehungen, Mundpropaganda. Er ist viel zu gut in seinem Fach, als dass er sich an eine einzige Organisation binden würde.“ Linus zündete sich lässig eine Zigarette an und warf Ben die geöffnete Packung zu. Doch dieser ignorierte Linus´ Geste und schob die Packung kommentarlos zur Seite.

      „So gut war dieser Gideon wohl doch nicht“, dachte ich, doch natürlich sprach ich es nicht aus, denn Linus war sicherlich der letzte Mann auf der Welt, dem wir unser Geheimnis anvertrauen sollten.

      „Also keine Mafia, kein anderes Syndikat?“ Bens Stimme klang gepresst, doch Linus schüttelte voller Überzeugung den Kopf.

      „Sicher nicht. Meine Quellen sind zuverlässig. Es war nicht einfach, etwas über den Kerl zu erfahren. Wie ihr euch vorstellen könnt, hat er keinen offiziellen Waffenschein für sein Arbeitsgerät. Ich musste da schon etwas tiefer graben … Aber was tut man nicht alles für einen guten, alten Freund.“

      Ben lachte spöttisch auf, dann warf er das Foto mit verärgerter Miene zurück auf den Tisch. „Also wissen wir nichts. Fantastisch“, murmelte er mehr zu sich selbst als zu Linus. Einen kurzen Moment lang herrschte angespannte Stille. Linus´ Stirn lag in Falten und man konnte in seinem Gesicht förmlich lesen, dass er unzufrieden darüber war, nicht zu wissen, was hier eigentlich vor sich ging. Doch es war offensichtlich, dass Ben keine Anstalten machen würde, ihm unsere Situation zu erklären.

      „O.K.“, seufzte Linus schließlich enttäuscht und tätschelte mit gespielter Anteilnahme mein Knie. „Ich wünsche euch alles Gute. Meine Schuld ist beglichen, wir sind quitt, Benni. Also, was immer ihr vorhabt, ich drück´ euch die Daumen, dass ihr klarkommt.“ Linus stand auf und hielt Ben dabei seine mit Ringen geschmückte Hand entgegen. Natürlich dachte Ben nicht im Traum daran, Linus´ Hand zu schütteln, und so zog dieser sie schließlich zurück. Dann wuschelte er mir durch die Haare, als wolle er einem Hund durchs Fell kraulen, und verschwand ohne weitere Worte.

      „Drecksack“, fluchte Ben vor sich hin, kaum dass er die Tür hatte zuschlagen hören, und schnappte sich jetzt doch eine Zigarette. Vermutlich hatte es ihn große Überwindung gekostet, sich vor Linus zusammenzureißen. Irgendwie war es mir mir suspekt, dass Ben diesen Linus nicht leiden konnte. Klar, der Kerl war ein selbstverliebter Egomane, aber irgendwie hatte das auch einen gewissen Reiz. Unfreundlich war Linus zumindest nicht. Ben jedoch hegte einen tiefsitzenden Groll gegen seinen alten Boss. Woran das wohl lag? Aber es blieb mir keine Zeit darüber nachzudenken, denn bevor ich Ben fragen konnte, war dieser auch schon aufgesprungen und zur Tür heraus.

      Vermutlich hatte Julie meinen verblüfften Blick wahrgenommen, denn sie setzte sich neben mich und streichelte mir mit verlegenem Blick aufmunternd über den Rücken.

      „Linus und Ben sind wohl nicht gerade beste Freunde, was?“, stellte ich trocken fest.

      Julie schüttelte den Kopf und schenkte mir ein müdes Lächeln. Irgendwie war sie mir heute sympathischer als sonst. Bens alte Freundin trug ausnahmsweise Jeans und T-Shirt, ihre kastanienroten Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Mit der divenhaften Schönheit, die ich im Metropolis kennengelernt hatte, hatte sie nicht mehr viel gemein. Das sollte nicht heißen, dass Julie nicht immer noch eine außergewöhnlich schöne Frau war – aber jetzt wirkte sie natürlicher und freundlicher.

