Lost Treasure. Sandra Pollmeier. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sandra Pollmeier
Издательство: Bookwire
Серия: Treasure Hunt
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783947634965
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mit hohem Beinausschnitt und lange, funkelnde Ohrhänger mit einem dazu passenden Collier. Jede Frau im Umkreis von zehn Kilometern hätte bei ihrem Anblick in Ohnmacht fallen müssen, so beeindruckend wirkte ihr Auftritt. Ein helles, natürlich wirkendes Strahlen ging von ihr aus. Und so, wie Ben sie ansah, war er ihr verfallen. Die Schöne glitt an mir vorbei und umarmte Ben mit einem freudigen Lachen. Eine ganze Weile hielten sie sich fest, bis die junge Frau sich langsam von meinem Bruder löste und sich mir zuwandte. Anscheinend hatte ich sie angeschaut, als wäre sie ein Gespenst, denn nun wirkte die Fremde etwas verlegen und streckte mir vorsichtig die rechte Hand entgegen.

      „Entschuldige bitte, ich habe mich noch nicht vorgestellt. Mein Name ist Julie, ich bin eine alte Freundin deines Bruders.“ Zögernd ergriff ich ihre Hand. Es widerstrebte mir sehr, freundlich zu dieser Frau zu sein. Eine alte Freundin von Ben! Na, ich konnte mir denken, was das bedeutete. Und so, wie er diese Julie ansah, war er immer noch ganz hin und weg von ihr. Auch wenn sie auf den ersten Blick freundlich wirkte – mit einem Mal spürte ich wieder, dass all meine Hoffnungen mit ihrem Erscheinen wie weggespült wurden. Ben und ich waren kein eingeschworenes Team. Die letzten zwei Tage hatten die Illusion in mir geweckt, dass uns etwas Besonderes verband, etwas, das uns zusammenschweißte, uns zu einer Einheit machte. Ben und ich gegen den Rest der Welt oder so was. Nun wurde mir klar, dass es immer andere Frauen geben würde – und diese hier war mit Sicherheit eine größere Bedrohung als Dana. Was uns verband, war einzig und allein die Suche nach diesem verfluchten Schatz. Und wenn dieses Abenteuer überstanden wäre, dann würde uns nichts mehr aneinander ketten. Und es würde immer eine Julie oder Dana da sein, die Ben mit offenen Armen empfinge.

      „Ihr seid bestimmt müde“, sagte Julie. „Ihr könnt erst einmal bei mir übernachten.“

      „Na klar, ich im Gästezimmer und Ben in deinem Bett“, dachte ich und antwortete nur mit einem falschen Lächeln. Hätte ich mir aber auch sparen können, denn mich beachtete sowieso niemand. Zumindest nicht Ben und seine Ex-Flamme. Dafür grinste mich dieser Linus mit abschätzendem Blick von der Seite an, was mir noch unbehaglicher war als Julies Anwesenheit. Er sah aus wie ein Mann, vor dem man sich in Acht nehmen musste. Mit Sicherheit hatte er Dreck am Stecken, wie sonst sollte er an die Informationen kommen, die wir brauchten? Seine Musterung verursachte mir eine Gänsehaut und so schaute ich schnell in eine andere Richtung. Unterdessen standen Ben und Julie auf und schlenderten plaudernd in Richtung Ausgang, ich erhob mich und trottete hinter ihnen her. Wie redselig mein Bruder doch sein konnte. So wie jetzt hatte ich ihn noch nie erlebt.

      „Nicht traurig sein, kleine Schwester“, raunte plötzlich eine sanfte Stimme in mein Ohr, „auf Julie brauchst du nicht eifersüchtig zu sein. Die nimmt dir Ben nicht weg!“ Erschrocken fuhr ich herum und errötete, als ich dicht neben mir Linus erblickte.

      „So´n Quatsch“, antwortete ich so schroff wie möglich und ging einen Schritt schneller, um Ben und Julie nicht in der Menge zu verlieren. Linus lachte nur wissend. Am Rande der Treppe hielt er mich plötzlich am Handgelenk fest. „Wenn du mal bei mir arbeiten willst – ich nehme dich gerne.“ Er grinste schief und steckte sich dabei lässig eine Zigarette in den Mund.

      „Sicher nicht!“ antwortete ich und entriss ihm meine Hand. Wie unverschämt! Und dennoch schmeichelte mir seine Dreistigkeit ein wenig. Wenn er mir anbot bei ihm zu arbeiten, dann stellte er mich quasi auf eine Stufe mit Julie und den anderen Schönheiten dort oben – und denen konnte ich nicht im Entferntesten das Wasser reichen. Ich bemerkte, wie Ben, der inzwischen in der Menge der Technofans untergetaucht war, sich zu mir umdrehte und verärgert die Stirn runzelte, als er sah, dass Linus mich angesprochen hatte. Sofort blieb er stehen und wartete, bis ich mich zu ihm durchgekämpft hatte.

      „Halt dich von Linus fern, hast du gehört!“ Er brüllte mich beinahe an, was allerdings auch daran lag, dass der Technobeat gerade dabei war, die Dezibel-Grenze eines Düsenjets zu überschreiten. Ich hatte kein Interesse daran nähere Bekanntschaft mit diesem aalglatten Egomanen zu machen, aber Bens Befehlston ging mir gegen den Strich. „Ach, warum denn?“, rutschte es mir etwas patziger als beabsichtigt heraus.

