Lost Treasure. Sandra Pollmeier. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sandra Pollmeier
Издательство: Bookwire
Серия: Treasure Hunt
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783947634965
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Odyssee durch mindestens zehn Amsterdamer Edelboutiquen. Mein Erstaunen war groß, als ich entdeckte, dass mir viele der Kleider passten, die Julie unermüdlich in meine Kabine reichte, obwohl ich immer gedachte hatte, dass ich Designerklamotten mit meiner rundlichen Figur nicht tragen könnte. Linus´ Kreditkarte wurde überall mit einem zufriedenen Lächeln entgegengenommen. Bald kam ich mir vor wie Julia Roberts in „Pretty Woman“. Es dämmerte bereits, als wir in Julies Wohnung zurückkehrten. Während sie den Schlüssel im Schloss umdrehte, wartete ich gespannt auf Bens Gesicht, wenn ich ihm gegenübertrat. Doch meine Aufregung war umsonst, denn mein Bruder war nicht da. Offensichtlich war auch er den ganzen Tag nicht zurückgekehrt, denn es sah alles noch genauso aus, wie wir es verlassen hatten – die Gläser auf dem Tisch, die lose Zigarettenpackung, der zur Seite geschobene Sessel. Enttäuscht ging ich in mein Zimmer, zog mein Nachthemd an, schaltete den Fernseher ein und warf meine neuen Errungenschaften achtlos in den nächsten Sessel. Vor Müdigkeit fielen mir schon bald die Augen zu. Draußen war es dunkel, als jemand leise an meiner Tür klopfte. Benommen rappelte ich mich hoch und blinzelte zum Wecker herüber. Es war Viertel vor elf.

      „Kann ich reinkommen?“ Ben öffnete die Tür nur einen winzigen Spalt und wartete meine Antwort ab.

      „Ja, klar.“ Ich räusperte mich und strich mir die mittlerweile nicht mehr ganz so gestylten Haare aus dem verschlafenen Gesicht.

      Mit einem verlegenen Grinsen trat mein Bruder ein. Dann stockte er und blieb mit verblüfftem Gesichtsausdruck im Türrahmen stehen. „Deine Haare“, bemerkte er irritiert. Ich zuckte möglichst gleichgültig mit den Schultern. Ben sollte nicht merken, wie stolz ich immer auf meine langen dunklen Locken war und wie schwer es mir fiel, sie abschneiden und färben zu lassen. Angesichts der Schicksalsschläge, die wir hatten durchmachen müssen, war der Verlust der Haare dagegen lächerlich.

      „Tja, sie sind jetzt blond“, sagte ich und rang mir ein wahrscheinlich nicht sehr überzeugendes Lächeln ab.

      „Und glatt“, fügte Ben hinzu. Bildete ich es mir ein, oder klang in seiner Stimme ein leichtes Bedauern mit? Egal, er war bestimmt nicht hier, um sich mit mir über meine Frisur zu unterhalten.

      „Was ist?“, fragte ich betont locker und schwang meine Beine über die Bettkante.

      „Hm?“ Ben schien meine Frage gar nicht mitbekommen zu haben, doch dann gab er sich einen Ruck, schüttelte den Kopf, schnappte sich einen Stuhl und setzte sich mir gegenüber. „Ja, ähm, ich wollte nur sagen, dass ich zwei Plätze für übermorgen gebucht habe für unseren Flug auf die Seychellen. Eine Unterkunft habe ich auch schon organisiert.“ Er machte eine Pause und sah mich fragend an.

      „Also Mittwoch geht´s weiter?“ Ben nickte. „Ist O.K. Dann wird´s wohl langsam ernst.“ Was für ein dummer Spruch. Als wäre es bisher nicht ernst genug zugegangen.

      Mit fragender Miene musterte Ben mein Gesicht. „Hör zu“, begann er schließlich. „Ich habe lange darüber nachgedacht. Du musst nicht mitkommen. Wir sind auf den Seychellen auch nicht sicher. Ich kann nicht verlangen, dass du dein Leben aufs Spiel setzt. Julie hat eine Schwester, die lebt in einem kleinen Dorf an der Küste. Dort wird dich niemand finden. Und wenn alles vorbei ist, dann …“

      Ich brauchte einen Moment, um zu verstehen, was Ben mir zu sagen versuchte, doch als es langsam in mein Bewusstsein sickerte, sprang ich so entrüstet auf, dass ich Ben dabei fast vom Stuhl geworfen hätte.

      „Nein!“ Ich stampfte energisch mit dem Fuß auf. „Ich lasse mich nicht abschieben. Papa hat mir den Brief hinterlassen. Er wollte, dass ich nach diesem scheiß Schatz suche – und glaub mir, ich habe wenig Lust dazu. Aber du kannst mich jetzt nicht einfach sitzen lassen, du kannst doch nicht …“ Weiter kam ich nicht, denn meine Stimme erstickte unter dem Kloß in meinem Hals. Hilflos schnappte ich nach Luft und kämpfte gegen die Tränen an, die mir in die Augen schossen.