      „Warum kann Ben ihn nicht leiden?“, hakte ich nach, während Julie aus ihren Hausschuhen schlüpfte und ihre perfekt pedikürten Füße auf den gegenüberstehenden Sessel legte. „Ach, Sofia, das ist eine komplizierte Geschichte. Das muss Ben dir selbst erzählen. Ich will mich da nicht einmischen.“ Julie wirkte müde und irgendwie traurig. Für einen Moment starrte sie geistesabwesend aus dem Fenster, doch dann fing sie sich wieder und lächelte mich aufmunternd an. „Komm, wir machen uns einen schönen Tag und gehen einkaufen. Du brauchst was zum Anziehen, wenn ihr uns so bald wieder verlassen wollt. Wir machen jetzt einen richtigen Frauentag!“ Elegant wie eine Katze sprang Julie vom Sofa auf und zog mich an beiden Händen zu sich nach oben. So ganz wusste ich nicht, was ich davon halten sollte. In den letzten Tagen hatte ich die Wohnung nicht einmal zum Luft schnappen verlassen dürfen und nun wollte Julie mit mir shoppen gehen?

      Doch während ich noch unschlüssig „Ich weiß nicht…“, murmelte, war Julie schon in ihrer Ankleideecke verschwunden und hatte sich ein cremefarbenes Kopftuch und eine dunkle, riesige Sonnenbrille geschnappt. „Keine Angst, wir verkleiden dich. Niemand wird dich erkennen, Schatz. Glaub mir, ich bin eine Meisterin der Verkleidung! Außerdem gehen wir zum Friseur. Du musst deinem Passbild noch etwas ähnlicher werden.“ Mit einer beiläufigen Handbewegung warf sie mir den gefälschten Reisepass zu. Als ich das Buch aufklappte, musste ich schlucken. Das war doch nicht ich! Oder doch? Die junge Frau, die mich auf dem Foto anschaute, sah mir irgendwie ähnlich – und doch war sie ein komplett anderer Mensch. „Er hat eure Passfotos digital bearbeitet. Das ist ganz leicht. Hat etwas die Haare verändert, etwas mehr Rouge auf die Wangen und so. Das macht schon viel aus. Schließlich soll man euch ja nicht sofort wiedererkennen.“ Julie trällerte das so leicht und locker vor sich hin, als ob sie davon redete, wie schön mein neues Paar Schuhe sei. Doch für mich bedeutete dieser Pass viel mehr: Nachdem ich in so kurzer Zeit meinen Vater, meine besten Freunde und mein Zuhause verloren hatte, würde ich jetzt das Letzte aufgeben, das noch aus meinem alten Leben übrig geblieben war: mich selbst.

      „Blond steht dir gut finde ich. Ich habe da einen tollen Friseur. Der bekommt den Schnitt genauso hin. Ein paar Strähnchen, damit die Farbe natürlicher wirkt. Und wegen der Sachen mach dir keine Gedanken. Die zahlt alle Linus!“ Strahlend zückte Julie eine goldene Kreditkarte und winkte mir damit zu. Ich ergab mich in mein Schicksal. Was sollte ich auch anderes tun? Julie hatte Recht - wenn wir schon vorgaben, jemand anderes zu sein, dann mussten wir auch so aussehen. Als wir aus der Wohnung verschwanden, streifte mein Blick den Spiegel neben der Eingangstür. „Mach´s gut, Sofia“, dachte ich. „So bald werden wir uns wohl nicht mehr wiedersehen.“

      5

      Julie freute sich wie ein kleines Kind darüber, aus mir einen neuen Menschen zu machen. Es kam mir vor, als hätte sie im Grundschulalter ihre Barbiepuppen-Phase nicht ausgiebig genug auskosten können, und nun holte sie diese versäumten Jahre an