      Bens Augen funkelten wütend, als er mich näher zu sich heranzog. „Weil er ein falscher, hinterhältiger und gefährlicher Dreckssack ist, verstanden?“ fauchte er.

      „Na dafür, dass er so ein Dreckssack ist, hilft er uns ganz schön aus der Patsche!“ Ich blitzte Ben herausfordernd an. Einen Moment lang sagte mein Bruder nichts, atmete nur tief durch und sah mich mit zusammengekniffenen Augen an. Doch dann schüttelte er den Kopf und wandte sich von mir ab. „Na ja, wir werden sehen“, sagte er mehr zu sich selbst als zu mir.

      3

      Wo war ich? Um mich herum waberte undurchdringlicher Nebel. Alles war grau und dumpf und kalt. Warum trug ich keine Schuhe? Es fröstelte mich und der Boden unter meinen Füßen fühlte sich feucht an. „Hallo?“ Kein Echo. Keine Antwort. Mein Ruf wurde vom Dunst verschluckt. Unsicher tastete ich mich vorwärts. Aus weiter Ferne hörte ich ein Kreischen, wie von aufgescheuchten Vögeln. „Ist hier jemand?“ Nichts. Nur Stille. Ängstlich streckte ich meine Hände aus. Was, wenn ich plötzlich ins Leere trat? Vielleicht lauerte ja schon kurz vor mir ein gähnender Abgrund. Doch da war nichts. Kein Stein, kein Strauch, kein Ast, der mich streifte, kein Laut - bis auf das Vogelkreischen, das gespenstisch aus allen Richtungen kam. Mein Puls raste, kalter Schweiß trat auf meine Stirn. Wie war ich an diesen unheimlichen Ort gekommen? Gerade war ich doch noch … Voller Schrecken wurde mir bewusst, dass ich vergessen hatte, wo ich mich noch vor einem Augenblick befunden hatte. Meine Erinnerung war wie ausgelöscht. Ich befand mich an einem Ort außerhalb von Raum und Zeit. Außerhalb der vertrauten Realität. War das ein Traum? Aber warum fühlte ich dann die feuchte Erde unter meinen Füßen? Warum konnte ich den modrigen Geruch des Nebels einatmen? Warum war mir so kalt? Ich fasste in meine Haare und spürte die feinen Wassertropfen, die sich in den losen Strähnen abgesetzt hatten. Alles war viel zu real für einen Traum. Ich biss mir auf die Unterlippe und sie schmerzte. Ja, ich schmeckte sogar das Blut, das meine Lippe benetzte.

      Und dann hörte ich es. Ein leises Scharren. Ein schleppendes, langsames Schlurfen. Wie von einem verletzten Tier, das sich mühevoll den Weg zu mir bahnte. Ich erschauderte vor Angst. Sollte ich weglaufen? Aber wohin? Sollte ich stehen bleiben und abwarten, dass es an mir vorbeizog? Sollte ich rufen und auf etwas Positives hoffen oder mich so leise wie möglich verhalten? Ich entschied mich für die letzte Alternative, das schleppende Geräusch kam immer näher. Bald war ich mir sicher, dass mein zitternder Atem mich verraten würde. Ich musste hier weg! Orientierungslos stolperte ich vorwärts, doch die Schritte, die sich nun eher menschlich anhörten, folgten mir. Ja, es hatte sogar den Anschein, dass sie schneller und sicherer wurden, je schneller ich lief. Und mittlerweile rannte ich. Die Vögel, die vor wenigen Minuten noch aus weiter Ferne gekreischt hatten, waren plötzlich ganz nah. Ich spürte das Flattern ihrer Flügel, obwohl ich sie nicht sehen konnte. Aber sie waren da. Und es waren viele. Ich strauchelte. Etwas hatte mich berührt. Es hatte sich kalt und feucht angefühlt. Waren das Federn? Ich fiel auf die Hände in den Matsch, versuchte mich keuchend wieder aufzurappeln – und erstarrte. Direkt vor mir stand ein Paar schwerer schwarzer Lederstiefel. Sekundenlang wagte ich nicht, nach oben zu schauen. Stattdessen schloss ich die Augen und erwartete den Todesstoß, der mich aus diesem Albtraum erlösen würde. Ein Wassertropfen rann über meine Stirn und blieb an meiner Nasenspitze hängen. Einen Moment lang hatte ich diesen irrwitzigen Gedanken in meinem Kopf, dass dieser dumme Tropfen an meiner Nase das Letzte in meinem Leben wäre, das ich spürte. Und dann passierte – nichts. Die Stiefel bewegten sich nur einen kleinen Schritt rückwärts. Der Boden unter ihnen gab ein schmatzendes Geräusch von sich. Dann herrschte Stille. Nicht einmal die Vögel waren mehr zu hören. Langsam erhob ich mich aus dem Matsch. Noch immer konnte ich kaum die Hand vor Augen erkennen. Und doch sah ich den Schatten, der kaum einen Meter von mir entfernt auf mich wartete. Zitternd wischte ich mir die Hände an meiner Kleidung ab.

      Erst jetzt wurde mir bewusst, dass das hier nicht meine Kleider waren. Ich trug ein bodenlanges, spitzenbesetztes weites Kleid mit schulterfreiem Dekolleté und engem Mieder, das merkwürdig altertümlich aussah. Vor Verwunderung merkte ich erst verspätet, dass der dunkle Schatten sich langsam zu mir herunterbeugte. Als der schwarze