      Ben sprang auf und legte mir einen Finger auf die Lippen. In Julies Wohnung von einem Schatz herumzuschreien, war wahrscheinlich nicht besonders klug. „Hey“, flüsterte er mir beruhigend ins Ohr und wischte mir unbeholfen ein paar Tränen aus dem Gesicht. „Beruhig dich, Sofia! Ich hab´ doch nicht gesagt, dass du hier bleiben sollst. Ich dachte nur, dass es sicherer für dich ist. Mein Gott, du bist doch noch ein Kind!“

      Schniefend trat ich einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf. „Ich bin dir lästig, gib es ruhig zu!“ Jetzt reagierte ich wirklich wie ein trotziger Teenager. Aber das war ich ja schließlich auch.

      „Nein, Sofia. Das stimmt nicht!“ Bens Stimme klang beinahe flehend. „Jetzt sieh doch ein …“

      Erbost schubste ich ihn von mir weg und ließ mich schluchzend auf die Bettkante fallen. Haltung bewahren war leider nicht meine Stärke.

      Ben schwieg und sah mich mit einer Mischung aus Ärger und Verwunderung an. Dann setzte er sich mit einem Seufzen neben mich aufs Bett. „Wenn ich dich nicht dabei haben wollte, hätte ich nicht zwei Tickets besorgt“, bemerkte er trocken und legte mir mein Flugticket auf den Schoß.

      „Na, vielleicht willst du ja lieber Julie mitnehmen“, murmelte ich immer noch beleidigt und Ben lachte laut auf. „Du bist echt bescheuert. Sei nicht so ein eingeschnapptes, eifersüchtiges Huhn. Julie wird nirgendwo mit mir hingehen. Vielleicht gab es mal eine Zeit, in der ich gewollt hätte, dass sie mit mir von hier verschwindet, aber das ist schon lange her.“ Er stieß mir sanft mit der Faust ans Kinn und grinste mich schief an. Und obwohl ich immer noch sauer auf ihn war, konnte ich nicht anders und musste lächeln. „Wenn du es vorziehst, mit mir gemeinsam in den Tropen den Löffel abzugeben, dann kann ich dich nicht davon abhalten.“

      Anstatt ihm zu antworten, schnaufte ich nur kurz und rollte mit den Augen. Einen endlosen Moment lang sahen wir uns an. Bens spöttisches Lächeln erlosch, er legte den Kopf schief und rückte ein kleines Stück näher zu mir. Für den Bruchteil einer Sekunde schlug mein Herz schneller, doch kurz bevor ich meine Augen schließen und leise seufzend Bens zögernden Kuss beantworten konnte, legte dieser mir einen großen braunen Umschlag in die Hände. Irritiert runzelte ich die Stirn – was wollte er denn jetzt schon wieder?

      „Hast du dir den Brief und seine Übersetzung schon mal genau angesehen?“, fragte Ben mich plötzlich völlig aus dem Zusammenhang – zumindest aus dem Zusammenhang, den ich gerade wahrgenommen hatte.

      „N-Nein“, stotterte ich und schüttelte möglichst lässig meine neuen blonden Haare über die Schulter. Zum Glück schien Ben nichts von meiner peinlichen Beinah-Hingabe mitbekommen zu haben. Ich musterte den braunen Umschlag, als hielte ich ihn heute zum ersten Mal in der Hand. Nein, ich hatte tatsächlich seit damals in der Lüneburger Heide keinen Blick mehr auf den Brief geworfen. Damals. Das war gerade mal zehn Tage her. Wir hatten so viel damit zu tun gehabt, diesen Brief geheim zu halten, dass ich fast vergessen hatte, dass dieses unscheinbare Papier schlappe 100 Millionen Euro wert sein könnte.

      „Also, ich hab´ ihn in den vergangenen Tagen mal richtig durchgelesen“, erklärte Ben mit gedämpfter Stimme und rutschte so nah an mich heran, dass sich unsere Arme berührten. Dann zog er mir vorsichtig das Kuvert aus der Hand und blätterte die Seiten durch, bis er die Übersetzung des französischen Textes gefunden hatte. „Seit fast dreihundert Jahren suchen die verschiedensten Menschen nach diesem Schatz, Sofia!“ Er fasste meine Hand, ein Strahlen erleuchtete sein Gesicht. „Manche haben ihr ganzes Leben dieser Suche gewidmet. Zweihundert Jahre lang war die verschlüsselte Schatzkarte, die Kapitän La Buse vor seiner Hinrichtung in die gaffende Menge warf, verschollen, aber selbst nachdem sie wieder auftauchte, konnte niemand den Code entziffern. Und jetzt haben wir ihn in der Hand. So nah war seit 280 Jahren niemand an der Lösung des Rätsels.“

      Mir wurde flau im Magen. Vielleicht lag es an der Art, wie Ben mit mir sprach – mit diesem Enthusiasmus in der Stimme. Aber mir machte das Angst. Dort draußen gab es Menschen, die bereit waren, für diesen Schatz zu töten. Konnte das Wissen um dieses wahnsinnige Geheimnis Menschen verändern? Sie in Besitz nehmen? Sie vergiften? Mir fiel der gruselige Gnom Gollum aus „Herr der Ringe“ ein. Ein harmloses Wesen, das von der Versuchung, Macht zu besitzen, vergiftet worden war. Langsam zog ich meine Hand aus Bens festem Griff heraus. Würden auch wir zu